Ukraine nutzt Clearview AI

Umstrittene Gesichtserkennung im Krieg

25.03.2022
Von Redaktion Computerwoche
Das ukrainische Verteidigungsministerium nutzt Gesichtserkennungssoftware, um gefallene russische Soldaten zu identifizieren und die Familien zu benachrichtigen.
Clearview AI soll in der Ukraine zum Einsatz kommen. Doch es gibt viele offene Fragen zur Zuverlässigkeit der Software.
Clearview AI soll in der Ukraine zum Einsatz kommen. Doch es gibt viele offene Fragen zur Zuverlässigkeit der Software.
Foto: Ascannio - shutterstock.com

Die Ukraine setzt Software von Clearview AI ein, um im Krieg getötete russische Soldaten zu identifizieren. Das sagte der ukrainische Vize-Premierminister Mykhailo Fedorov dem Nachrichtendienst Reuters. Er ist zugleich der Minister für digitale Transformation. Sein Land verwende die KI-Software, um Aufnahmen von Gefallenen mit Bildern in Social-Media-Konten abzugleichen.

"Aus Respekt gegenüber den Müttern dieser Soldaten verbreiten wir diese Informationen über die sozialen Medien, damit die Familien zumindest wissen, dass sie ihre Söhne verloren haben und ihre Leichen abholen können", sagte Fedorov in einem Interview.

Datenschutzpraktiken mehr als umstritten

Clearview AI hatte der Ukraine seine Software nach der russischen Invasion kostenlos zur Verfügung gestellt. Sie soll mehr als zwei Milliarden durchsuchbare Bilder von VKontakte enthalten, einem beliebten russischen Social-Media-Dienst. The Guardian erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass die New Yorker Clearview AI wegen ihrer Datenschutzpraktiken umstritten ist und in der Vergangenheit viel Kritik von Nutzern und Behörden in aller Welt auf sich gezogen hat.

Gerade erst verhängte die italienische Regierung eine Geldstrafe in Höhe von 20 Millionen Euro gegen das Unternehmen. Es habe gegen EU-Vorschriften zum Verbraucherschutz verstoßen, hieß es. Die Südeuropäer ordneten an, dass das US-Unternehmen alle Daten über in Italien ansässige Personen löschen muss. Zuvor hatten auch schwedische, australische, britische und französische Behörden Clearview AI aufgefordert, die Verarbeitung aller Nutzerdaten von Bürgern aus ihren Ländern einzustellen.

Auch in den USA steht Clearview AI unter Druck: So ist eine Klage vor einem Bundesgericht in Chicago anhängig, die von Verbrauchern gemäß dem "Illinois Biometric Information Privacy Act" eingereicht worden war. Auch darin geht es um die Frage, ob das Sammeln und Verwerten von Bildern aus dem Internet gegen geltendes Datenschutzrecht verstößt.

Wie zuverlässig erkennt Clearview AI Gesichter?

In mehreren Berichten wurden auch Fragen zur Zuverlässigkeit der Software aufgeworfen. Untersuchungen haben demnach gezeigt, dass die Gesichtserkennungssoftware nicht immer zuverlässig arbeitet und beispielsweise Probleme hat, Gesichter mit dunkleren Hauttönen eindeutig zu erkennen. Clearview AI hat die hohe Fehleranfälligkeit allerdings stets abgestritten.

The Guardian zitiert Richard Bassed, Leiter der Abteilung für Gerichtsmedizin an der Monash University in Australien, dessen Angaben zufolge die Gesichtserkennung beim Identifizieren von Toten unzuverlässig sein könne. Noch immer seien Fingerabdrücke, Zahnprofile und natürlich DNA die besten Methoden der Identifikation. Solche Daten in einer Kriegssituation zu beschaffen, ist allerdings oft unmöglich, weshalb Gesichtserkennung als Alternative naheliegt.

Wissenschaftler Bassed, der die Technologie erforscht hat, warnt davor, dass verletzte und ausdruckslose Gesichter mit leeren Augen dieses Verfahren unbrauchbar machen könnten. Dann würden Menschen fälschlicherweise für tot erklärt, was unnötigerweise zu unendlichem Leid bei den Angehörigen führen würde. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass der ukrainische Minister Fedorov sagte, sein Land nutze die Technologie nicht, um ihre eigenen im Kampf gefallenen Soldaten zu identifizieren.