Hybrid-Work-Studie 2022

Tools und Kultur – auf die Mischung kommt es an

08.06.2022
Von 
Alexander Freimark wechselte 2009 von der Redaktion der Computerwoche in die Freiberuflichkeit. Er schreibt für Medien und Unternehmen, sein Auftragsschwerpunkt liegt im Corporate Publishing. Dabei stehen technologische Innovationen im Fokus, aber auch der Wandel von Organisationen, Märkten und Menschen.
500 Gramm Tools, eine Prise Kultur und eine Pandemie als Energiequelle – fertig ist Hybrid Work? Ganz so einfach ist es nicht: Die schwere, strukturierte Arbeit geht erst los.
Der Wechsel von "Office only" hin zu Hybrid Work bringt viele Herausforderungen mit sich.
Der Wechsel von "Office only" hin zu Hybrid Work bringt viele Herausforderungen mit sich.
Foto: ivector - shutterstock.com

Hybrid Work hat sich zu einem maßgeblichen Diskussionsthema in der Gesellschaft entwickelt, Medien berichten regelmäßig über Verweigerer (Apple) und Ermöglicher (Airbnb) sowie die personellen Folgen ihrer Ankündigungen. Und weil Hybrid Work stark polarisiert, ist eine pauschale "Lösung" nicht zu erwarten: Jede Organisation muss eine eigene Strategie für ihr Arbeitsmodell entwickeln. In der Tat haben viele Firmen den hybriden Weg eingeschlagen, wie die aktuelle Studie "Hybrid Work 2022" von CIO, CSCO und COMPUTERWOCHE in Zusammenarbeit mit Campana & Schott, Freshworks, NFON, SPIRIT/21, ServiceNow und Damovo zeigt. Zudem sind mehr als zwei Drittel der Befragten der Meinung, dass die Quote von Hybrid Work weiter steigen beziehungsweise stark steigen wird. In großen Organisationen beläuft sich die Zustimmung sogar auf mehr als 72 Prozent.

Auch wenn das Thema auf breiter Fläche im Bewusstsein von Unternehmen und Mitarbeitenden angekommen ist: "Das Empfinden des Status Quo innerhalb der Unternehmen ist sehr heterogen", berichtet Christian Koch, Manager Development, Integration & Support beim Beratungshaus Campana & Schott. Während sich das Management bereits auf der Schlussgerade "in Sicherheit" wiege, würden Mitarbeitende die Hybrid-Work-Bestrebungen ihrer Unternehmen oftmals noch am Anfang sehen. Koch verweist unter anderem auf die stark gestiegenen Mengengerüste für Remote Work durch Corona: "Organisation, Technik sowie die Menschen müssen darauf vorbereitet werden. Hier sehe ich eine große Herausforderung, die nur wenige Unternehmen schon komplett gemeistert haben."

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Von Notlösungen zu Dauerlösungen

Dies wird - neben vielen positiven Entwicklungen - auch in der Studie deutlich: Groupware, Wissensdatenbanken und andere Apps oder Tools für alle Mitarbeitenden finden sich beispielsweise nur in vier von zehn Firmen. Auch der Datenzugriff überall, jederzeit und mit jedem Gerät - das Feature, das sich die meisten Menschen wünschen - ist in gerade einmal 40 Prozent der Organisationen möglich, und sogar erst 63 Prozent haben Conferencing-Tools im Einsatz. "Eine signifikante Anzahl von Unternehmen hat in der Pandemie Notlösungen eingeführt, die den Betrieb aufrechterhalten haben, aber das sind keine Dauerlösungen", bilanziert Koch.

Ohne Pandemie dauert es länger

Der Berg an Arbeit für Hybrid Work wächst über alle Ebenen: "Auffällig ist, dass zwar umfassende Konzepte vorhanden sind, diese jedoch in vielen Organisationen noch in der Führungsetage festhängen", sagt Jens Leucke, General Manager DACH beim SaaS-Anbieter Freshworks. Daher dauere es, bis Vorhaben in die einzelnen Fachbereiche durchsickern und die funktionalen Lücken schließen. Dies gelte speziell im Segment der KMU, die ihren digitalen Fortschritt laut Studie noch als relativ gering einschätzen, was sicherlich nicht zuletzt am kleineren IT-Budget liege. "Doch auch KMU müssen ihre Prioritäten spätestens in diesem Jahr neu sortieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben." Zudem ließen sich viel Zeit und Kapazitäten einsparen, wenn die Abläufe zwischen Home und Office optimiert würden. "Einheitliche und kompatible Lösungen helfen enorm dabei, Prozesse zu vereinfachen und zu beschleunigen", so der Freshworks-Manager.

