Der letzte Super Bowl zwischen den Kansas City Chiefs und den San Francisco 49ers wurde aktuellen Daten zufolge von fast 124 Millionen Zuschauern live verfolgt. Dabei dürfte dem Gros der Zuschauerschaft verborgen geblieben sein, dass im Hintergrund eine KI-Plattform werkelte, die sämtliche Spielerbewegungen auf dem Feld erfasste - mit dem Ziel, die Sicherheit der Profisportler zu erhöhen, respektive schwere Verletzungen zu verhindern.
Die Plattform namens "Digital Athlete" hat die US-Football-Liga in Kooperation mit Amazon Web Services (AWS) entwickelt und in der abgelaufenen Saison 2023/2024 für alle 32 Teams eingeführt. Dabei ist datengetriebene Transformation für die NFL - wie für diverse andere Profi-Sportligen - nicht unbedingt ein neues Thema. Bereits im Jahr 2015 wurden sämtliche NFL-Profis mit RFID-Sensoren ausgestattet, um diverse Informationen in Echtzeit erfassen - etwa Feldposition oder die jeweilige Geschwindigkeit in verschiedenen Spielsituationen.
Kopfstoß-Tracking mit KI
Die Digital-Athlete-Plattform geht allerdings noch einige Schritte weiter: Sie nutzt künstliche Intelligenz (KI) und Machine Learning (ML), um anhand von Spielzügen und Körperpositionen zu antizipieren, für welche Spieler das Verletzungsrisiko am höchsten ist. Dazu fließen in die KI-Plattform auch die Daten ein, die über der RFID-Tags der Spieler erfasst werden. Darüber hinaus erhält die Plattform auch Informationen von 38 Tracking-Kameras, die rund um das Spielfeld platziert sind und das Geschehen mit 60 Bildern pro Sekunde und in 5K-Auflösung erfassen. Informationen zur Wetterlage und Art des Spiels sorgen dafür, dass ein Rundumblick auf die Spielererfahrung generiert wird.
Pro Spielwoche erfasst die Digital-Athlete-Plattform so 6,8 Millionen Videoeinzelbilder und dokumentiert etwa 100 Millionen Spielerpositionen auf dem Feld. Im Rahmen von Trainingssessions werden zudem jede Woche etwa 500 Millionen Datenpunkte in Zusammenhang mit Tracking-Daten verarbeitet. Julie Souza, Global Head of Sports bei Amazon Web Services, erklärt, wozu das alles gut ist: "Wir simulieren Millionen von Spielszenarien, um den Teams mitzuteilen, welche Spieler am ehesten Gefahr laufen, eine Verletzung zu erleiden. Auf dieser Grundlage entwickeln die Mannschaften individuelle Kurse zur Verletzungsprävention."
Die Managerin leitet den Sport-Bereich bei AWS seit mehr als drei Jahren - konnte jedoch zuvor bereits als ehemalige Head of Business Development and Strategy von ESPN sowie dem Analytics-Dienstleister Second Spectrum Erfahrungen im Überscheidungsbereich von Sport und Technologie sammeln. Die KI-Plattform für die NFL zu entwickeln, war dennoch eine anspruchsvolle Aufgabe, erinnert sich Souza: Zunächst habe man der KI beibringen müssen, mit Hilfe von Computer Vision und Machine Learning die richtigen Informationen aus den Spiel- und Trainingsaufnahmen zu gewinnen. "Bevor die KI-Plattform beispielsweise Kopfstöße tracken konnte, musste sie Bilder von Helmen aus sämtlichen Blickwinkeln aufnehmen, um zu lernen, wie man diese identifiziert", erklärt die AWS-Managerin. "Sobald die KI dazu in der Lage war, wurde ihr beigebracht, Schläge auf Helme zu erkennen und mit Hilfe von RFID-Daten zu ermitteln, welche Spieler an der Situation beteiligt waren."
