Schwache Quartalszahlen kein Hindernis

So will Arm die Wallstreet erobern

24.08.2023
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.
Der britische Chipdesigner Arm Ltd. dürfte mit seinem bevorstehenden Börsengang dem japanischen Eigentümer SoftBank reichlich Geld in die Kassen spülen. Das größte IPO des Jahres 2023 steht bevor.
Mit dem Börsengang von Chipdesigner Arm Ltd. hofft Eigentümer SoftBank viel Geld zu verdienen.
Mit dem Börsengang von Chipdesigner Arm Ltd. hofft Eigentümer SoftBank viel Geld zu verdienen.
Foto: Ascannio - shutterstock.com

Die Euphorie rund um den Börsengang ist groß, doch das Timing könnte besser sein: Arm, dessen stromsparenden Chipdesigns in Milliarden von elektronischen Geräten stecken, musste in den Unterlagen zu seinem Initital Public Offering (IPO) soeben einen Gewinnrückgang von mehr als 50 Prozent für das vergangenen Quartal bekannt geben.

Das Unternehmen begründet die Flaute mit kurzfristigen Marktherausforderungen, hat seine Erwartungen auf längere Sicht aber hochgeschraubt. Besonders schmerzhaft für den Chipdesigner wirkt sich die anhaltende Schwäche im Smartphone-Geschäft aus, einem Kernmarkt für Arm. Die Geschäftsdynamik hat sich hier in den vergangenen Quartalen deutlich verlangsamt, zuletzt meldeten die Analysten von IDC einen Rückgang von 6,8 Prozent im zweiten Quartal. Arm wies denn auch für den Zeitraum April, Mai und Juni nur einen Umsatz von 675 Millionen Dollar aus, gegenüber 692 Millionen Dollar im Vorjahr. Der Nettogewinn halbierte sich auf 105 Millionen Dollar.

Chipmarkt soll jährlich um sieben Prozent wachsen

Das alles ist aus Sicht der Briten aber nur eine vorübergehende Schwäche. Sie prognostizieren in ihren Unterlagen zum Börsengang dem weltweiten Chipmarkt ein jährliches Umsatzwachstum von sieben Prozent bis Ende 2025. Dann sollen weltweit Prozessoren im Wert von 247 Milliarden Dollar verbaut werden - in Smartphones und PCs, aber auch in Servern, Autos, Netzwerk-Equipment und Unterhaltungselektronik. Arm verlässt sich darauf, dass Weltkonzerne wie Apple, Qualcomm, Nvidia oder AMD weiter ihre Chipdesigns beziehen und dafür Lizenzgebühren zahlen werden.

Bislang bleibt für Arm nur ein vergleichsweise kleines Stück vom großen Halbleiter-Kuchen übrig, aber das Unternehmen setzt darauf, dass die Komplexität von Chipdesigns steigen wird - und damit auch die Lizenzeinnahmen. Die Spekulation der Briten richtet sich darauf, dass Ausgaben für das Design einen immer größeren Anteil am Gesamtwert einzelner Chips ausmachen werden. Große Chancen sehen sie im Servermarkt, wo die Geschäfte längst noch nicht ausgereizt seien.

Im für Arm besonders wichtigen weltweiten Smartphone-Markt geht momentan nicht viel.
Im für Arm besonders wichtigen weltweiten Smartphone-Markt geht momentan nicht viel.
Foto: IDC

SoftBank hält 90 Prozent der Arm-Anteile

SoftBank hält derzeit rund 90 Prozent an Arm, nachdem das Unternehmen im August für 16,1 Milliarden Dollar einen zusätzlichen 25-prozentigen Anteil von seiner Venture-Capital-Unit Vision Fund zurückgekauft hatte. Dieser von den Japaner verwaltete Fund sammelt Gelder unter anderem von Investoren aus Saudi-Arabien oder Abu Dhabi, um in Startups zu investieren. Dabei hatte SoftBank zuletzt keine glückliche Hand: Investitionen in den Workspace-Anbieter WeWork oder den chinesischen Uber-Rivalen Didi Global verliefen alles andere als erfolgreich. Nach den heftigen Wertverlusten der vergangenen Monate kann SoftBank also eine Finanzspritze gut gebrauchen.

Anleger an der Wall Street rechneten SoftBanks Beteiligung hoch und kamen zu dem Schluss, dass die Gesamtbewertung von Arm bei rund 64 Milliarden Dollar liegen müsse - womit der größte Börsengang des Jahres perfekt wäre. Die Japaner warnen allerdings, dass ihr gezahlter Kaufpreis für ein Viertel des Kuchens nicht unbedingt Rückschlüsse auf dessen Gesamtwert zulasse.

