Case-Study Cortal Consors

Spagat zwischen agil und klassisch

19.05.2014
Von  und
Markus Maurer ist zertifizierter Projektmanager (Certified Agile Project Manager, IAPM) und Project-Manager Website & Mobile bei Cortal Consors Deutschland. Sein Aufgabenfeld umfasst unter anderem Projektplanung, Projektsteuerung und Kontrolle, Projekt-Reporting und Risiko-Management. Von sich selbst sagt er: „Projektlaufzeiten von einem Jahr sind das Maximum, das ich verkraften kann“. Dementsprechend groß ist sein Engagement, agile Vorgehensweisen in das Projektmanagement einfließen zu lassen.
Dr. Roland Ottmann ist Vorsitzender des IAPM Fachbeirats, Autor von Fachpublikationen und Geschäftsführer der Ottmann & Partner GmbH - einem Trainingsunternehmen für Projektmanagement in Deutschland. Er gilt als Experte für Projektmanagement, hatte über viele Jahre hinweg den Vorsitz der Deutschen Gesellschaft für Projektmanagement inne und initiierte 1996 den Deutschen Projektmanagement Award sowie 1998 den International Project Management Award.

Wasserfall-Methode mit agilem Projekt-Management kombiniert

Trotz aller Abweichungen vom normalen Prozedere: Agiles Projekt-Management in Reinkultur wurde dennoch nicht betrieben, dafür blieb keine Zeit. Allerdings nutze das Team die Checkliste aus dem Agile Project Management Guide 2.0 des Projekt-Management-Verbands IAPM. Ein Project Owner wurde nicht benannt, weil sich das benötigte fachliche Know-how für die Content-Organisation beziehungsweise für die Konzeption der App kaum einer einzelnen Person übertragen ließ.

Aufbau der App

Grundsätzlich wurden für die iPhone-Applikation Bereiche für zwei unterschiedliche Nutzertypen entwickelt: Ein offener Bereich, in dem der Anwender ohne die Notwendigkeit eines Log ins Marktinformationen abrufen, eine persönliche Watchlist einrichten sowie Wertpapiere suchen und dazugehörige Informationen einsehen kann. Struktur und Inhalte dieses Segments wurden in weiten Teilen dem Internet-Auftritt von Cortal Consors entnommen.

Der zweite Bereich ist nur für eingeloggte Kunden sichtbar. Er bietet eine Übersicht über die eigenen Konten und Depots - inklusive Verzinsungen und aktueller Umsätze - sowie die Möglichkeit, Überweisungen zu tätigen oder Wertpapiere zu kaufen und zu verkaufen.

Workshops als wichtigstes Tool

Bei der Entwicklung der App wurde aber nicht nur wegen des knappen Zeitrahmens auf das lineare Vorgehen des offiziell verwendeten Wasserfall-Ansatzes verzichtet. Ein weiterer Grund war der, dass es inhouse keinerlei Erfahrungen mit der Entwicklung mobiler Applikationen gab, weshalb von Anfang an eine französische Agentur mit Spezialisierung auf Applikationen für das Apple iOS Betriebssystem ins Boot geholt wurde, mit der man jedoch im Vorfeld noch nicht zusammengearbeitet hatte. Und auch die Apple-Entwicklungsplattform X-Code war für die Cortal-Consors-Mitarbeiter Neuland.

Als eines der wichtigsten Tools im Projektverlauf stellten sich die ein- bis zweitägigen Workshops heraus - insgesamt fünf allein in der Konzeptionsphase. In ihnen trieben interne und externe Projekt-Mitarbeiter gemeinsam Konzept und Design der Applikation voran. Noch während des Workshops und auf Basis der bereits pro-aktiv erstellten Prototypen konnte die verpflichtete Agentur zudem die systemseitige Spezifikation ausarbeiten und dadurch ad hoc Einwand bei Wünschen erheben, die das Projekt maßgeblich verzögert hätten.