Die hybriden PS auf die Straße bringen

Ein auf die Schnelle angelegtes Ökosystem aus verschiedenen Anwendungen, Features und Programmen, die parallel und unkoordiniert eingesetzt werden, führt hingegen zu Reibungsverlusten und ungenutzten Potenzialen - die Produktivität wird erheblich beeinträchtigt. "Deshalb müssen Firmen so schnell wie möglich eine stabile Basis schaffen und die Anwendungslandschaft Schritt für Schritt konsolidieren", empfiehlt Jens Reichardt, Business Development Executive für Modern Workplace beim IT-Dienstleister SPIRIT/21.

Ein Lösungsansatz sind Cloud-basierte Kollaborationsplattformen, die ein breites Aufgabenspektrum abdecken und schon von Haus aus mit Kommunikationslösungen gekoppelt sind oder durch Schnittstellen individuelle Funktionen ermöglichen. Nur auf die Tools zu schauen, sei jedoch zu kurz gegriffen, so Reichardt: "Ebenso wichtig ist es, die organisatorischen und kulturellen Voraussetzungen zu schaffen und zu überlegen, wie Kommunikation und Zusammenarbeit in hybriden Modellen unterstützt werden können."

Isolierte Lösungen sind ein Problem

Von lückenhaften und wenig gepflegten Tool-Landschaften speziell bei kleinen und mittleren Unternehmen berichtet auch Jan Forster, Chief Marketing Officer beim Cloud-Kommunikationsanbieter NFON. "Einer der Hauptgründe ist unserer Erfahrung nach, dass die Themen isoliert betrachtet und Lösungen für eine spezielle Herausforderung oder einen bestimmten Arbeitsbereich gesucht werden." Dadurch komme es naturgemäß zu unterschiedlichen Geschwindigkeiten in der Umsetzung, "und es entstehen Blind Spots, die nicht aufgedeckt werden". Forster unterstreicht dabei die Notwendigkeit, für Hybrid Work in neuen Prozessen und Abläufen zu denken und auch Dinge zu berücksichtigen, die in einer Präsenz-Kultur vielleicht nur eine geringe oder gar keine Relevanz besitzen.

"Revolution der Arbeit"

Dass, wie in der Studie durchscheint, viele der befragten Unternehmen bereits weit in der Digitalisierung fortgeschritten sind (oder sich zumindest dort sehen), bezeichnet der NFON-Manager als "interessant" - dieser Fortschritt zeige sich speziell im deutschen Markt jedoch nicht wirklich: "Wir erleben, dass gerade KMU nach wie vor große Herausforderungen auf dem Weg in die digitale Welt haben." Schließlich sei Hybrid Work kein IT-Projekt, sondern eine "Revolution der Arbeit". Tools und Prozesse müssten das New Normal abbilden und unterstützen. "Der eigentliche Wandel und die neue Art der kulturellen und inhaltlichen Zusammenarbeit sollte der zentrale Bestandteil dieses Change-Prozesses sein", so Forster. Nur so würden es Unternehmen schaffen, aus dieser Situation produktiver und stärker hervorzugehen.

Den Change erkennen und umsetzen

Eine "große, fundamentale Widersprüchlichkeit" erkennt Sybille Moll in der Studie, Head of Group Propositions Services beim IT- und Kommunikationsdienstleister Damovo. Der Zwiespalt öffne sich zwischen dem anerkannt hohen Nutzen von Hybrid Work für die Mitarbeiterzufriedenheit und Produktivität sowie der Studienerkenntnis, dass mehr als die Hälfte der Unternehmen und ihrer Geschäftsleitungen offensichtlich "kein Freund von Hybrid Work" sind. "Ich leite daraus ab, dass die im Grundsatz geänderte Arbeitsweise von Hybrid Work eben eine ganzheitliche Kraftanstrengung erfordert, die einem längerfristigen Change-Prozess unterliegt", so Moll. Allein dies in den Führungsetagen zu erkennen und die Umsetzung konsequent und nachhaltig mit den organisatorischen, prozessualen und technologischen Maßnahmen zu begleiten, werde der Schlüssel zum Erfolg sein.

