Viel ist im vergangenen Jahrzehnt über die Rolle der IT im Allgemeinen und des CIO im Besonderen gesagt und geschrieben worden. Gerade im Zuge der digitalen Transformation haben viele Unternehmen die Stellenbeschreibung der IT-Leitung auf den Prüfstand gestellt und teilweise neu definiert – beispielsweise mit einer bimodalen IT, in der sich ein Team um die Zukunftsthemen und ein anderes um den Betrieb der Legacy -und Bestandssysteme kümmert. Ebenso wurde darüber diskutiert, das IT-Department komplett aufzulösen und die entsprechenden Funktionen in die Fachabteilungen diffundieren zu lassen. Experimente gab es viele, ein klarer Trend kristallisierte sich jedoch nicht heraus.
Das scheint sich jedoch allmählich zu ändern, wie eine Untersuchung von Lünendonk und Wipro zeigt. Für die Studie "Future of IT – die Rolle der IT bei der Digital Business Transformation" haben die Marktforscher rund zwei Dutzend IT-Verantwortliche intensiv zu ihrer Position und ihren Aufgaben im Unternehmen befragt. Dabei wurde deutlich, dass der Ausbruch der Coronapandemie 2020 einen Wendepunkt markierte. "Die IT konnte im Lockdown endlich zeigen, was sie kann", heißt es in der Studie. "Und die IT hat geliefert." Ihre Rolle für die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs habe sie mit Bravour gemeistert. Nie sei der Eindruck von der IT in den Betrieben besser als in den Jahren seit Ausbruch der Coronakrise gewesen.
Gleichzeitig veränderten sich die Aufgaben. Während sich die IT in den Jahren vor Corona stark auf die Digitalisierung der internen Prozesse fokussiert habe, stünden nun die Digitalisierung der Geschäftsmodelle und die Entwicklung digitaler Lösungen mit Ausrichtung auf den Kunden ganz oben auf der CIO-Agenda. Das führte laut Lünendonk zu einem neuen Selbstverständnis in der IT und veränderte ihre Rolle als Business Enabler, um die digitale Transformation aktiv zu begleiten und vor allem zu gestalten. Das sehen mittlerweile fast drei Viertel aller Betriebe so.
Fachbereiche forcieren Transformation
Damit steigen allerdings auch die Anforderungen an die IT-Abteilungen – organisatorisch wie technisch. Denn 83 Prozent der Befragten erklärten, dass gerade die Fachbereiche die digitale Transformation stärker forcierten. Dabei muss die IT auf verschiedene Business-Anforderungen reagieren. Das sind die Wichtigsten:
Befähigung der Prozess- und IT-Landschaft für unternehmensübergreifenden Datenaustausch und Plattform-Ökosysteme;
mehr Kundenzentrierung in Form hoher Verfügbarkeit und Skalierung der IT, um so auf veränderte Kundenanforderungen an Produkten und Services zu reagieren;
Neue Geschäftsfelder erschließen, unter anderem durch Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle und digitaler Produkte und Services.
Dafür muss in vielen Unternehmen die IT-Infrastruktur modernisiert werden. Wesentlicher Aspekt dabei ist jedoch immer seltener die reine Migration von Legacy-Anwendungen in die Cloud ("Lift & Shift") und immer öfter ein grundlegender Umbau der IT-Architekturen. Für die IT heißt das, dass viele Aufgaben gleichzeitig angepackt werden müssen. Nachdem sich die Digitalisierung in den letzten Jahren stark auf die Optimierung der internen Prozesse und weniger auf die Transformation der Geschäftsmodelle und -prozesse konzentriert hat, besteht nun großer Handlungsbedarf entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
Lünendonk zufolge ist die Zahl der Projekte mit Digital- und IT-Fokus in den vergangenen beiden Jahren massiv angestiegen. Um den damit verbundenen Transformationsdruck zu meistern sind neue Ansätze bei der Projektumsetzung gefragt, um die von den Fachbereichen dringend benötigten digitalen Produkte schneller zu entwickeln sowie die die Digitalisierung der Prozesse zu forcieren.
Viele IT-Organisationen mit Defiziten
Angesichts der neuen strategischen Relevanz der IT und ihrer Verzahnung mit den neu entstehenden Wertschöpfungsnetzwerken müssen sich die IT-Verantwortlichen fragen, ob ihre Organisation dafür richtig aufgestellt ist. Die Antwort fällt ernüchternd aus. Etwa die Hälfte der Befragten sehen ihre IT-Organisation nur eingeschränkt in der Lage, auf die veränderten Anforderungen des Business zu reagieren und genau diejenigen Services zu liefern, die von den Fachbereichen in einem sich durch die Digitalisierung rasant verändernden Marktumfeld dringend benötigt werden. Lünendonk identifiziert beispielsweise Defizite bei der agilen Softwareentwicklung und dem Aufbau von DevOps-Strukturen.