Das Ergebnis der Workshops und damit auch der Konzeptionsphase präsentierte sich nicht als klassische Spezifikation sondern als Wireframes beziehungsweise als Grobentwurf der Applikation. Er stellt das Mapping von User-Interface-Elementen wie Eingabefelder und Buttons mit den diversen Diensten dar, die Inhalte wie News und Kurse liefern. Dieser Grobentwurf wurde als offizielle "Business Requirement Specification" zu einem wesentlichen Bestandteil des Agenturvertrags. Die systemseitige Spezifikation wurde dagegen erst im Verlauf der Programmierphase fertiggestellt.

Drei Herausforderungen für mobiles Pioniertum

Zusätzlich zum engen Zeitrahmen bis zum Go Live machten drei weitere Faktoren das iPhone App-Projekt zu einer Herausforderung für die Projektverantwortlichen:

1. Gemeinsame App für Deutschland und Frankreich

Weil die Kosten für die App-Entwicklung zu gleichen Teilen zwischen Deutschland und Frankreich geteilt wurden, wurden Vorstellungen und Wünsche beider Länder gleich gewichtet. Das Projektteam setzte sich aus insgesamt vier Mitarbeitern aus Frankreich und Deutschland sowie einem zentralen Projekt-Manager zusammen, die sich auf ein gemeinsames Oberflächendesign einigen mussten.

Während dies beim iPhone-Projekt relativ schnell gelang, drohte die darauffolgende Entwicklung der gemeinsamen iPad-Variante beinahe zu scheitern. Zu unterschiedlich war die Anspruchshaltung: So vertrat das französische Projektanagement die Meinung, dass das Design einen wesentlichen Einfluss auf die Akzeptanz beim französischen Nutzer habe - und entwickelte unaufgefordert eigene Designvorschläge, die es dem zentralen Projekt-Management in Deutschland vorlegte. Schließlich kamen zu den teilweise unterschiedlichen Templates, die aus fachlichen Anforderungen heraus entstanden waren, auch leichte Designunterschiede hinzu.

2. Entwicklungsumgebung deren Verfügbarkeit über das Release-Management koordiniert wurde

Mobile Applikationen von Cortal Consors sind keine isolierten oder autarken Lösungen. Tatsächlich sind sie mit einer ganzen Reihe verschiedener Datenbanken (mit Markt- und Kursdaten) sowie Konto- und Depot-Daten des jeweiligen Kunden verknüpft. Dies zeigte sich gerade in der Programmier- und Testphase als nicht eingeplante, aber große Herausforderung. So mussten beispielsweise Test-Accounts für die Entwickler immer wieder neu angelegt und Testdaten (Konto- und Depotdaten) aufgebaut werden, weil - vom Projektteam unbemerkt - parallel zur Testphase ein sogenannter Datenbankbestands-Neuaufbau stattfand, wodurch die Testdaten immer wieder gelöscht wurden. Programmierarbeiten und Tests wurden also immer wieder unterbrochen - teilweise mehrere Tage lang.

3. Dokumentation bzw. Requirements Engineering

Die Entwicklung der iPhoneApp war für das Projekt-Management ein echtes Innovationsprojekt. Daher hat man sich an den Applikationsrastern vorhandener Web-Applikationen orientiert und diese Schrittweise den Erfordernissen angepasst. Die Fachverantwortlichen hatten jedoch keine Erfahrung mit der Dokumentation und dem zentralen Projekt-Manager fehlt die Zeit, sich darum zu kümmern. Stattdessen wurde mit Wireframes gearbeitet, die in PowerPoint erstellt wurden und zahlreiche Zusatzmerkmale umfassten, wie beispielsweise Kommentare, eindeutige Bezeichnung des Wireframes, Abweichungen für die Länderversionen, Beschreibung des Applikationsverhaltens im Fehlerfall und Verknüpfung mit einem Styleguide.

