6 Vendor-Selection-Tipps

So selektieren Sie Anbieter

19.12.2022
Von  ,  IDG ExpertenNetzwerk und  
Julian Müller arbeitet als Senior Associate bei der Horn & Company Financial Services GmbH.
Dr. Seebach begleitet Banken und Versicherungen bei der Durchführung wegweisender Digitalisierungsprojekte. Er studierte Wirtschaftswissenschaften an der Goethe Universität Frankfurt (Main) und promovierte dort im Bereich Information Systems Research. Er verfügt mittlerweile über 15 Jahre Beratungserfahrung im Finanzdienstleistungssektor.
Oliver Laitenberger leitet bei der Managementberatung Horn & Company das Kompetenzzentrum Digitalisierung und Technologie.
Dem Kauf neuer IT- und Service-Produkte sollte ein strukturierter Vendor-Selection-Prozess vorangehen. Lesen Sie, wie das funktioniert und welche Kriterien es dabei zu berücksichtigen gilt.
Einen Anbieter zu finden, der die Wertschöpfungskette des Unternehmens wertvoller macht, setzt eine strukturierte Vendor Selection voraus.
Einen Anbieter zu finden, der die Wertschöpfungskette des Unternehmens wertvoller macht, setzt eine strukturierte Vendor Selection voraus.
Foto: Bjoern Wylezich - shutterstock.com

Wer heute die IT oder Digitalisierung verantwortet, beschäftigt sich zwangsläufig mit Fragestellungen zu externen Lösungen und Dienstleistungen. Die Spannbreite ist dabei groß und reicht von der Ablösung veralteter Bestandssysteme bis hin zur Suche von ganz neuen Lösungen, mit denen sich innovative Geschäftsstrategien verwirklichen lassen.

Damit ist klar: Die Auswahlentscheidung - also "welcher Anbieter mit welcher Lösung oder Dienstleistung?" - hat in der Regel strategischen Charakter und ist von enormer Bedeutung. Denn die Ziele, die mit dem zugehörigen Umsetzungsvorhaben einhergehen, werden nur bei Auswahl des richtigen Anbieters mit der individuell passenden Lösung erreicht. Typischerweise bindet sich das Unternehmen zudem über Jahre und ein kurzfristiger Richtungswechsel ist nur schwer möglich und meist auch mit hohen Kosten verbunden. Ein systematischer und disziplinierter Auswahlprozess ist deshalb nicht mehr nur Kür, sondern Pflicht.

6 Tipps für den Vendor Selection Process

Der Auswahlprozess an sich hat jedoch häufig so seine Tücken. Innenpolitische Interessen und Grabenkämpfe spielen in vielen Fällen eine dominante Rolle. Dazu kommt: Die Produkte am Markt sind oft schwer vergleichbar, gerade hinsichtlich der eigenen Zielkriterien. Dazu versprechen der Vertrieb oder die Presales Consultants der Lösungsanbieter alles, was als Anforderung gestellt wird. Die folgenden sechs Tipps helfen bei einer Vendor Selection, sodass nicht nach kurzer Zeit eine (teure) Scheidung ansteht.

1. Strategisch Denken bei der Anforderungsanalyse

Ausgangspunkt eines Auswahlprozesses ist das Befassen mit der strategischen Richtungsweisung, bevor es in einem zweiten Schritt in die Details einzelner Anforderungen geht. Bei diesem Setzen der strategischen Leitplanken gilt es, alle relevanten und möglicherweise auch unbequemen Stakeholder (dazu können zum Beipspiel auch Endkunden zählen) einzubeziehen. Dabei sollte stets strategisch nach vorn und nicht nur im Ist gedacht werden. Es gilt unter anderem zu klären:

  • Wo möchte das Unternehmen hin?

  • Welche vielleicht neuen Produkte oder Geschäftsbereiche sollen in der Zukunft fokussiert werden?

  • Wie passt das zur Geschäftsstrategie, zur IT-Strategie sowie zur Fach- und IT-Architektur?