Fakt ist jedenfalls, dass die Briten sich in stürmischen Zeiten auf das Börsenparkett wagen. Die Nachfrage nach PCs und Smartphones war während der Pandemie in die Höhe geschnellt, hatte sich danach aber dramatisch abgeschwächt - mit negativen Folgen für die Chipindustrie. Langfristig dürften sich die Branche aber wieder in luftige Höhen bewegen: Zunehmende Datennutzung und KI-Einsatz werden auch künftig Rechenleistung in großen Mengen erfordern.

Auch im PC-Markt, für Arm ebenfalls wichtig, kommt derzeit keine gute Stimmung auf.
Auch im PC-Markt, für Arm ebenfalls wichtig, kommt derzeit keine gute Stimmung auf.
Foto: Gartner

Arm will vom KI-Hype profitieren

Dass die Japaner jetzt das IPO anstreben, hat vor allem mit dem gegenwärtigen Hype um KI zu tun: In der ersten Jahreshälfte sind die Aktienkurse vieler Unternehmen, die generell mit KI oder - noch besser - mit Generative AI zu tun haben, explodiert. Auch die Chipaktien haben sich in diesem Jahr bereits gut entwickelt: Der PHLX Semiconductor Index ist um 42 Prozent gestiegen. Nvidia, der unangefochtene Marktführer bei KI-Chips, führt die Rallye an. Sein Aktienkurs hat sich in diesem Jahr bereits mehr als verdreifacht und ist am vergangenen Mittwoch (23. August 2023) nach sehr guten Quartalszahlen erneut kräftig angesprungen.

SoftBank hofft nun, dass Arm seine Marktpräsenz auf das Segment der besonders leistungsfähigen Chips ausweiten und sich so in die Lage versetzen kann, von den neuen Geschäftsmöglichkeiten durch KI zu profitieren. Immerhin wird Nvidia an der Börse mit mehr als einer Billion Dollar bewertet - und erst vor drei Jahren hatte der Spezialist für Grafik- und KI-Prozessoren versucht, Arm für 40 Milliarden Dollar zu übernehmen. Der Deal scheiterte am Einspruch der Regulierungsbehörden. Nvidia gehört zu den Kunden von Arm und greift in seinen "Grace"-Prozessoren für Server auf Designs der Briten zurück.

Amerikaner und Europäer wollen Chipproduktion selbst kontrollieren

Technische Hindernisse dürften Arm in den nächsten Jahren wohl kaum aufhalten, wohl aber politische: Das Unternehmen engagiert sich stark im chinesischen Markt, was den Amerikanern nicht gefallen dürfte. Mit dem CHIPs and Science Act hatte die US-Regierung unter President Joe Biden mit Subventionen von über 53 Milliarden Dollar die Weichen dafür gestellt, dass Unternehmen wie Micron, Qualcomm oder Intel Halbleiter in den USA produzieren und die Abhängigkeit vom Ausland reduzieren sollten. Die Amerikaner sehen die Branche als entscheidend für die nationale Sicherheit an.

Auch die EU will mit ihrem Chip-Gesetz eine europäische Basis für die Halbleiterindustrie schaffen - nicht zuletzt um Versorgungskrisen zu verhindern. Insgesamt 43 Milliarden Dollar aus öffentlichen und privaten Investitionen fließen in ein Programm, dass den Anteil der EU im Geschäft mit Halbleitern bis 2030 von derzeit zehn auf mindestens 20 Prozent verdoppeln soll. Welche Rolle dabei ein Chipdesigner spielen kann, der Prozessorbauer in aller Welt mit den zentralen Designs beliefert, ist mindestens unsicher.

Arm macht ein Viertel seiner Geschäfte in China

Arm gab denn auch in seinem Börsenprospekt an, dass etwa 25 Prozent seiner Einnahmen im vergangenen Geschäftsjahr in China erzielt wurden. Die Briten räumen in ihrem Börsenprospekt ein, "besonders anfällig für wirtschaftliche und politische Risiken" im Zusammenhang mit dem Reich der Mitte zu sein. Sie gehen nun von rückläufigen Lizenzeinnahmen aus China aus, zuletzt seien die Erlöse dort aufgrund wirtschaftlicher Probleme und strenger Exportkontrollen bereits geschrumpft.

Dass China großen Einfluss auf die weltweite Chipindustrie hat, zeigte das Land erst vergangene Woche: Die Aufsichtsbehörden verweigerten Intel die Zustimmung, den israelischen Auftragsfertiger Tower Semiconductor für fünf Milliarden Dollar zu übernehmen, was zum Platzen der Übernahme führte. Zu den Risiken für Arm zählt sicher auch die hohe Abhängigkeit von einer Handvoll Kunden: 57 Prozent der Erlöse wurden im vergangenen Geschäftsjahr mit nur fünf Abnehmern erzielt. (hv)