IT-Arbeitsmarkt

So wirkt Corona auf die Branche

07.10.2020
Von 
Jens Gieseler arbeitet als freier Journalist in Tübingen.
In Deutschland kämpft knapp ein Drittel der IT-Unternehmen mit den Folgen der Pandemie. Der IT-Arbeitsmarkt befindet sich im Wandel.
Nur ein Teil der IT-Firmen in Deutschland profitiert unmittelbar von der durch die COVID-19-Pandemie beschleunigte Digitalisierung. Auch im IT-Arbeitmarkt gibt es krisenbedingt Gewinner und Verlierer.
Nur ein Teil der IT-Firmen in Deutschland profitiert unmittelbar von der durch die COVID-19-Pandemie beschleunigte Digitalisierung. Auch im IT-Arbeitmarkt gibt es krisenbedingt Gewinner und Verlierer.
Foto: whiteMocca - shutterstock.com

Die COVID-19-Pandemie hat die deutschen Unternehmen auf sehr unterschiedliche Weise getroffen. Während sechs Prozent der Betriebe ihre aktuelle wirtschaftliche Situation sogar als sehr positiv beurteilen, sprechen knapp zwei Fünftel von einer eher negativen Lage. Sieben Prozent stecken gar in einer massiven Krise, so das Ergebnis einer Befragung von 750 Entscheidern durch das Marktforschungsinstituts Rheingold in Kooperation mit des Personaldienstleisters Hays AG.

IT-Branche: Glück im Unglück

Obwohl die Arbeitswelt seit März verstärkt im Homeoffice arbeitet, per Videokonferenz kommuniziert und die Digitalisierung nochmals beschleunigt, gestaltet sich die Situation in der IT-Branche im Vergleich zu anderen Unternehmen zwar positiver, aber nicht so deutlich wie man es vielleicht erwarten könnte. Auch unter den Computerspezialisten schätzen knapp sechs Prozent ihre Geschäftslage sehr positiv ein. Aber immerhin 28 Prozent sprechen von einer Verschlechterung und drei Prozent der Unternehmen kämpfen ums Überleben.

Glück im Unglück in der Coronakrise hat Easysoft. "Technisch hatten wir im Frühjahr keine Schwierigkeiten", berichtet Geschäftsführer Andreas Nau, denn seit zehn Jahren können die Mitarbeiter des IT-Dienstleisters ihrem Job nachgehen, wo sie wollen und am effektivsten sind. Jeder habe zwar mal im Homeoffice gearbeitet, allerdings seien vor Corona in der Regel 90 Prozent der Angestellten ins Büro gekommen. Im März waren es dann lediglich zehn Prozent. Inzwischen habe es sich auf die Hälfte eingependelt. Da anfangs der COVID-19-Pandemie niemand wusste, was das Unternehmen und seine Kunden erwartet, hatte die Geschäftsführung vorsorglich Kurzarbeit angemeldet. Doch im Gegensatz zu 47 Prozent anderer deutscher Unternehmen und 45 Prozent der IT-Firmen machte sie davon keinen Gebrauch.

Als Glücksfall erwies sich, dass das Metzinger Unternehmen Software zur Ausbildungs- und Seminarorganisation sowie Personalentwicklung entwickelt. In der Gesundheitsbranche ist es besonders stark vertreten und mit Corona war plötzlich ein Produkt gefragt, das vorher kaum ein Krankenhaus und eine Schule haben wollte, nämlich das "digitale Klassenzimmer". Normalerweise, so Nau, benötigt Easysoft drei bis sechs Monate ehe alle Schnittstellen funktionieren, die Software auf die Kundenbedürfnisse eingerichtet ist und auch die Corporate Identity stimmt.

