Social passiert - ob man will oder nicht", sagt Hartmut König, Senior Solutions Consulting Manager bei Adobe. Und meint damit: Selbst ein Unternehmen, das mit sozialen Netzwerken, Blogs oder Twitter wenig anfangen kann, wird nicht verhindern können, dass auf eben diesen Plattformen über seine Produkte oder sein Image diskutiert wird.
Viele Firmen verfolgen daher diese Diskussionen systematisch und versuchen, daraus Schlüsse für ihr Geschäft zu ziehen. Wie wird die eigene Marke wahrgenommen? Wie kommen einzelne Produkte an? Wer sind die Meinungsmacher? Gibt es Trends, die für den eigenen Absatz relevant sind? Solche und andere Fragen sollen durch Social Analytics beantwortet werden - also durch die Analyse der Inhalte, die User auf Facebook, Twitter und anderen Seiten veröffentlichen.
Sentiment-Analyse für Stimmungen
Anbieter wie IBM, Salesforce, Microsoft oder Adobe haben dafür Systeme entwickelt. Meist geht es darum, die Daten, die nach vorgegebenen Kriterien auf den Social-Media-Seiten gesammelt werden, in einem Data Warehouse zu speichern und mit Werkzeugen für Text-Mining oder auch Textanalyse auszuwerten - mit statistischen und linguistischen Verfahren. Dabei kategorisieren die Programme die Web-Inhalte zunächst und erkennen dann, von wem oder wovon in einem Text die Rede ist. Im Rahmen einer Sentiment-Analyse lässt sich dann die Tonalität feststellen - also ob positiv, negativ oder neutral berichtet wird.
Social Analytics eigne sich ideal für Unternehmen in Massenmärkten, meint Frank Heuer, Analyst bei der Experton Group. So sind etwa Automobilhersteller und Telekommunikationsunternehmen bereits sehr aktiv dabei, das Social Web zu durchforsten. Auch die Finanzindustrie nutzt entsprechende Möglichkeiten. 57 Prozent der Unternehmen arbeiten mit Social Media Monitoring, heißt es in einer Studie zum Thema RoI und Social Media, welche die Universität St. Gallen in Zusammenarbeit mit der Werbeagentur Publicis und den IT-Anbietern Adobe und Akamai umgesetzt hat.
Befragt wurden 186 Firmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Selbst in der öffentlichen Verwaltung lauscht man den Diskussionen im Netz. Die Stadt Heidelberg arbeitet zum Beispiel mit dem Social-Analytics-Werkzeug von SAS Institute. Die Lösung soll die Verantwortlichen dabei unterstützen, allgemeine Stimmungstrends zu identifizieren und zu verstehen. Dafür werden die Inhalte auf Plattformen wie Facebook, Flickr, Twitter und Youtube sowie Blogs und Foren durchsucht.
Via Social Media neue Mitarbeiter finden
Je größer die Zahl der Kunden, desto mehr Beiträge wird es zu einem Unternehmen und dessen Produkten im Internet geben. Und desto verlässlicher sind die Erkenntnisse, die sich daraus theoretisch gewinnen lassen. Heuer glaubt daher, dass Social Analytics für Bereiche wie etwa Investitionsgüter eher weniger Erfolg verspricht: "Hier gibt es in der Regel eine Eins-zu-eins-Kommunikation."
Doch selbst für den typischen schwäbischen Maschinenbauer sieht Adobe-Mann König in der Analyse von Social-Media-Inhalten einen Nutzen: "Solche Unternehmen befinden sich im Kampf um junge Mitarbeiter." Für diese Firmen sei es daher wichtig, sich über Social Media als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren und zu beobachten, wie das eigene Unternehmen bei den jungen Leuten wahrgenommen wird.
