Zeit für Technologie-Entzug?

Suchtberatung für IT‘ler

24.04.2018
Von  und
Dan Tynan arbeitet als Autor für Infoworld und PCWorld.


Florian Maier beschäftigt sich mit diversen Themen rund um Technologie und Management.
Sie sind Kontrollfreak, Datenfanatiker oder Infrastruktur-Junkie? Ihre Sucht könnte Ihr Unternehmen zum Einsturz bringen. Wir sagen Ihnen, wie Sie clean werden.

Jedes menschliche Wesen hat schlechte Angewohnheiten. Diese Angewohnheiten können sich aber zu ernsthaften Zwängen auswachsen, was ein erhebliches Problem darstellt. Während - speziell für Jugendliche - eine gesteigerte Gefahr besteht, der Onlinesucht zu verfallen, haben IT-Profis im Unternehmensumfeld mit ihren ganz eigenen Dämonen zu kämpfen. Egal, ob Sie nun abhängig von Datenvisualisierungen sind oder regelmäßig wie paralysiert vor den blinkenden Lichtern Ihres Network Operations Center verharren - die Sucht nach Technologie kann die Produktivität killen, Budgets zum Platzen und Innovationen zum Stillstand bringen.

Wenn Sie unfähig sind, die Kontrolle über sich selbst wiederzuerlangen, können Technologie-Silos und Grabenkämpfe die Folge sein. Auch eine übermäßige Abhängigkeit von Künstlicher Intelligenz ist für Unternehmen unter Umständen eher das Gegenteil von hilfreich. Und auch wenn wohl jeder IT’ler auf tolles neues Tech-Spielzeug steht - das bedeutet nicht, dass dieses auch die kosteneffizienteste Lösung für Ihr Unternehmen darstellt.

Technologie-Sucht ist nicht nur was für Jugendliche. Insbesondere IT-Spezialisten sind gefährdet.
Technologie-Sucht ist nicht nur was für Jugendliche. Insbesondere IT-Spezialisten sind gefährdet.
Foto: igorstevanovic - shutterstock.com

Der erste Schritt zur Besserung besteht darin, dass Sie sich Ihr Problem eingestehen. Der nächste darin, unsere Empfehlungen zu lesen, wie Sie Ihre schlechten Angewohnheiten über Bord werfen.

IT-Sucht Nr.1: Daten

Weil Data heute Treiber für nahezu jede Geschäftsentscheidung ist, ist der Daten-Appetit der Unternehmen kaum zu stillen. Aber: Daten zu sammeln, einfach weil man es kann, macht keinen Sinn. Ohne Plan und Verständnis wie diese Daten zu nutzen sind, sollte man sich das Sammeln besser gleich sparen.

Laut einer Studie des SaaS-Anbieters Square Root verbringen Angestellte im Schnitt 20 Stunden pro Woche damit, Daten zu sammeln und zu analysieren. Leider nutzen diese Daten auf der anderen Seite lediglich 40 Prozent der Unternehmen. "Organisationen befinden sich in einer Analyse-Schockstarre," erklärt Sarah Kampman von Square Root. "Die Informationen können nicht in Verhaltensänderungen übersetzt werden, die den Erfolg treiben." Statt auf Big Data zu fokussieren, seien die meisten Unternehmen besser damit bedient, sich auf einen kleinen, aber für ihre Zwecke wesentlichen Datensatz zu konzentrieren, so die Expertin weiter.

"Ihre Unternehmensdaten auf einen Petabyte-großen Haufen zu schmeißen, wird Ihre Organisation nicht von Zauberhand in eine schlanke, datengetriebene Firma verwandeln, die täglich überperformt", stimmt Mike Meikle, Partner beim Beratungsunternehmen SecureHIM, ein. "Ja, Daten sind wertvoll, aber genauso wertvoll ist es, zu wissen welche Daten von Bedeutung sind, wie man diese nutzen kann und wer sie eigentlich managt."

