Gründer im FMCG-Markt

Startup aus der Überraschungsbox

08.07.2020
Von 
Hans Königes war bis Dezember 2023 Ressortleiter Jobs & Karriere und damit zuständig für alle Themen rund um Arbeitsmarkt, Jobs, Berufe, Gehälter, Personalmanagement, Recruiting sowie Social Media im Berufsleben.
Pull statt push, digital statt analog: Mit dieser Änderung des Geschäftsmodells könnte André Moll mit seinem Startup Utry.me den Markt für Fast Moving Consumer Goods umwälzen.

Bereits während seines Studiums im Fürstentum Liechtenstein gründete André Moll sein erstes Unternehmen - natürlich im Bereich Fast Moving Consumer Goods (FMCG). Er hatte sich vom Trend zu Überraschungsboxen in den USA inspirieren lassen, womit schnelllebige Konsumgüter in den Markt gebracht werden sollen. Frei nach dem Motto "Was der Bauer nicht kennt...", erhalten Verbraucher Pakete mit Produktproben, um sich direkt ein Bild von neuen Erzeugnissen machen zu können. Während der 2010er-Jahre schwappte dieser Vermarktungstrend nach Deutschland und Moll sah hier seine Chance: Für 9,99 Euro brachte er mit seinem Unternehmen Überraschungsboxen an Frau und Mann. Aus heutiger Sicht war sein Ausstieg im Jahr 2017 folgerichtig, denn diesem Geschäftsmodell fehlen ganz deutlich skalierbare Grundelemente.

Surprise, surprise: Mit Überraschungsboxen fing alles an - inzwischen begeistert Gründer André Moll mit dem nach eigener Aussage weltweit ersten und einzigen Online-Probiermarkt, der ohne Preise auskommt, seine Kunden.
Surprise, surprise: Mit Überraschungsboxen fing alles an - inzwischen begeistert Gründer André Moll mit dem nach eigener Aussage weltweit ersten und einzigen Online-Probiermarkt, der ohne Preise auskommt, seine Kunden.
Foto: Master1305 - shutterstock.com

Doch die grundsätzliche Idee ließ ihn nicht los, auch nicht auf der sich anschließenden Weltreise. Ein Amerikaner, mit dem er auf seiner Tour durch Zentralamerika ins Gespräch kam, erwies sich schließlich neben vielen anderen Beobachtungen als wichtiger Impulsgeber: Der Mann gratulierte Moll zu seiner Pleite mit dem ersten Geschäftsmodell - eine ungewöhnliche Sichtweise für deutsche Unternehmer. Doch entscheidend in seiner Argumentation war Molls Alter, denn er hätte die wichtige Grenze von 30 Jahren nicht überschritten. Wer bis zu diesem Alter als Unternehmer scheitert, so sein Credo, schaffe es später nämlich zum großen Erfolg. Derart motiviert nahm sich Moll die ursprüngliche Idee noch einmal vor, veränderte einige grundlegende Prämissen und feilte an jedem Tag seiner Reise ein wenig an seiner sich so langsam abzeichnenden neuen Geschäftsidee. Das Ergebnis sollte nicht weniger als eine kleine Revolution für den FMCG-Sampling-Markt werden.

FMCG: Pull statt push, digital statt analog

Bei Fast Moving Consumer Goods handelt es sich grundsätzlich um Produkte, die meist nur gekauft werden, nachdem sie wenigstens einmal probiert wurden. Erschwerend kommt hinzu, dass dieser Entscheidungsprozess oft geraume Zeit in Anspruch nimmt. Auf der anderen Seite locken jedoch interessante Margen. Moll stellte sich die Grundsatzfrage: Was ist der entscheidende Punkt bei diesem Geschäft? Die Antwort war schnell gefunden: ein treuer Kundenkreis, der sich nur mit wenigstens einem erfolgreichen Probierkontakt akquirieren lässt.

Ein Blick auf den traditionellen FMCG-Markt zeigte, dass dieser traditionell auf der Push-Basis funktionierte: Supermarkt-Promotionen, Fußgängerzonen-Samplings oder Überraschungsboxen, alle diese Aktivitäten zielen salopp gesagt darauf ab, den potenziellen Kunden etwas "aufs Auge zu drücken". Bei dieser Vorgehensweise sind hohe Streuverluste vorprogrammiert, die wiederum die Kostenseite der FMCG-Hersteller deutlich belasten, weil die Empfänger der Samplings diese oft überhaupt nur aus Verlegenheit oder Bequemlichkeit annehmen.

Aus diesen Analysen zog Moll seine Schlussfolgerungen und eliminierte die Negativfaktoren des bisherigen Geschäftsmodells: pull statt push und digital statt analog. Die Kombination dieser beiden gravierenden Veränderungen verbessert die Effizienz beim Sampling entscheidend. Die Probanden wählen selbst aus und ihre Probierkontakte werden konsequent digital getrackt. Moll ging ans Werk: Mit nur 5000 Euro Kapital setzten er und sein Mitgründer Tobias Neuburger nicht nur das Konzept vollständig auf, sondern realisierten auch die Entwicklung der Plattform, die Dreh- und Angelpunkt des Geschäftes werden sollte.

