In Deutschland gibt es derzeit etwa 3,6 Millionen Solo-Selbständige. Viele von ihnen stehen vor derselben Herausforderung: die Kundenakquise - besonders in Zeiten von KI. Außerdem ist es für Einzelkämpfer in Dienstleistungsberufen oft schwer, sich klar von der Konkurrenz abzuheben.
Laut dem aktuellen Freelancer-Kompass bezeichnen 58 Prozent die Auftragsakquise als ihr größtes Problem. Kein Wunder: Denn für sie reicht es bei Weitem nicht aus, in ihrem Fachgebiet Experte zu sein. Für kontinuierlichen Erfolg werden unter anderem auch kaufmännische und zumindest Basiswissen im Marketing benötigt. "Obwohl sie technisch versiert sind, müssen sie auch lernen, wie man ein Unternehmen führt", bestätigt der HR-Fachmann, Buchautor und Freelance-Economy-Experte Jon Younger. Er stellte kürzlich auf der ersten deutschen Branchenmesse "Freelance Unlocked" fest, dass nur ein Drittel der Besucher die Frage "Was macht dich zur besten Wahl für diese Aufgabe?" konkret und selbstbewusst beantworten konnte. Schwierig vor allem für die anderen zwei Drittel, die mit ihnen um Aufträge konkurrieren.
Vom USP zur Personal Brand
Es gibt viele Ansätze, die das Freelancer-Marketing nach vorne bringen sollen:
fachliche Alleinstellungsmerkmale (Unique Selling Proposition - USP) entwickeln,
die eigene Person zur Marke machen (Personal Branding) oder aktuell hoch im Trend
die Fokussierung auf das Profil des idealtypischen Kunden (Ideal Customer Profile - ICP).
Die Wahrheit liegt, wie so oft, in der Mitte: Erfolgreiche Selbständige punkten mit aktuellem Fachwissen, vorzugsweise mit besonderen Erfahrungen, Referenzen und Zusatz-Skills, die sie auszeichnen und so von ihren Mitbewerbern unterscheiden (USP). Besondere Stärken und Fähigkeiten lassen sich konsequent über Auftritt, Ansprache und das Kundenerlebnis zu einer persönlichen Marke destillieren: Ein besonderer Stil, hohe Problemlösungskompetenz oder die Fähigkeit, "out of the box" zu denken, können den Freelancer in der Außenwahrnehmung zum "Problemlöser" oder "Innovative Thinker" machen.
Von der Kundensicht zur Unternehmersicht
Der Perspektivwechsel auf potenzielle Auftraggeber ist ein weiterer, aktuell viel diskutierter Ansatz in der Selbstvermarktung von Freelancern: Sie sollten genau wissen, für welche Auftraggeber ihr Angebot besonders wertvoll ist, in welchen Branchen ihre Expertise aktuelle Probleme lösen kann und welche Unternehmen mehr oder weniger lukrative Kunden sein könnten (ICP). "Dieses Wissen, stets aktuell sowie effektiv und ökonomisch eingesetzt, spart Zeit und Aufwand bei der Akquise - und führt so zu besseren Ergebnissen", weiß Thomas Maas, CEO der Freelancing-Plattform freelancermap.
Noch einen Schritt weiter geht, wer dabei die Eigenwahrnehmung mit einbezieht. Denn wichtig ist auch das richtige Mindset, wie Jon Younger postuliert: Freiberufler müssen lernen, sich als Unternehmer zu verstehen - wenn sie nicht dauerhaft nur Arbeitskraft und Wissen gegen Geld tauschen wollen. Als Unternehmer müssen sie ihre Leistung in wenigen Worten beschreiben und ihre Stärken selbstbewusst vortragen können. Das gelingt meist leichter, wenn das Gefühl verinnerlicht wurde, auf Augenhöhe mit dem ebenfalls als Unternehmer angesprochenen Auftraggeber zu agieren.
