Im Mai 2022 schien der Streit schon fast beigelegt. Nachdem sich kleinere Cloud-Anbieter in Europa vehement über Microsofts Geschäftsgebaren beschwert hatten, gelobte der US-Konzern Besserung. Die Microsoft-Verantwortlichen räumten ein, dass ihre Softwarelizenzierungspraktiken kleinere Cloud-Anbieter in Europa benachteiligen und versprachen, in Zukunft besser kooperieren zu wollen. "Als großer Technologieanbieter sind wir uns unserer Verantwortung bewusst, ein gesundes Wettbewerbsumfeld und die Rolle, die vertrauenswürdige lokale Anbieter bei der Erfüllung der technologischen Anforderungen unserer Kunden spielen, zu unterstützen", schrieb Brad Smith, President und Vice Chair von Microsoft, damals in einem Blog-Beitrag.
Heute scheinen die Gräben tiefer als je zuvor. Der Streit eskaliert. "Trotz des großspurigen Geredes, den Kunden zuzuhören und neue Grundsätze zu übernehmen, hat sich wenig geändert", lautet das Fazit der Vereinigung Cloud Infrastructure Services Providers in Europe (CISPE). Im Gegenteil: "In vielerlei Hinsicht hat sich die Situation verschlimmert." Die CISPE-Verantwortlichen sprechen von vagen Versprechungen, Hinterzimmerabsprachen und undurchsichtigen Änderungen der Lizenzbedingungen. All dies sei kein Ersatz für klare, prinzipienbasierte Abhilfemaßnahmen, die der gesamten Branche zugutekämen.
Im Kern dreht sich der Streit darum, wie Microsoft Produkte wie Microsoft 365 und Windows immer tiefer mit seinen Cloud-Services und anderen Diensten verzahnt. "Das macht es fast unmöglich, mit eigenen SaaS-Diensten dagegenzuhalten", werfen die Konkurrenten Microsoft vor.
Vorwurf: Microsoft untergräbt fairen Wettbewerb
Der US-Konzern könne seine eigenen Softwareprodukte in der Azure-Cloud zudem immer günstiger anbieten als die Cloud-Wettbewerber, lautet ein weiterer Vorwurf. Außerdem würde Microsofts Software in den Clouds anderer Anbieter nicht so gut funktionieren, was den Wettbewerb zusätzlich behindere. Durch den Missbrauch seiner marktbeherrschenden Stellung untergrabe der Softwaregigant den fairen Wettbewerb und schränke die Wahlmöglichkeiten der Verbraucher auf dem Markt für Cloud-Dienste ein, klagten die Konkurrenten.
Microsoft vs. europäische Cloud-Anbieter
Nachdem sich an dieser Situation wenig geändert hatte, reichte CISPE im November 2022 eine offizielle Wettbewerbsbeschwerde gegen Microsoft bei der EU-Kommission ein. Aus Sicht der Konkurrenten haben Microsofts Initiativen nichts zur Lösung bestehender Probleme beigetragen. Statt unfaire Lizenzierungspraktiken zu ändern, habe Microsoft neue, unnötige und unfaire Praktiken eingeführt. Diskriminierende Preisstrukturen würden den Kunden die Azure-Infrastruktur aufzwingen. Darüber hinaus verlange Microsoft mit seinem neuen Cloud-Services-Provider-Hoster- (CSP-Hoster-)Programm zusätzliche Prüfungs- und Berichtsleistungen, wie beispielsweise die Weitergabe vertraulicher Kundendaten an Microsoft.
"Stecken in der Microsoft-Matrix fest"
CSP-Hoster mache es sicherlich einfacher, mehr Microsoft-Lizenzen zu verkaufen, so die Bilanz der CISPE-Verantwortlichen. Allerdings würden damit unabhängige Cloud-Infrastrukturanbieter zu reinen Wiederverkäufern von Microsoft-Software degradiert. Die letzten 12 Monate seien vergeudet gewesen und hätten es Microsoft ermöglicht, die eigene Lock-in-Monokultur weiter zu kultivieren, heißt es in einer Mitteilung von CISPE. "Manchmal haben wir das Gefühl, in der Microsoft-Matrix festzustecken."
Microsoft versucht derweil offenbar, Breschen in die Phalanx der Konkurrenz zu schlagen. Wie der britische IT-Nachrichtendienst "The Register" berichtet, hat Microsoft Ende März dieses Jahres ein Abkommen mit OVHcloud, Aruba S.p.A. und der Danish Cloud Community (DCC) geschlossen. Die drei Parteien hatten bereits im Sommer 2021 eigene Wettbewerbsbeschwerden gegen den US-Anbieter bei der EU-Kommission eingereicht. Die scheinen nun beigelegt. Über die Einzelheiten der jeweiligen Deals drang indes nichts an die Öffentlichkeit. Auf Anfrage wollte keiner der Beteiligten etwas zu der getroffenen Einigung sagen, berichtete der Online-Dienst.