Lenkungsausschuss: Monatlich statt Meilenstein-gebunden

Auch hier rückte das Projektteam vom Wasserfall-Prinzip ab. Während offiziell jeder Meilenstein vom Lenkungsausschuss abgenommen werden musste, wurde darauf in der Praxis verzichtet. Stattdessen organisierte die Projektleitung in Abstimmung mit der IT-Entwicklung und mit den französischen Kollegen monatlich meilensteinunabhängige Sitzungen mit allen für den jeweiligen Projektstand relevanten Stakeholdern. Wegen des Pioniercharakters des Projekts war das Interesse daran so groß, dass schließlich rund 25 Mitarbeiter dem Lenkungsausschuss angehörten. Während der Sitzungen wurden der aktuelle Projektstand sowie die Budgetentwicklung vorgestellt, aufgetretene Herausforderungen und mögliche Lösungsansätze diskutiert und teilweise auch Budgetfragen direkt entschieden. Dabei wurde wegen des engen Zeitrahmens auf viele Kennzahlen und Formalien verzichtet.

Fazit: Erwartungen weit übertroffen

Die Bedeutung der Projektsponsoren spielte für den Projekterfolg eine entscheidende Rolle. Ohne die vielen Zugeständnisse, die die Geschäftsleitung und obersten Management-Ebenen gegenüber den Projektverantwortlichen im Hinblick auf Einhaltung der offiziellen Richtlinien gemacht haben, wäre eine Umsetzung innerhalb der vorgegebenen neun Monate nicht denkbar gewesen. Als ebenso wichtig erweis sie, dass sich das Projekt-Management offen gegenüber agilen Methoden zeigte.

Die Flexibilität hat sich ausgezahlt. Heute schon entfallen etwa fünf Prozent aller Trading-Aktivitäten bei Cortal Consors auf mobile Applikationen. Folgerichtig kürte das Anlegermagazin Börse Online Cortal Consors zur besten Direktbank des Jahres 2012 in der Kategorie Mobile Banking.

Die wichtigsten Erkenntnisse
  • Praktisch und persönlich statt Strategie auf dem Papier: Die direkte Zusammenarbeit mit der IT im Rahmen von Workshops bereits in der Konzeptionsphase und auf Basis von Prototypen hat sich bewährt und wird beibehalten.

  • Mehr Transparenz und Abstimmung: Die Abteilung Release-Management wird über geplante und laufende App-Entwicklungsprojekte regelmäßig und frühzeitig informiert, sodass im Idealfall keine Web-Entwicklungsprojekte mehr parallel laufen, die Einfluss auf die Entwicklungsarbeiten haben könnten. Umgekehrt informiert die Web-Entwicklung proaktiv über geplante Projekte. In absehbarer Zeit die App-Release-Planung in die gesamte Applikations-Release-Planung integriert werden.

  • Verfügbarkeit eigener Testlinien für Webservices: Damit will man sicherstellen, dass die Unabhängigkeit von der gesamten Applikations-Release-Planung gewährleistet ist. Nachteil: Kostenfaktor.

Über die IAPM:

IAPM Logo
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Foto: IAPM

Die International Association of Project Managers (IAPM) wurde 1997 gegründet und ist ein weltumspannender Verband mit Zertifizierungsstelle für Projektmanager. Die IAPM bietet unterschiedliche Zertifizierungsmöglichkeiten an, unter anderem auch die zum "Certified Agile Project Manager" speziell für IT-Projektmanager. Grundlage der Zertifizierung für Projektmanager ist der "PM Guide 2.0" (Hrsg. 2010) und für Agile Projektmanager der "Agile PM Guide 2.0" (Hrsg. 2013). Die Guides sind in enger Zusammenarbeit mit international agierenden Projektmanagern entstanden. Schon heute besitzen Mitarbeiter namhafter Unternehmen wie Cortal Consors, Siemens, DB ProjektBau oder Toptica Photonics IAPM-Zertifikate und profitieren somit langfristig vom Know-how und Renommee des Verbandes.www.iapm.net