Eine Plattform wird zum Gamechanger
Unter Verwendung aller zur Verfügung stehenden Daten könne die Digital-Athlete-Plattform rekonstruieren, unter welchen Bedingungen eine Verletzung wann und wie aufgetreten ist - sowie beliebige Partien mit verschiedenen Spielern simulieren. "Mit Hilfe von Risk Mitigation Modeling ist es schließlich möglich, Trainingsdaten zu analysieren und den idealen Trainingsumfang eines Spielers zu errechnen, während parallel das Verletzungsrisiko minimiert wird", so Souza.
Die Managerin ergänzt, dass diese Daten nicht nur hilfreich seien, um personalisierte Trainingsprogramme zu entwickeln, sondern auch die Entscheidungsfindung auf Management-Ebene beeinflussen. So seien die Daten der Digital-Athlete-Plattform ein Schlüsselfaktor dafür gewesen, 2023 die neue "Fair-Catch-Regel" in der NFL zu etablieren. Das Ziel der neuen Regelung: die Gefahr für Gehirnerschütterungen zu reduzieren. In Zukunft soll die KI-Plattform weitere, ähnliche Korrelationen zwischen Spielszenarien und Verletzungen identifizieren, so Souza: "Wenn wir herausfinden können, welche Spielzüge oder Regeln die Verletzungswahrscheinlichkeit erhöhen, können diese geändert werden."
Letztendlich soll die Einführung der KI-Plattform in der NFL auf ein höheres Ziel einzahlen, nämlich Daten als Grundlage für Entscheidungen zu nutzen - statt Ahnungen und Instinkte. Eine Zielsetzung, die sich laut Souza ganz allgemein für alle Unternehmen empfehle: "Es geht im Kern darum, neugierig zu sein. Dann braucht man zunächst eine Datenstrategie, um eine entsprechende Grundlage schaffen zu können - anschließend kann man dann Fragen stellen", so die AWS-Managerin. Dabei müsse man wissen, dass der Aufbau von KI-Fähigkeiten ein iterativer Prozess ist. "Man baut nicht einfach ein Modell auf, stellt es ein und legt los - das Modell wird mit der Zeit immer intelligenter." (fm)
- Andreas Schneider, IBM
„KI ist nur so gut wie die Daten, die sie füttert. Unternehmen benötigen daher eine AI- und Data-Plattform, um Modelle möglichst kontextspezifisch und kollaborativ zu trainieren, zu validieren und zu deployen. Gleichzeitig darf dabei nicht aus den Augen verloren werden, alle Beteiligten auch abzuholen. Dass Veränderungen, beispielsweise durch die Automation von Geschäftsprozessen, nicht immer auf Begeisterung stoßen, ist völlig menschlich. Soziale Aspekte und Ängste muss man deshalb genauso berücksichtigen wie Technologie und eine umfangreiche Governance von KI-Modellen.“ - Daniel Hummel, KI Reply
„Es reicht nicht aus, lediglich theoretisch über KI-Lösungen zu diskutieren und sie zu skizzieren. Stattdessen sollten wir diese Lösungen mithilfe von Mockups simulieren, um ihren Nutzen und ihre Machbarkeit besser zu verdeutlichen. Dank der neuesten Fortschritte in der KI können wir sie schnell in Proof-of-Concepts (PoCs) umwandeln. Dies eröffnet uns die Möglichkeit, sofort auf Veränderungen zu reagieren und den nächsten Schritt in Richtung Realisierung zu gehen. Für mich ist es von zentraler Bedeutung, die uns zur Verfügung stehenden Modelle bestmöglich zu nutzen. Damit können wir in Deutschland eigenständige Innovationen vorantreiben, anstatt die Lösungen anderer zu adaptieren.“ - Michael Koch, Lufthansa Industry Solutions