Immerhin scheint der Nachholbedarf erkannt und auch der Wille zur Veränderung da zu sein. Fast alle befragten IT- und Digital-Verantwortlichen wollen mit Blick auf das Jahr 2024 mit ihrer IT-Organisation so aufgestellt sein, dass sie ihren Fachbereichen genau diejenigen Services, die sie im operativen Geschäft benötigen, in hoher Qualität und in kürzeren Zyklen bereitstellen. Um dieses Ziel zu erreichen, wird sich die IT-Funktion in den nächsten Jahren organisatorisch, prozessual, kulturell und personell stark verändern müssen. Sie muss dazu beitragen, dass aus dem Einsatz digitaler Technologien ein hoher Business-Nutzen gezogen werden kann, so die Analysten.
Ein besonderes Augenmerk liege dabei in der engeren Abstimmung mit Fachbereichen und der gemeinsamen Entwicklung von digitalen Produkten wie Onlineportalen, Apps und digitalen Kundenschnittstellen. Für neue Softwareprodukte und digitale Geschäftsmodelle müssten IT- Organisation die Fähigkeit entwickeln, erste Prototypen (MVPs) sowie neue Releases und Patches in kürzester Zeit bereitzustellen, um schnell auf veränderte Anforderungen von Kunden und Nutzenden zu reagieren.
Als Business Enabler immer den Nutzen im Blick
Dazu sei eine Neuausrichtung von Softwareentwicklungseinheiten auf agile Arbeitsweisen, interdisziplinäre Teams, cloudnative Softwareentwicklung, DevOps und mehr Automatisierung durch Continuous Integration/Continuous Deployment (CI/CD) erforderlich. Nur so lasse sich die Taktrate neuer Releases sowie die Qualität und Kundenzentrierung eines Softwareprodukts deutlich erhöhen. "Für CIOs gilt es in Zeiten neu entstehender Geschäftsmodelle, mehr Geschwindigkeit und Kundenzentrierung in die Softwareentwicklung zu bekommen und einen echten Businessnutzen zu erzielen", fasst Lünendonk-Analyst Mario Zillmann zusammen.
Aus Sicht der Analysten wird es künftig zum Selbstverständnis von CIOs und der gesamten IT-Organisation gehören, als Business Enabler neue Technologien auf den Businessnutzen hin zu erproben sowie nutzenstiftende Services zu entwickeln und bereitzustellen. Gerade in dieser Hinsicht gibt es noch viel Luft nach oben. In einem Teil der untersuchten Großunternehmen würden die eingesetzten digitalen Technologien noch nicht vollumfänglich einen hohen Nutzen erzielen, heißt es in der Studie.
"Eine wichtige Aufgabe der IT besteht in Zukunft darin, die einzelnen digitalen Technologien zu einem Gesamtwerk zu formen und vor allem zu orchestrieren", sagt Zillmann. Das bedeutet jedoch in der Konsequenz ein neues Selbstverständnis der IT. Lag der Fokus hinsichtlich der Digitalisierung von Geschäftsprozessen in Vor-Coronazeiten eher auf mehr Effizienz bestehender Abläufe, geht es künftig um den grundlegenden Umbau ganzer System- und Prozesslandschaften mit dem klaren Ziel einer stärkeren Kundenzentrierung.
Reine Supply-Organisationen sind von gestern
Dafür müssen sich die Betriebe jedoch umbauen. "Die klassische organisatorische Trennung von IT und Business kommt an ihre Grenzen", heißt es in der Studie. Da die IT für die vielen Digitalisierungsprogramme eine unverzichtbare Funktion ist, werden sich Lünendonk zufolge in naher Zukunft Supply- und Demand-orientierte IT-Organisationen durchsetzen. In einer solchen Organisation positioniert sich die IT als eine produktorientierte IT-Organisation, die gemeinsam und gleichberechtigt mit dem Business in crossfunktionalen Teams digitale Produkte entwickelt. Reine Supply-Organisationen, bei denen die IT als Cost Center und Support-Funktion überwiegend die Anfragen aus dem Business umsetzt, gehören spätestens 2024 der Vergangenheit an.