Sich mit diesen Fragen zu befassen, ebnet den Weg in Richtung der Identifikation einzelner Anforderungen. Dies sollte ebenfalls nicht im stillen Kämmerlein geschehen, denn Multidisziplinarität deckt ganz unterschiedliche Perspektiven ab und stellt sicher, an alles gedacht zu haben. Gerade in dieser frühen Phase ist das missionskritisch. Innovativere Ansätze wie die Identifikation von Anforderungen aus der eigenen Unternehmens-Crowd (CrowdRE) können die Anforderungsdefinition hierbei zudem flankieren.

Lesetipp: Wie Business und IT besser zusammenarbeiten

2. Anbieterselektion aufgrund objektiver Kriterien

Neben der Gestaltung der strategischen Leitplanken sowie Identifikation der Anforderungen sind bereits parallel mögliche Anbieter zu identifizieren und eine Vorauswahl für ein späteres, detailliertes Prüfen mit den eigenen Anforderungen zu treffen. Der Blick ist von vornerein nicht nur auf die schon bekannten und somit naheliegenden Anbieter zu richten, sondern auf den gesamten Markt. Schließlich ist das Unternehmen auf der Suche nach dem besten und nicht dem erstbesten Fit.

Ein Marktscreening führt hierbei in der Regel zu einer umfangreichen Longlist mit potenziellen und relevanten Anbietern. Mittels vorab definierter objektiver und einfach zu bewertender K.O.-Kriterien, beispielsweise Architekturvorgaben oder spezifische Betriebsoptionen (On Premises oder Cloud?), wird diese Longlist anschließend sukzessive zu einer Shortlist eingedampft. Diese enthält alle potenziell relevanten Anbieter und bildet die Ausgangsbasis für die nächsten Schritte. Eine wichtige Eigenschaft der K.O-Kriterien ist, dass diese einfach zu bewerten sind. Ziel sollte sein, dass sich die Kriterien auch ohne aufwändiges Befragen der vielen Anbieter durch entsprechende Recherche überprüfen lassen.

3. Request-for-Proposal-Prozess aktiv begleiten

Mit dem sogenannten Request for Proposal (RfP) werden die Shortlist-Kandidaten schließlich dazu aufgefordert, sich mit dem eigenen Produkt als geeigneter Anbieter zu positionieren. Hierzu müssen die Anforderungen des Auswahlprozesses und möglicherweise weitere relevante Zusatzinformationen in geeigneter Form bereitgestellt werden.

Im weiteren Verlaufe ist oftmals zu beobachten, dass viele Anbieter diese Phase mit einer eher passiven Rolle angehen. Diese Passivität gilt es aber auf jeden Fall aufzulösen. Durch eine aktive Begleitung des Prozesses gilt es, bei den Anbietern ein möglichst gutes Verständnis für die eigenen Anforderungen zu schaffen. Dazu können beispielsweise vordefinierte Touchpoints mit den hauseigenen Experten zur Klärung von Rückfragen sowie (bei Bedarf) das nachträgliche Präzisieren von Anforderungen dienen.

Durch eine frühzeitige Interaktion mit den Anbietern lässt sich in der Praxis eine deutliche Qualitätssteigerung im RfP-Prozess beobachten. Immerhin soll die Entscheidung ja auf den besten Fit entfallen und nicht auf den Anbieter mit der besten Marketingabteilung. Ansonsten kann ein Unternehmen später eine böse Überraschung erleben, wenn es die Katze erwartungsfreudig aus dem Sack lässt. Die konsolidierten Rückläufer bilden die Basis für die folgende Detailevaluierung der verbliebenen Kandidaten.

4. Spielregeln für Anbieterbewertung definieren

Nun kommen wir zum wichtigsten Punkt auf dem Weg zu einer erfolgreichen Vendor Selection: Die durch die Anbieter bereit gestellten RfP-Informationen sollten so konsolidiert und bewertet werden, dass anschließend eine belastbare und objektivierte Bewertung und Priorisierung der zur Auswahl stehenden Kandidaten möglich ist. Die Bewertung sollte nicht anhand von Bauchgefühl, sondern entlang von objektiv nachvollziehbaren Kriterien erfolgen.