„Die Nutzung von KI bringt bereits heute viele Vorteile, wir müssen den Umgang damit aber noch erlernen. Die Vision: Wir sollten KI wie ein Flugzeug verwenden. Denn auf dem Weg in den Urlaub vertrauen wir der Technik und machen uns keine Gedanken darüber, wie zum Beispiel ein Triebwerk funktioniert. Der Weg ist sicherlich noch weit, aber mit den derzeit verfügbaren Sprachmodellen und KIs können wir schon heute einfach und verlässlich gewinnbringende Lösungen entwickeln, die aktuelle Sicherheits- und Datenschutzvorgaben berücksichtigen. Eine gute Lösung sollte verwendet werden, egal welche KI im Einsatz ist. Voraussetzung dafür ist, dass sie alle ethischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen im Sinne einer Trustworthy AI und des EU-AI-Acts einhält." - Christian Eckstein, MVTec Software
„Der Anteil von KI in Bildverarbeitungssystemen ist niedriger, als man vielleicht vermuten würde. Und das hat einen einfachen Grund: Die Modelle, die unsere Kunden selbst trainieren, müssen lokal ausgeführt werden. Die Idee, dass der Anlagenbetrieb von einer Internetverbindung oder einer Cloud abhängt, ist sehr absurd in der Industrie. Auch, dass Bilddaten von Fehlerteilen zum Beispiel nach aussen geschickt werden, ist für die meisten undenkbar. Weil die Modelle lokal ausgeführt werden, braucht es eine entsprechende Hardware. Eine GPU, die in der Fertigung gekühlt werden muss – auch das ist schwierig. Und schließlich ist KI für die meisten Anwendungen der Bildverarbeitung zu langsam. Die Inspektion von Folie zum Beispiel, die mit zig Metern pro Sekunde durch die Anlage läuft – da käme kein Modell hinterher.“ - Björn Ständer, Oracle
„Ein breites Einsatzgebiet für KI gibt es heute schon im Bereich Gesundheitswesen. Die Kombination aus supervised and unsupervised Leaning erschliesst neue Möglichkeiten im Bereich Diagnose und Behandlung. Dabei werden z.B. Messdaten von Smart Devices mit Modellen von Digital Twins kombiniert, um Erkenntnisse für eine Früherkennung oder neue Behandlungsmethoden zu gewinnen. Der Einsatz anonymisierter Bilderkennung unterstützt das Krankenhauspersonal beim Monitoring von Patienten und alarmiert Pflegekräfte über kritische Situationen – durch eine intelligente Automatisierung mit KI kann das Personal von Routinetätigkeiten entlastet werden – in Zeiten von Fachkräftemangel und steigendem Kostendruck dient der Einsatz von KI dem Wohl Patienten als auch der Kostenoptimierung des Providers.“ - Alexander Siebert, Retresco
„Mit ChatGPT haben wir zum ersten Mal eine White Collar Revolution. Vorher waren es die Kuka-Roboter, welche die Blue Collar Worker in den Fabriken bedroht haben. Nun sind plötzlich die Kreativprozesse betroffen, was Unternehmen vor große Herausforderungen stellt. Sowohl intern, weil die Marketing-Abteilungen um ihre Jobs fürchten, andererseits aber damit arbeiten müssen, um effizient zu bleiben. Aber auch von außen, weil plötzlich eine ganz andere Wettbewerbssituation gegeben ist. Mit KI-Sprachmodellen können kleine 1-Personen-Betriebe viel leichter Geschäftsmodelle aufbauen, welche sehr schnell herkömmliche Angebote bedrohen können.“ - Johannes Bohnet, Seerene
„Selbst vergleichsweise einfache Softwareprojekte entziehen sich durch ihre im wahrsten Sinne des Wortes übermenschliche Komplexität einem holistischen menschlichen Verständnis und damit der strategischen Steuerung durch menschliche Akteure. Seerene nutzt KI einerseits, um aus den Daten, die in den Software-Entwicklungsabteilungen bereits vorhanden sind, die Sichtbarkeit von Software-Produktionsprozessen bis hin zur Managementebene zu erreichen. Zum anderen setzen wir AI direkt in der Software-Entwicklung ein, um Vorhersagen treffen zu können, wo aus den Tätigkeiten heraus eine zukünftige Gefahr besteht, dass dort Fehlerquellen in den Code gelangen könnten.“
Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation CIO.com.