Welchen Nutzen Social Analytics aber tatsächlich bringt, lässt sich nur schwer erfassen. Die Autoren der St. Gallener Studie berichten, dass zum Beispiel die Allianz AG dank einer entsprechenden Strategie in Krisensituationen schneller reagieren könne. Das habe sich schon in mehreren sogenannten Shitstorms bewährt. Die jeweiligen Diskussionen auf den Facebook-Seiten der Allianz seien dadurch innerhalb von 36 bis 72 Stunden komplett abgeebbt.
Stimmungen frühzeitig zu erkennen gelingt also ganz gut. Doch wenn es um zählbare Vorteile durch Social Analytics geht, wird die Sache schwieriger. Auch zu diesem Schluss kommt die Untersuchung der Universität St. Gallen. Durch eine Sentiment-Analyse ließen sich Rückschlüsse auf Meinungen und Präferenzen ziehen. Eine direkte Verbindung von Sentiment und finanziellen Kennzahlen sei jedoch nicht möglich: "Vielmehr müssen die Ergebnisse aus Sentiment-Analysen durch weitere Datenerhebungen erweitert werden", so die Autoren.
Für Gartner-Analyst Alexander Linden ist Social Analytics sogar zu einem Großteil "Kaffeesatzleserei". Sprachliche Äußerungen seien komplex, und daher gebe es eine große Unsicherheit bei den Ergebnissen, die sich aus einer automatischen Analyse der Social-Media-Inhalte - also von unstrukturierten Informationen - ablesen lassen. "Auf diese Weise lässt sich nur ein grobes Sentiment herausarbeiten", meint Linden. "Dabei ist dann auch unerheblich, ob die Erkennungsrate der Lösung bei 60 oder 80 Prozent liegt."
Social Analytics ist der erste Schritt
Auch Oliver Oursin von IBM beobachtet, dass Unternehmen Social Analytics zurzeit vor allem noch einsetzen, "um Trends, Meinungen, Gerüchte oder Stimmungen frühzeitig zu erkennen". Oursin ist weltweit verantwortlich für Predictive- und Business-Intelligence-Lösungen. Er glaubt zwar, dass "der Nutzen einer solchen Analyse auf der Hand liegt". Allerdings sei es erst der nächste Schritt, der den wirklichen Durchbruch bringen könne.
Oursin empfiehlt Unternehmen, die Informationen, die sie aus Social Analytics gewinnen, mit anderen Informationen zu kombinieren. Für diesen nächsten Schritt nennt der IBM-Mann ein Beispiel: Ein Unternehmen stellt vor dem geplanten Launch ein neues Produkt auf den Social-Media-Seiten vor und sammelt die Reaktionen. Diese Informationen werden unter anderem mit Text-Mining analysiert und segmentiert. Verknüpft man sie zum Beispiel mit Finanzdaten, dann lässt sich laut Oursin aus diesen Informationen erkennen, welche Auswirkungen das Produkt auf den geschäftlichen Erfolg haben könnte: "Man braucht eine ganze Reihe verschiedener Analyseaktivitäten, um ein relevantes Ergebnis zu bekommen, das auch operativ einen größeren Erfolg bringt."
Herausforderung "Uncertain Data"
Doch ein Problem könnte schon in der Datenbasis liegen. "Uncertain Data" - also nicht verlässliche Daten nennen die Analysten von IDC eine der großen Herausforderungen, die auf Unternehmen in den kommenden Jahren zukommen. Die Firmen haben es demnach zunehmend mit Daten zu tun, von denen sie nicht wissen, ob sie korrekt sind. Das bezieht sich auch auf Social-Media-Seiten, auf denen es zum Beispiel zu den Urhebern der Einträge häufig keine verlässlichen Angaben gibt. Ein Punkt, der Unternehmen am Sinn von Social Analytics zweifeln lassen kann.