Die Tool-Fäden zusammenführen

Da die Umsetzung von Hybrid Work eine komplexe Aufgabe ist, die viele unterschiedliche Bereiche involviert, empfiehlt Moll beratende Partner, die den Überblick über die verschiedenen Initiativen behalten. Auch Martin Kraus, Solution-Berater für Employee Experience bei ServiceNow, verweist auf die Nachteile eines IT-Zoos für Anwender: "Mitarbeitende im Home Office rätseln aufgrund der Vielzahl von Applikationen, welches Tool ihre konkrete Frage löst - wo beantrage ich Urlaub, wo korrigiere ich meine letzte Zeitbuchung, wo finde ich eigentlich den Lageplan des Büros oder die Reisekosten-Policy?" Hier könne Kraus zufolge nur eine einheitliche Employee Experience helfen und gleichzeitig offene Fragen oder Probleme mit Hilfe eines Chatbots oder eines Tickets schnell lösen.

Ohne das Management läuft es nicht

Wie man es dreht und wendet: Der Weg zum Hybrid Work führt immer über die oberste Management-Etage. ServiceNow-Experte Kraus sieht jedoch vielfach "fehlendes Vertrauen in die Mitarbeitenden, unklare Regelungen sowie Applikationen, die es kaum erlauben, dass sich die Menschen in der Hybrid Work-Umgebung selbst organisieren". Ein Beispiel: Durch einfache Buchungs-Tools, die Mitarbeitende selbst nutzen, können Schreibtische effizienter verplant und Platz gespart werden. Und für Jens Reichardt von SPIRIT/21 ist das Commitment des Managements von entscheidender Bedeutung bei der Einführung neuer Arbeitsmodelle: "Hybrid Work sollte vom Führungsteam nicht nur propagiert, sondern glaubwürdig vorgelebt und neu eingeführte Tools für Communication sowie Collaboration auch tatsächlich genutzt werden."

Attraktive und flexible Arbeitsplätze

Als Treiber verweist Freshworks-Manager Jens Leucke auf das vermutlich wichtigste Argument für den Wandel der Arbeit abseits der Business Continuity: "Das Management hat keine andere Wahl, als seine ablehnende Haltung abzulegen - Mitarbeitende werden sich Arbeitsplätze suchen, die ihren Ansprüchen auch in Bezug auf Digitalisierung und Hybrid Work gerecht werden." Nicht erst seit der "Great Resignation" würden Menschen von der Ausbildung bis zur Rente für mehr als einen Arbeitgeber tätig. Talente anzuheuern, könne nur gelingen, wenn Arbeitsplätze attraktiv und flexibel gestaltet würden, so Leucke: "Wenn man da nicht mit der Zeit geht, wird man sich künftig bei der Anwerbung neuer Mitarbeiter umsehen müssen."

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Jetzt im Shop: die Studie "Hybrid Work 2022"
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Foto: IDG Research Services: Daniela Petrini

Studiensteckbrief

Herausgeber: CIO, CSO und COMPUTERWOCHE

Platin-Partner: Campana & Schott GmbH; Freshworks GmbH; NFON AG

Gold-Partner: SPIRIT/21 GmbH

Bronze-Partner: Service-now.com GmbH; Damovo Deutschland GmbH & Co.KG

Grundgesamtheit: Oberste (IT-)Verantwortliche von Unternehmen in der D-A-CH-Region: strategische (IT-)Entscheider im C-Level-Bereich und in den Fachbereichen (LoBs), IT-Entscheider und IT-Spezialisten aus dem IT-Bereich

Teilnehmergenerierung: Persönliche E-Mail-Einladung über die Entscheiderdatenbank Entscheiderdatenbank von CIO, CSO und COMPUTERWOCHE sowie - zur Erfüllung von Quotenvorgaben - über externe Online-Access-Panels

Gesamtstichprobe: 318 abgeschlossene und qualifizierte Interviews

Untersuchungszeitraum: 31. Januar bis 7. Februar 2022

Methode: Online-Umfrage (CAWI) Fragebogenentwicklung & Durchführung: Custom Research Team von CIO, CSO und Computerwoche in Abstimmung mit den Studienpartnern