- 7 Tipps wie Freiberufler Honorarverträge richtig lesen und ausgestalten
Honorarverträge stellen für viele Freiberufler eine Herausforderung dar. Bei der Gestaltung und Umsetzung sollte deshalb große Sorgfalt an den Tag gelegt werden. Folgende sieben Punkte sollten Freelancer bei der Erstellung eines Honorarvertrages unbedingt beachten. - 1. Vertragsform regeln
Der Honorarvertrag, auch "Vertrag über die freie Mitarbeit" genannt, kann in Form eines Dienst- oder Werkvertrages ausgestellt werden. Im Falle eines Werkvertrags steht das Arbeitsergebnis beziehungsweise der Arbeitserfolg im Fokus. Bei einem Dienstvertrag ist der freie Mitarbeiter dem Auftraggeber jedoch nur die Arbeitsleistung schuldig. Im Allgemeinen regelt der Honorarvertrag die Höhe der Vergütung eines Freiberuflers und die Vereinbarung in Form von Leistung und Gegenleistung. - 2. Scheinselbstständigkeit vermeiden
Das größte Risiko für Auftraggeber und Auftragnehmer ist die Scheinselbstständigkeit. Sollte eine solche vorliegen, kann dies für beide Vertragsparteien erhebliche finanzielle Konsequenzen zur Folge haben. Der Freiberufler sollte in der Regel in keinem abhängigen Arbeitsverhältnis zu dem Vertragspartner stehen. Allgemeingültige arbeitsrechtliche Bestimmungen wie festgelegte Arbeitszeiten oder Urlaubsanspruch dürfen hier keine Anwendung finden. Wichtig ist bei dieser Vertragsform, dass die zu erbringenden Leistungen im Honorarvertrag detailliert beschrieben sind. - 3. Honorarordnungen prüfen
Für bestimmte Berufsgruppen gibt es gewisse Verordnungsgrundlagen. Beispielsweise regelt die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) die Vergütung der Leistungen von Projekten des Bauwesens. Für freie Experten aus den Bereichen Informatik, Maschinen- und Anlagenbau, Verfahrens-, Elektro- und Prozesstechnik gibt es bisher keine verpflichtenden Regelungen. - 4. Arbeitslosengeld sichern
Honorarkräfte, die als freie Mitarbeiter tätig sind, müssen sich für gewöhnlich selbst um Versicherungen kümmern. So sind Freelancer nicht automatisch vor Arbeitslosigkeit geschützt. Insbesondere im Rahmen der Corona-Pandemie ging es finanziell bei vielen Freiberuflern bergab. Mehrere Hunderttausende Selbstständige mussten aus diesem Grund Leistungen der Grundsicherung vom Staat beantragen. Die Voraussetzung für den Anspruch auf gesetzliches Arbeitslosengeld besteht darin, dass der Antragsteller innerhalb der letzten zwei Jahre mindestens zwölf Monate versicherungspflichtig angestellt war. - 5. Einkommenssteuerpflicht beachten
Für den Freelancer gilt die Einkommensteuerpflicht genauso wie für Festangestellte. Bei freiberuflich Tätigen unterscheidet sich die Umsatzsteuer durch die sogenannte Vorsteuer. Diese besteht aus der Mehrwertsteuer, die Freiberuflern beispielsweise bei dem Erwerb von Lieferungen oder Arbeitsmitteln in Rechnung gestellt wird. Diese Beträge können anschließend vom Finanzamt zurückgefordert werden. Der Restbetrag ergibt die tatsächliche Abgabe der Umsatzsteuer. Viele Freiberufler starten zunächst als Kleinunternehmer und können von der Kleinunternehmerregelung Gebrauch machen. Wenn die Einkünfte sich im vorangegangenen Kalenderjahr maximal auf 22.000 belaufen haben und die Einnahmen im laufenden Jahr nicht die Umsatzgrenze von 50.000 Euro überschreiten (Stand 2021), muss keine Umsatzsteuervoranmeldung abgegeben werden. Sobald Freiberufler diese Grenze überschreiten, verlieren sie den Status als Kleinunternehmer. Wichtig zu wissen ist, dass die Vorteile der Kleinunternehmerregelung nicht in Anspruch genommen werden dürfen, wenn die Vorsteuer bereits zurückerstattet wurde. - 6. Honorarvertrag kündigen
Eine Beendigung des Honorarvertrages erfolgt in den meistens Fällen ordentlich. Hierbei kommt es m ersten Schritt auf die Kündigungsfrist an. Das Arbeitsverhältnis endet bei einem befristeten Vertrag nach der vereinbarten Zeitspanne. Ist keine Frist im Vorhinein festgelegt worden, kann eine Kündigung nach Maßgabe der entsprechenden Bestimmungen erfolgen. In der Regel orientiert sich die Kündigungsfrist an der Vergütung. Das heißt je nachdem, ob die Leistung nach Tagen oder Wochen bemessen wird. Unter bestimmten Umständen kann einer der Vertragsparteien den Honorarvertrag jedoch auch außerordentlich aufheben. - 7. Fachanwalt konsultieren
Hat ein Freiberufler einen Honorarvertrag selbst aufgesetzt oder bekommt ihn von seinem Auftraggeber vorgelegt, empfiehlt es sich, einen Fachanwalt heranzuziehen. Alternativ kann aber auch auf verschiedenen Webseiten ein Vertragsmuster heruntergeladen werden, das von einem Anwalt erstellt und rechtlich gecheckt wurde. Bei Letzterem sollte der Freiberufler den Vertrag gegebenenfalls auf Anpassungen und Ergänzungen je nach Vertragsbestimmungen prüfen.