Utry.me: Nagelprobe auf der ANUGA

Die beste Idee nützt jedoch nichts, wenn sie sich nicht in der Praxis als tauglich erweist. Im Oktober 2017 ergab sich mit der Lebensmittelmesse ANUGA in Köln die Chance auf einen Belastungstest, die Moll nutzte. Auf der weltgrößten Lebensmittelmesse präsentieren sich die einschlägigen Hersteller mit ihren Produktneuheiten nicht nur der Fachwelt, sondern einem breiten Publikum. Moll und sein Partner führten eine Vielzahl von Gesprächen. Nach drei Tagen hatten über 50 Hersteller ihr Interesse an einer Zusammenarbeit bekundet. Damit war die Entscheidung endgültig gefallen.

Es brauchte noch ein halbes Jahr an Vorbereitung, bis der erste Probiermarkt ohne Preise offiziell an den Start ging: Utry.me war 2018 online und von Beginn an erfolgreich. Nicht nur die Hersteller, sondern auch die Probanden nahmen das Angebot der Sampling-Plattform gerne an. Da das Startup aus eigenen Mitteln finanziert war, konnte es linear und organisch wachsen. Moll und Neuburger erweiterten Schritt für Schritt die Kapazitäten. Doch es sollte ein außergewöhnliches Ereignis sein, das das Wachstum schlagartig beschleunigte.

Corona: Startup-Wachstumsbeschleuniger

Während der im März 2020 verhängte Shutdown einen drastischen Eingriff in das öffentliche Leben markierte, löste er einen Ansturm auf den Probiermarkt utry.me aus. Innerhalb nur weniger Tage registrierten sich nicht nur mehr neue Nutzer, sondern auch die Anzahl der georderten Probierpakete stieg rasant an - jeweils um mehr als 100 Prozent. Damit hatte niemand gerechnet. Team und Logistik sahen sich mit enormen Herausforderungen konfrontiert. Doch die junge Truppe hatte die passende Antwort: Personal, Lager und Serverleistung wurden schnell erweitert und hielten dem Wachstum statt. Im Gegenteil, utry.me überholte die traditionellen Sampling-Kanäle nicht nur inhaltlich, sondern auch in puncto Reichweite.

Utry.me-Mitbegrunder André Moll: "Utry.me überholte die traditionellen Sampling-Kanäle nicht nur inhaltlich, sondern auch in puncto Reichweite."
Utry.me-Mitbegrunder André Moll: "Utry.me überholte die traditionellen Sampling-Kanäle nicht nur inhaltlich, sondern auch in puncto Reichweite."
Foto: André Moll - utry.me

Heute können Moll und Neuburger konstatieren, dass sie den weltweit ersten und bislang einzigen Online-Probiermarkt führen, der ohne Preise auskommt. Es werden nicht nur neue Lebensmittel präsentiert und vor allem probiert, bevor sie überhaupt in die Regale kommen, sondern sich auch schon frühzeitig entwickelnde Lebensmitteltrends identifiziert. Mehr als 200 Hersteller profitieren mittlerweile von den wertvollen Informationen, die sie auf diese Weise generieren können. Gleichzeitig sorgen sie dafür, dass das Sortiment wöchentlich aktualisiert werden kann und damit für die Nutzer interessant bleibt. Es ist zum einen die Produktvielfalt, die utry.me so ansprechend macht, zum anderen der pauschale Paketpreis: Für 24,90 Euro stellen sich die Probanden nämlich ihr Paket selbst zusammen - und das ganz ohne lästiges Abo. Dabei müssen sie nicht nur auf ihr Gefühl bauen, sondern können sich in den regelmäßigen Online-Live-Messen und an den über soziale Kanäle publizierten Produktinformationen orientieren.

FMCG-Plattform: Daten als entscheidendes Wirtschaftsgut

Wenn Moll formuliert, dass utry.me bis 2025 zur führenden FMCG-Sampling-Plattform in Europa avancieren soll, ist das keine Utopie. Mit einem ersten utry.me-TV-Spot wurde zwischenzeitlich ein weiterer Meilenstein auf diesem Weg gesetzt. Und ein weiterer Aspekt ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung: Die sukzessiv wachsende Datenbasis eröffnet vor allem den Herstellern ein ausgesprochen interessantes Potenzial. Kundenpräferenzen lassen sich anonymisiert und nach Alter, Geschlecht, Herkunft und natürlich Produktkategorien per Klick generieren. Diese Daten und die erwünschten User Feedbacks kürzen nicht nur die wichtigen Entscheidungsprozesse ab, sondern erweisen sich im Vergleich zu herkömmlichen Marktforschungsstudien als deutlich kostengünstiger. Hier stehen die Signale klar auf Grün.