"Es gibt Kunden, die sehr sauber strukturierte Data Warehouses haben, die über Jahre gewachsen sind", berichtet Hans Wieser, der bei Microsoft in der Cloud & Enterprise Business Group für das Thema Big Data zuständig ist. "Und die glauben, dass die Vorteile, die man durch Social Analytics gewinnt, die Nachteile durch eine mögliche Verunreinigung der Stammdaten oder der Prognosen nicht wettmachen können."
Der Nutzen, den Firmen durch das Beobachten von sozialen Netzwerken oder Blogs erzielen, lässt sich kaum greifen. Aber auch der wirtschaftliche Wert der eigenen Social-Media-Aktivitäten kann nur schwer beziffert werden. Als wesentliche Kriterien zur Erfolgsbewertung werden etwa Reichweite, Interaktion oder Kundenbindung herangezogen. „Die Übertragung dieser Metriken auf finanzwirtschaftliche Indikatoren gelingt selten“, heißt es in der Studie der Universität St. Gallen. Beim Shopping-Sender QVC findet sich jedoch eine Social-Software-Anwendung, die laut dem Unternehmen belegbaren und zählbaren Nutzen bringt. So wurde für die vorwiegend weibliche Zielgruppe ein Beauty-Blog eingerichtet, auf dem sich die Kundinnen über Themen rund um die QVC-Produkte informieren können. Dies berichtet Olga Rabrenovic, die bei dem Unternehmen den E-Commerce-Bereich verantwortet. Nach der Auswertung des Nutzungsverhaltens habe sich herausgestellt: Die Leserinnen des Online-Blogs geben im Schnitt 23 Prozent mehr Geld im Web aus. |
Es gehe immer um Fragen wie etwa: "Wie viel gebe ich auf die Verlässlichkeit meiner Daten?", "Wie gut ist mein Algorithmus?" Immer gebe es ein Qualitätsrisiko: "Microsoft wird dem auf technischer Seite durch ein starkes Stammdaten-Management sowie Quality-Services gerecht, mit denen sich Bereinigungen vornehmen lassen", wirbt Wieser.
Zur schlechten Datenqualität könnten aber auch Mitbewerber eines Anwenderunternehmens beitragen, glaubt Gartner-Mann Linden: "Blogeinträge und Ähnliches können leicht gefälscht werden." Mittlerweile sei es sehr einfach und nicht teuer, ein ganzes Bloggernetzwerk damit zu beauftragen, bestimmte Meinungen im Netz zu verbreiten. Viele Dienstleister lockten mit entsprechenden Angeboten. Der Aufwand dafür müsse noch nicht einmal besonders groß sein. So lasse sich die Analyse von Social-Media-Seiten schon durch schwache Störsignale verfälschen.
Kontrolle verbessert Ergebnisse
Grundsätzlich empfiehlt Linden Unternehmen, Social Analytics nicht selbst anzugehen, sondern diese Aufgabe an Anbieter wie etwa Agenturen auszulagern. Solche Dienstleister bieten halbautomatisches Monitoring von Social-Media-Inhalten. Will heißen: Die Ergebnisse, die die Analytics-Techniken liefern, werden zusätzlich von geschulten Mitarbeitern geprüft, kategorisiert und bewertet. Zu den Anbietern zählen zum Beispiel Webbosaurus oder Attensity.
So kommt die Technik noch nicht ohne den Menschen aus. Auch in der Studie der Universität St. Gallen heißt es, dass bei Sentiment-Analysen in der Regel eine qualitive Nachbearbeitung erforderlich ist.
Fazit
Social Analytics kann Unternehmen ein Bild über die Stimmung geben, die unter seinen Kunden herrscht. Wie repräsentativ diese Einschätzung ist, hängt aber von der Art des Marktes ab, in der sich die Firma bewegt. Einen direkten RoI der Lösungen konkret zu benennen ist kaum möglich. Zu unsicher ist die Datenbasis. In jedem Fall müssen die gewonnenen Informationen nachbearbeitet und in einen Gesamtzusammenhang gebracht werden.