Partnerschaft vor Freundschaft
So steht die professionelle Basis des Verhältnisses im Vordergrund. Das erleichtert die Verhandlungen und auch das Sprechen über Geld. Denn obwohl gute Beziehungen überaus wertvoll sind und die Chemie gerne stimmen darf: Freelancer und Auftraggeber sind Menschen, die sich als Partner begegnen sollten - und keine Freunde werden müssen, betont Jon Younger. Dies zu verstehen und sich das immer wieder bewusst zu machen, sei der erste Schritt zum selbstsicheren, professionellen Auftritt.
Und der, betont der Freelance-Economy-Experte, ist nicht weniger wichtig als der USP. Netzwerke und Beziehungen trotzdem sorgfältig zu pflegen, steht dazu übrigens nicht im Widerspruch. Im Gegenteil: 21 Prozent der Befragten geben im aktuellen Freelancer-Kompass an, die meisten Aufträge über persönliche Netzwerke zu generieren. "Und zwei von drei gelangen ohne aktive Anstrengungen an Projekte - hauptsächlich über Weiterempfehlungen und Folgeprojekte", bekräftigt Maas.
KI als Chance oder Bedrohung?
Kein Zweifel, dass der Siegeszug der künstlichen Intelligenz (KI) für Freiberufler schon heute ein Gamechanger ist: Die einen begrüßen die Technologie als Effizienzbooster, der es ihnen erlaubt, mehr Aufgaben in weniger Zeit zu bewältigen. Die anderen fürchten um ihre Jobs: Texter, Grafiker, Programmierer. Welche Rolle spielen Schlagworte wie USP und ICP noch, wenn der Chatbot das Tagesgeschäft bald genauso gut übernehmen kann? Qualität ist hier das Stichwort, das auch Freelance-Economy-Experte Younger auf der Branchenmesse in Berlin ausgegeben hat: Allrounder, einst als eierlegende Wollmilchsäue begehrt, erreichen im Vergleich zu Spezialisten selten mehr als Mittelmaß.
Und wer sich dort einordnen will, konkurriert bereits mit der KI. Eher hat die vielfältige Erfahrung ehemaliger Allrounder, gepaart mit stark auf Qualität ausgerichteter Spezialisierung, USP-Charakter für besonders "KI-bedrohte" Fachprofile. Außerdem - je nach Fachgebiet - typisch menschliche Stärken wie kritisches Denken, emotionale Intelligenz und Flexibilität.
Superkraft Mindset
Fazit: Die wahre Superkraft des Freelancers ist sein unternehmerisches Bewusstsein. Das erleichtert ihr oder ihm die Entwicklung des "Elevator Pitches", der USPs - oder die Antwort auf die eingangs gestellte Frage: "Was macht gerade mich zur besten Wahl für diese Aufgabe?". Ist diese Denkaufgabe erst einmal gemeistert, ist es nicht mehr weit zur Bestimmung des ICP, des idealen Kundenprofils. Je klarer und spezialisierter das ist, desto gezielter kann die Akquise angegangen werden. Und idealerweise werden Solo-Selbständige mit dieser Vorgehensweise und exzellenten Skills dann auch als professionelle Marke wahrgenommen.