Lose Verbindung statt Integration

Topmanager unterschätzen die Schwierigkeiten von Fusionen

07.08.2014
Von 
Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner. Der diplomierte Wirtschaftsingenieur ist u.a. Autor des "Change Management Handbuch" und zahlreicher Projektmanagement-Bücher. Seit 1994 ist er Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-Provence und der Technischen Universität Clausthal.
Die Kultur eines Unternehmens spiegelt sich in seinen Prozessen und Strukturen wider. Wenn Manager Fusionen und Umstrukturierungen vorbereiten, sollten sie daran denken. Sonst werden sie ihre Ziele nicht erreichen.

Für viele Manager großer Konzerne ist es ein Höhepunkt ihrer Karriere, wenn sie verkünden können: "Unser Unternehmen übernimmt einen Wettbewerber." Entsprechend optimistisch sind die Prognosen: "Durch die Fusion steigt unser Marktanteil um 15 und unser Umsatz um 20 Prozent. Außerdem können wir hohe Synergieeffekte erzielen." Oder: "Durch die Fusion erschließen sich uns neue Geschäftsfelder und Absatzmärkte. Dadurch eröffnen sich uns ganz neue Perspektiven."

Ein Unternehmen zu kaufen ist relativ einfach, es zu integrieren, die Kulturen zu verschmelzen und die Prozesse übergreifend zu gestalten ist umso komplizierter.
Ein Unternehmen zu kaufen ist relativ einfach, es zu integrieren, die Kulturen zu verschmelzen und die Prozesse übergreifend zu gestalten ist umso komplizierter.
Foto: fotomek, Fotolia.com

Der Alltag nach dem Verkünden der Übernahme ist dann oft ernüchternd. Manager unterschätzen die Tücken des Integrationsprozesses - insbesondere auf der kulturellen Ebene. Die Kultur eines Unternehmens lässt sich, anders als seine Strukturen und Prozesse, nur begrenzt mit Instrumenten wie Organigrammen und Ablaufdiagrammen erfassen. Und ihre Entwicklung lässt sich nur bedingt am "Reißbrett" planen.

Übernahmen und Umstrukturierungen lösen bei den Mitarbeitern der betroffenen Unternehmen immer Unsicherheiten und Ängste aus, gibt es doch neben den Gewinnern stets auch Verlierer. Oder zumindest Personen, die sich als solche empfinden. Diese meist diffusen Ängste gilt es aufzufangen. Sonst verdichten sie sich zu Widerständen.

Bei Fusionen fürchten die Betroffenen unter Umständen:

  • Einkommenseinbußen,

  • Arbeitsplatzverlust,

  • neue Aufgaben (Überforderung),

  • den Verlust wichtiger persönlicher Beziehungen (zum Beispiel aufgrund einer Versetzung),

  • den Verlust von Sozialprestige,

  • den Verlust von Handlungsspielräumen und Entscheidungsbefugnissen und

  • schlechtere Entwicklungs-/Karriere-Chancen.

  • Diese Ängste werden in der Regel umso größer, je länger die Mitarbeiter nicht wissen: Was kommt auf mich zu? Deshalb sollte das Management diese Frage so schnell wie möglich beantworten. Sonst beginnt die Gerüchteküche zu brodeln, und der mit der Fusion verbundene Veränderungsprozess erscheint für die Mitarbeiter in einem immer schlechteren Licht. Dann stellen sich sogar Personen gegen ihn, die eigentlich zu seinen Gewinnern zählen.

Lose Verbindung statt Integration

Ein Unternehmen zu kaufen ist relativ einfach, es zu integrieren, die Kulturen zu verschmelzen und die Prozesse übergreifend zu gestalten ist umso komplizierter. Diverse Studien der letzten Dekade sind zu dem Ergebnis gekommen, dass etwa die Hälfte aller Merger scheitert und dass über 80 Prozent nicht die erhofften Ergebnisse bringen. Unternehmen wie Daimler (Chrysler), AOL (Time Warner) oder Hewlett-Packard (Compaq) wissen ein Lied davon zu singen. Trotzdem steigt die Zahl der Übernahmen ebenso wie die durchschnittliche Größe dieser Deals seit 20 Jahren unverändert an. Die Ursachen sind unterschiedlich. Unternehmen wollen international expandieren, Synergien nutzen, Lücken im Produktportfolio füllen oder sich neue Märkte erschließen. Manchmal sind die Gründe aber banaler: Selbstgefällige Manager möchten sich ein Denkmal setzen - oder schlicht Geld verdienen.

Ein Kommunikationskonzept erstellen

Viele Manager sind überzeugt: Wir sollten die Mitarbeiter erst informieren, wenn alles "in trockenen Tüchern" ist und ein für allemal feststeht. Sonst erzeugen wir Unsicherheit. Entsprechend zurückhaltend sind sie mit der Information der Mitarbeiter. Dabei sind diese spätestens dann in Alarmstimmung versetzt, wenn - insbesondere bei börsennotierten Unternehmen - aufgrund der bestehenden Informationspflicht erste Meldungen durch die Presse geistern. Die kürzlich erwogene und wieder verworfene Übernahme von Alstom durch Siemens ist ein gutes Beispiel dafür.

Hinzu kommt: Wer glaubt, Fusionsprozesse bis ins letzte Detail planen zu können, sitzt einer Illusion auf. Viele Entscheidungen haben einen vorläufigen Charakter - auch weil nicht alle Einflussfaktoren und Wechselwirkungen präzise erfasst werden können. Zudem betreten das Unternehmen und sein Management bei Fusionen und Übernahmen oft Neuland. Sie haben wenig oder gar keine Erfahrungen damit. Deshalb führt die Sorge, falsch oder unvollständig zu informieren, oft dazu, dass die Betroffenen keine offizielle Information erhalten. So entsteht ein Informationsvakuum, das Gerüchte und Halbwahrheiten nährt, was wiederum Ängste schürt.