Hierfür sind Scoring-Metriken zu definieren, die Akzeptanz sowie Erfolg des Auswahlprozesses sicherstellen. Die Kriterien der Bewertungsmetriken müssen hierfür verschiedene Voraussetzungen erfüllen: Sie müssen auf die spezifische Auswahlsituation abgestimmt, eindeutig und objektiv messbar beziehungsweise bewertbar sein. Enorm wichtig ist hierbei, dass die Scoring-Metriken vor Erhalt der RfP-Rückläufer mit allen wichtigen Stakeholder abgestimmt und deren Akzeptanz als Entscheidungskriterium sichergestellt werden. Nur auf diese Weise kann die resultierende Gesamtbewertung als belastbare Entscheidungsgrundlage für die weiterhin zu betrachtenden Kandidaten dienen, und es findet sich kein Nährboden um die Objektivität und die Ergebnisse in Frage zu stellen.

5. Verbleibende Anbieter im Detail evaluieren

Die Detailevaluierung der verbliebenen Kandidaten erlaubt es, nochmals aktiv weitere Informationen der Kandidaten einzuholen und so mögliche Informationslücken zu schließen. Inhalte beziehungsweise Umfang einer Detailevaluierung können von Fall zu Fall stark variieren, je nachdem, wie intensiv der Informationsaustausch zuvor war und in welchen Themenbereichen noch Klärungsbedarf besteht.

Um hier ein möglichst ungeschöntes Bild zu erhalten, empfiehlt sich die Kontaktaufnahme zu bestehenden, vom Anbieter genannten Kunden. Dies kann zum Beispiel in Form von Gesprächen oder auch Begehungen erfolgen. Ehrlicherweise ist es in manchen Fällen überraschend, was Kunden unter vier Augen alles berichten. Weiterhin bestimmen in dieser Phase ein Proof of Concept, eine Gap-Analyse sowie die Erstellung eines Business Case das Pflichtprogramm. Diese schaffen technische aber auch betriebswirtschaftliche Sicherheit für die Auswahlentscheidung.

Lesetipp: Das Leben ist kein Business Case

6. Umsetzung rechtzeitig in den Blick nehmen

Zum erfolgreichen Abschluss der Vendor Selection gilt es, die finale Entscheidung für einen Anbieter so zu fundieren, dass die nachfolgende Umsetzung von der Organisation positiv begleitet wird. Zum einen müssen hierfür die bisherigen Inhalte für eine finale Bewertung konsolidiert und entsprechend aufbereitet werden. In diese Bewertung sollten auch Eckpfeiler der Vertragsdetails miteinfließen.

Wichtig hierbei ist, dass zur Beibehaltung einer Verhandlungsmacht idealerweise mit zwei potenziellen Anbietern beziehungsweise Kandidaten verhandelt wird. Die finale Entscheidung obliegt dann den Entscheidern in der Chefetage. Im Nachgang sind die Ergebnisse in die Gesamtorganisation zu kommunizieren, um dort Sicherheit zu erzeugen und die Mitarbeitenden auf mögliche anstehende Änderungen vorzubereiten.

Vendor Change Management als eigenes Projekt

Die obigen Schritte verdeutlichen, dass mit einer Auswahl Aufwand verbunden ist. Will man die Auswahl einer neuen Software beziehungsweise eines neuen Anbieters also ernst nehmen, kann das in den seltensten Fällen parallel zum Tagesgeschäft geschehen. Oft ist ein Projektrahmen erforderlich. Neben dem richtigen prozessualen Verständnis, dem methodischen, fachlichem und technischem Know-How ist vor allem eine gewisse Unvoreingenommenheit gegenüber allen Anbietern am Markt nötig. Gerade bei großen Auswahlentscheidungen kann es daher ratsam sein, auf externe Unterstützung zurückzugreifen, die zum einen alle diese Fähigkeiten mitbringt und sich zum anderen dem Projekt vollständig widmen kann ohne das Tagesgeschäft dabei zu vernachlässigen. (bw)