Das Gegengift: Sie brauchen nicht auf kalten Daten-Entzug zu gehen, sollten aber selektiv vorgehen, wenn es darum geht, diese zu verwerten. Identifizieren Sie die Daten, die wirklich essenziell für Ihre Geschäftsentscheidung sind, bereinigen Sie diese und sortieren Sie Elemente aus, die nicht gebraucht werden.

IT-Sucht Nr.2: Künstliche Intelligenz

Ähnlich wie Big Data sind auch Künstliche Intelligenz (KI) und Machine Learning (ML) stets heiße Anwärter auf den Titel "Buzzword des Tages". Die weit verbreitete Annahme: Erstmal jede Menge Daten sammeln, diese dann durch den Machine-Learning-Wolf drehen und voilà: Instant Insights. Um es kurz zu machen: Nein.

Auch wenn Ihnen vielleicht etwas anderes zu Ohren gekommen ist: KI ist nicht die Lösung für jedes Problem. Das weiß Cristian Rennella, Mitbegründer und CIO des brasilianischen Finanzdienstleisters oMelhorTrato aus erster Hand: Nach neun Jahren, in denen die Personalabteilung Mitarbeiterfragen per Livechat und Telefon beantwortete, begann das Unternehmen damit, seinen eigenen Chatbot mit Hilfe von Googles TensorFlow-Plattform aufzubauen.

"Es war ein toller Erfolg", reüssiert Rennella. "Unser Unternehmen konnte 67 Prozent aller Anfragen automatisiert beantworten, die Mitarbeiterproduktivität konnte um 24 Prozent gesteigert werden. Auch für die Automatisierung von Sales-Anfragen erwies sich die Künstliche Intelligenz als geeignet."

Als man dann aber versuchte, die KI auch im Marketing-Bereich auszurollen, erwies sich das als Desaster. Der Grund: Die Künstliche Intelligenz konnte die Kundenbasis des Unternehmens nicht segmentieren - die Conversion-Rate sackte um 35 Prozent ab: "Wir haben gelernt, dass sich nicht jeder Bereich mit KI optimieren lässt," gibt Rennella zu.

Das Gegengift: Bringen Sie kleine Pilotprojekte zum Laufen, bevor Sie alles auf die KI-Karte setzen. So können Sie die Erfolgschancen für den jeweiligen Use Case besser abschätzen.

IT-Sucht Nr.3: Infrastruktur

Viele CIOs die den Großteil ihres Berufslebens damit verbracht haben, Data Center (und die Menschen, die es betreiben) zu managen, sind oft nicht fähig - oder willens - loszulassen. Sie sind süchtig nach ihrer Infrastruktur.

"Die Geräusche der Lüfter und die blinkenden Lichter gaben den IT’lern früher ein Gefühl von Kontrolle und Macht", weiß Chandra Sekar, Vice President des PaaS-Providers Avi Networks. "Wenn Sie einst durch die Gänge des Serverraums schlenderten, vorbei an den Load Balancern, Firewalls und Switches, konnten Sie einfach nicht anders, als eine Strichliste im Kopf zu führen. Hatten Sie mehr Sever und Appliances als die Konkurrenz, waren sie beim besseren Unternehmen. Hardware war eine Sucht."

Sekar selbst war ein Infrastruktur-Junkie und konnte seine Sucht erst überwinden, als er für Unternehmen arbeitete, die auf die Cloud setzten. Heute ist er zur Überzeugung gelangt, dass eine Hardware-zentrische Perspektive die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens einschränkt.

"CIOs verwenden zu viel Zeit auf die Infrastruktur, statt Ihr Unternehmen fit für die Zukunft zu machen. Die Zeit und das Budget wären in Daten-Initiativen oder der Weiterbildung von Mitarbeitern besser angelegt", bringt es Doug Bordonaro, Chief Data Evangelist bei ThoughtSpot, auf den Punkt.

Das Gegengift: Überlegen Sie sich ganz genau, welche Applikationen und Services auf On-Premise-Systemen verfügbar sein müssen. Der Rest kommt in die Cloud. Das sorgt dafür, dass CIOs wieder etwas mehr Freiraum haben, um sich mit strategischen Dingen zu befassen.