Die jeweiligen Stärken ermitteln

Jedes Unternehmen hat seine eigene Geschichte und Kultur. Fusionieren zwei Firmen, entbrennt meist ein Kampf um das neue Leitbild. Diesen gewinnt, sofern der Prozess nicht gesteuert wird, fast immer das übernehmende Unternehmen, selbst wenn offiziell eine "Hochzeit unter Gleichen" verkündet wird. Der Übernehmer dominiert das übernommene Unternehmen. Das verstärkt die Ressentiments von dessen Mitarbeitern, was zu unnötigen Widerständen führt. Deshalb empfiehlt es sich, bei Fusionen eine Analyse vorzunehmen, welche Elemente in den Kulturen der beiden Unternehmen substanziell und erhaltenswert sind, weil sie die Zielerreichung fördern. Sie sollten in die neue Kultur einfließen.

Beim Versuch, eine Unternehmenskultur zu verändern, spielt das Topmanagement eine Schlüsselrolle. Es muss die neue Kultur vorleben. Jeder Versuch, Kulturveränderungen ausschließlich über das mittlere Management herbeizuführen, scheitert. Unterschätzt werden darf auch nicht die Langwierigkeit von kulturellen Veränderungsprozessen. Sie dauern in der Regel mindestens drei Jahre.

Eine neue Identität kreieren

Größere Unternehmen investieren viel Zeit und Geld in den Aufbau einer Corporate Identity, also einer Firmenkultur. Die Mitarbeiter sollen stolz auf ihr Unternehmen sein und sich mit ihm identifizieren. Bei einer Fusion bricht jedoch - speziell beim übernommenen Unternehmen - diese Identität weg. Vor allem Mitarbeiter, die sich stark mit den Gepflogenheiten und Ritualen ihres Unternehmens identifiziert haben, fällt es schwer, sich davon zu verabschieden. Sie trauern. Im Privatleben erachten wir es als selbstverständlich: Abschied zu nehmen erfordert Zeit und kann kaum forciert werden. Im Unternehmenskontext existiert hierfür meist wenig Verständnis. Ein vorübergehend lethargisches und manchmal sogar aggressives Verhalten wird nicht als Ausdruck von Trauer verstanden und respektiert.

Dabei wissen wir alle: Menschen können meist erst dann wieder eine neue Bindung eingehen, wenn die alte überwunden und "verdaut" ist. Dies gilt es beim Planen von Integrationsprozessen zu bedenken.

Bei Fusionen leben die Mitarbeiter bis zum Übergang in die neue Struktur oft in einem Schwebezustand: Wie geht es weiter? Was wird aus mir? Wird es meinen Job künftig noch geben? Solche Fragen bewegen die Menschen! In dieser Situation zeigen Mitarbeiter oft folgende Verhaltensmuster:

  • Dienst nach Vorschrift: Sie identifizieren sich nicht mehr mit dem Unternehmen, erledigen nur das Nötigste und folgen nur noch bedingt den Anweisungen ihrer Vorgesetzten.

  • Operative Hektik: Mitarbeiter verfallen in Aktionismus. Zahllose Projekte werden begonnen. Jeder will möglichst überall mitmischen, um in einem günstigen Licht zu erscheinen. Nicht die Qualität der Arbeit zählt, sondern die Selbstdarstellung gegenüber dem Vorgesetzten.

Deshalb ist es wichtig, dass Topmanager ihren Führungskräften in der Übergangszeit Orientierung bieten, damit diese wissen, wie sie sich verhalten sollen. Sonst verpufft viel Energie wirkungslos.

Eine gewisse Überparteilichkeit wahren

Bei Fusionen werden in kurzer Zeit viele folgenschwere Entscheidungen getroffen - zum Beispiel über IT-Systeme, Stellenbesetzungen, Markt- und Produktstrategien. Häufig setzt sich dabei nicht das bessere, sondern das dominierende Konzept durch - das des Übernehmers. Felder werden besetzt und Territorien neu verteilt, wobei auch Eigeninteressen eine wichtige Rolle spielen. Deshalb sollte das Top-management auf eine gewisse Überparteilichkeit achten, damit insbesondere im übernommenen Unternehmen keine Verlierer produziert werden, die den Prozess blockieren.

Fusionen sind ein schwieriges Geschäft - auch, weil die eigentliche Arbeit erst nach Vertragsabschluss und dem Verkünden der Fusion beginnt. Unternehmenslenker müssen sich bewusst sein: Eine gelungene Integration gibt es nicht zum Nulltarif. In den Monaten und Jahren nach dem Verkünden der Fusion muss das Unternehmen viel Energie in das Gestalten dieses Prozesses investieren. Außerdem sollte der Prozess professionell gesteuert werden - auch um sicherzustellen, dass bei den (Folge-) Entscheidungen stets die drei Aspekte "Strategie", "Struktur" und "Kultur" beachtet werden, die sich wechselseitig beeinflussen. (hv)

Im Vorfeld jeder (erwogenen) Fusion sollte ein Kommunikationskonzept erstellt werden - mit folgenden Zielen:

  • Verständnis für die Notwendigkeit der Fusion schaffen,

  • Vertrauen in die damit verbundenen Entscheidungen aufbauen,

  • Akzeptanz bei den Mitarbeitern erzeugen,

  • Motivation für die einzelnen Schritte erzeugen und

  • die Basis für die Identifikation mit dem neuen Unternehmen schaffen.