"Das hätten wir in der Notsituation unseren Kunden aber niemals vermitteln können", sagt Nau, deshalb habe das Unternehmen einen Standard programmiert, der innerhalb einer Woche zu implementieren ist. So konnten die Auszubildenden weiter unterrichtet werden. Dieser und andere Erfolge führten zum besten ersten Halbjahr in der Firmengeschichte. Easysoft konnte gegenüber 2019 ein Plus von mehr als 40 Prozent verzeichnen. Dazu trug auch bei, dass die Kunden drei Monate freie Lizenzen für ihre Mitarbeiter im Homeoffice bekommen. Inzwischen seien viele bereit, dafür die zusätzlichen Lizenzgebühren zu zahlen.

Höher Zeitaufwand in der Teamsteuerung

Laut Hays-Studie klagen 70 Prozent der Führungskräfte über einen höheren Zeitaufwand, um ihr Team zu betreuen. Denn zum gelegentlichen Nachsteuern fehle gegenüber den Kollegen im Homeoffice jetzt die räumliche Nähe. Die "Gefahr des Verlaufens" sieht auch Nau, denn der informelle Austausch beim gemeinsamen Essen oder Sport habe in den vergangenen Monaten gefehlt.

Deshalb hat der Service-Provider die regelmäßige Kommunikation etwas stärker strukturiert: Montags vormittags treffen sich die Teams. Um 13 Uhr kommen dann die Bereichsleiter virtuell zusammen, weil sie an unterschiedlichen Standorten arbeiten. Und schließlich schickt die Geschäftsführung per Mail eine sogenannte Montagsinfo mit der Zusammenfassung der wichtigsten Informationen an alle Mitarbeiter. Inzwischen finden in Metzingen und Bretten die Standort-Meetings wieder live statt. Und Ende September feierten alle 84 Mitarbeiter bei einem Gemeinschaftstreffen die Einführung der komplett überarbeiteten Software.

Im hessischen Nidda waren die Mitarbeiter von Coveto dagegen überhaupt nicht im Homeoffice. "Wir sind im November in größere Räumlichkeiten umgezogen, so dass jeder ein eigenes Büro bekam", begründet Geschäftsführerin Pia Tischer die untypische Lösung. So habe sich der Softwareentwickler für Bewerbungsmanagement trotz Corona eine Normalität erhalten können: Auch wenn das gemeinsame Mittagessen, das zur Firmenkultur gehört, seit etwa einem halben Jahr ausfällt, nutzen die Mitarbeiter die kurzen Wege doch öfter, um etwas abzuklären und schneller mit ihren Aufgaben voranzukommen.

Corona - Vorwand zur Entlassung

"Kurzarbeit stand für uns zu keinem Zeitpunkt zur Debatte", sagt die 50-jährige Personalspezialistin. Dabei spürte das Unternehmen im März und April, dass die meisten Betriebe mit Corona beschäftigt waren und der Vertrieb deshalb schleppender lief. "Die Mittelständler waren zu Beginn des Lockdowns mit Kurzarbeit, Hygienekonzepten und Umsiedeln der Mitarbeiter ins Homeoffice beschäftigt", sagt sie. Mittlerweile ist der Markt aber wieder deutlich belebter.

Viele Unternehmen nutzen, so die Beobachtung Tischers und des Personalvermittlers Hays, die Krise nämlich, um Mitarbeiter, mit denen sie nicht so zufrieden sind, zu entlassen. Es sei am IT-Arbeitsmarkt aber auch zu beobachten, dass sich leistungsstärkere Mitarbeiter nach passenderen Arbeitgebern umsehen. Etwa IT-Experten, die bei Reiseveranstaltern oder Fluggesellschaften arbeiten, einer Branche, die wie Lufthansa tausende Stellen streicht und sich bestenfalls langfristig erholen wird. Zudem hätten Unternehmen die Notwendigkeit der Digitalisierung teilweise schmerzlich erfahren, zum Beispiel, dass Cloud-Lösungen die Arbeit im Homeoffice extrem vereinfachen. (pg)