17 Uhr. Der Hörsaal füllt sich. Rund 40 Studentinnen und Studenten nehmen Platz. Sie kommen aus ganz verschiedenen Fachrichtungen. Einige von ihnen sind erst am Anfang ihres Studiums; andere wollen es in Kürze beenden. Im Mittelpunkt steht eine Studentin, die sich bei der Wilken GmbH, dem größten Softwarehersteller in Ulm, beworben hat. "Das Neue an der Aktion ist die Möglichkeit, dass man zuschauen kann", sagt Wilken-Kommunikationschef Wolfgang Grandjean, der die Idee für die ungewöhnliche Live-Vorstellung hatte. "Zwischendurch frieren wir das Gespräch ein, und ich gebe Informationen, warum welche Frage kommt und welche Hintergedanken wir damit verfolgen." Und er deutet den wirtschaftlichen Hintergrund der alternativen Lehrstunde an.
"Eine Vielzahl der Bewerbungen, die täglich bei der Wilken Unternehmensgruppe eingehen, entsprechen nicht den heutigen Anforderungen", konstatiert Grandjean. "Die Bewerber tun sich schwer, ihre eigenen Stärken in die richtigen Worte zu fassen, sind im Bewerbungsgespräch auf Standardfragen nicht vorbereitet und haben Angst, weil sie nicht wissen, was sie erwartet. Deshalb haben wir zu diesem Trainingslager eingeladen."
Reales Gespräch mit Höhen und Tiefen
Das Gespräch unter den Augen der Zuschauer beginnt. Geschäftsführer Andreas Lied sitzt Nina Weiß gegenüber, die sich um eine Stelle im Marketing beworben hat. "Haben Sie gut hergefunden?", fragt er, um die Atmosphäre aufzulockern, wie Moderator Grandjean bei der ersten Unterbrechung wenig später erklärt. Gleichzeitig solle damit herausgefunden werden, ob jemand ein Umstandskrämer ist oder mit beiden Beinen fest im Leben steht. Auch die Fähigkeit zum Small Talk werde damit getestet. Im weiteren Verlauf soll die Bewerberin, Studentin des Studiengangs Informations-Management und Unternehmenskommunikation, über ihr Praktikum bei einem führenden Automobilhersteller berichten.
"Aus dem Zeugnis lese ich, dass Sie mit Ihrem Chef nicht klargekommen sind", sagt der Geschäftsführer. "Was war da los?" Die Job-Kandidatin versucht zu erklären, was ihr aber aus Sicht des möglichen künftigen Arbeitgebers nicht gelingt. "Machen Sie nicht Ihren früheren Arbeitgeber schlecht", warnen die Praktiker in der späteren Analyse. "Das kommt nicht gut an!" Insgesamt jedoch antwortet Weiß "präzise und eloquent", so die Wilken-Führungskräfte, Fachfragen zu Trends und Hintergründen im Softwaremarkt und macht einen hervorragenden Eindruck. Allerdings wird der positive Eindruck auch wieder getrübt - beispielsweise als sie gefragt wird, wo sie sich in zehn Jahren sieht. "Nach zwei oder drei Jahren möchte ich meinen Master im Ausland machen." Kaum ausgesprochen, wird die Situation zur Reflexion eingefroren. "An dieser Stelle hätten wir normalerweise das Vorstellungsgespräch höflich abgebrochen", sagt der Kommunikationschef. "Denn hier bewirbt sich ein Berufseinsteiger, der uns sofort sagt, dass er uns nur als kurzes Sprungbrett sieht. Wir aber investieren nicht deshalb in seine Ausbildung, um ihn dann sofort wieder zu verlieren. Das ist vertane Liebesmühe!"
"Warum sollen wir gerade Sie einstellen?" Diese Frage stellt der Firmenchef mehrmals. Die Bewerberin tut sich schwer. "Das stellen wir oft fest", klärt Grandjean auf. "Viele Bewerber stellen ihre Stärken zu wenig heraus." Dabei sei dies eine Standardfrage, auf die man sich in Ruhe zuhause vorbereiten könne. "Dass die Frage kommt, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Denn wir wollen wissen, welchen Nutzen der Bewerber uns bringt. Und wir wollen damit testen, ob er die Nutzenargumentation aus der Sicht des Auftraggebers beherrscht", so der Grandjean. Denn im späteren Berufsleben erwarte sein Arbeitgeber von den Mitarbeitern auch, dass sie sich in den Kunden hineinversetzen und aus deren Brille argumentieren.
"Die Bewerberin hat das Vorstellungsgespräch gut gemeistert", resümiert Wilken-Geschäftsführer Lied. "Wir können über eine Anstellung reden, wenn sie ihr Studium beendet hat. Ich sehe sie allerdings eher im Produkt-Management als im Marketing." Auch die "Probantin" ist zufrieden. "Ich habe viel in dem Vorstellungsgespräch gelernt. Besonders, dass ich mehr über meine Stärken sprechen muss." Die Unterbrechungen hätten sie nicht gestört. Vielmehr seien diese sehr hilfreich gewesen. "Die Aufmerksamkeit ging von mir aufs Publikum. Dadurch wurde ich zur Zuschauerin und konnte über die Distanz die Kritik annehmen."