CISPE pocht auf offizielle Untersuchung
In den Reihen von CISPE, zu deren Mitgliedern auch OVHcloud und Aruba zählen, sorgten die Alleingänge für Irritationen. Die Entscheidung des Trios, sich separat mit Microsoft zu einigen, sei enttäuschend, ließ CISPE-Generalsekretär Francisco Mingorance durchblicken. "Was unsere Mitglieder beunruhigt, ist, dass noch immer nicht klar ist, worum es sich bei diesen Vereinbarungen handelt." Solche Deals könnten den Rest des Cloud-Markts ruinieren, wenn nicht alle Anbieter davon profitierten.
CISPE werde an seinem Vorgehen festhalten, beteuerten die Verantwortlichen. Wenn Zugeständnisse zur Lösung der Probleme angeboten würden, müssten sie für den gesamten Markt gelten. Jedes Anwenderunternehmen müsse in der Lage sein, die von ihm gewünschte Software in der Cloud seiner Wahl ohne finanzielle, technische oder andere unfaire Einschränkungen zu betreiben. Um dies zu erreichen, sei eine förmliche Untersuchung der beste Weg, hieß es.
EU-Kommission bereitet Prüfung vor
Tatsächlich scheinen die Kartellbehörden eine offizielle Untersuchung vorzubereiten. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete kürzlich, dass die EU-Kommission derzeit Cloud-Provider und Microsoft-Konkurrenten sowie deren Kunden über möglicherweise wettbewerbsschädigende Praktiken Microsofts befragt. In einem Fragebogen, der an Cloud Service Provider (CSPs) verschickt wurde und der von Reuters eigenen Angaben zufolge eingesehen werden konnte, bat die Europäische Kommission die Empfänger um eine Liste von Vertragsklauseln, die diese Unternehmen dazu verpflichten, Informationen über ihre europäischen Kunden an Microsoft zu melden.
Die EU-Wettbewerbshüter wollten Reuters zufolge wissen, wie häufig die Meldungen erfolgen, für welchen Zeitraum und in welchem Format die Daten angefordert werden und ob die Informationen direkt an Microsoft oder an einen Wirtschaftsprüfer geschickt werden. "Die Kommission hat mehrere Beschwerden über Microsoft erhalten, auch in Bezug auf sein Produkt Azure, die wir auf der Grundlage unserer Standardverfahren prüfen", zitiert die Nachrichtenagentur einen Sprecher der EU-Exekutive.
Digital Markets Act gibt Kartellwächtern mehr Macht
Grundlage für die Untersuchungen der EU-Kommission bildet der Anfang November 2022 in Kraft getretene und seit dem 2. Mai dieses Jahres geltende Digital Markets Act (DMA) der EU. Mit diesem Regelwerk wollen die Wettbewerbshüter marktbeherrschende Konzerne, sogenannte Gatekeeper, in die Schranken weisen und besser kontrollieren. Der DMA setzt beispielsweise bestimmte Verhaltensregeln fest, was das Handling von Daten, die Interoperabilität oder die Bevorzugung eigener Dienste betrifft. Bei Verstößen drohen Bußgelder, die sich für Wiederholungstäter auf bis zu 20 Prozent des weltweiten Jahresumsatzes belaufen können.
Auch in Deutschland haben die Wettbewerbshüter Microsoft im Visier. Ende März 2023 hat das Bundeskartellamt ein Verfahren gegen Microsoft eingeleitet, um zu prüfen, ob dem Unternehmen eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. "Microsoft hat mit Windows und den Office-Produkten traditionell eine sehr starke Stellung bei Betriebssystemen und Büro-Software", sagte Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts. Man beobachte eine stark gewachsene Bedeutung der Cloud-Dienste Azure und OneDrive, die vielfach mit anderen Microsoft-Anwendungen verbunden sind. Es gebe gute Gründe zu prüfen, ob Microsoft eine überragende marktübergreifende Bedeutung zukommt, stellte Mundt fest. "Eine solche Feststellung würde es uns erlauben, etwaige wettbewerbsgefährdende Verhaltensweisen frühzeitig aufzugreifen und zu untersagen."
Frank Karlitschek, Geschäftsführer und Gründer der Nextcloud GmbH, begrüßte das Vorgehen der hiesigen Kartellbehörden. "Microsoft agiert weiterhin als Türsteher und wählt die Gewinner und Verlierer aus. Und natürlich profitieren ihre eigenen Dienste immens davon, da sie von Wettbewerbern abgeschirmt werden." Karlitschek spricht von einem dreisten Versuch, die eigenen Dienste auf Kosten der Konkurrenten zu fördern und den Markt zum eigenen Vorteil zu verzerren. Das schade den Verbrauchern und dem Markt, und bedrohe die digitale Souveränität von Ländern: "Gemeinsam mit unseren Koalitionsmitgliedern fordern wir die deutschen und die EU-Behörden auf, gleiche Wettbewerbsbedingungen durchzusetzen und den Verbrauchern Wahlmöglichkeiten und dem Wettbewerb eine faire Chance zu geben."