IBM Quantum Computing Roadmap

Sind Quantencomputer die neuen Mainframes?

08.09.2021
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Quanten-Computing steht kurz vor dem Durchbruch. Lesen Sie, wie IBM in den nächsten drei bis vier Jahren den Quantencomputer mit neuer Hard- und Software für den Enterprise-Einsatz fit machen will.
Kühlung und Verkabelung der Quantencomputer (im Bild ein Quantum System One) will IBM bei den nächsten Generationen (Eagle und Osprey) optimieren.
Kühlung und Verkabelung der Quantencomputer (im Bild ein Quantum System One) will IBM bei den nächsten Generationen (Eagle und Osprey) optimieren.
Foto: Boykov - shutterstock.com

Für viele ITler sind Quantencomputer derzeit noch ein rein theoretisches Thema. Zu groß und komplex scheinen die technischen Herausforderungen - hier sei nur an das Thema Fehlerkorrektur erinnert - zu sein, die es im Zusammenhang mit dem Thema Quanten-Computing noch zu lösen gilt.

Wiederkehr des Mainframe-Prinzips?

Doch dies ist möglicherweise ein gefährlicher Trugschluss. Schon bald könnten die Quantencomputer die Mainframes des 21. Jahrhunderts sein, und ähnlich wie diese in den 1970er Jahren eine neue IT-Revolution auslösen. So legt das IBM-Konzept für Quantencomputer Analogien zum SNA-Modell der 70er Jahre nahe: Etwa ein Quantencomputer, der als zentraler Rechner - damals Mainframe - fungiert. Über die Cloud - früher die Systems Network Architecture (SNA) - greifen zahlreiche Endgeräte, im Mainframe-Umfeld die Logical Units (LUs), auf den Quantencomputer zu. Waren letzteres damals Bildschirmterminals mit einem beschränkten Vorrat an Befehlen zur Mainframe-Steuerung, so könnten dies heute PCs sein, die den Code zur Berechnung eines Problems an den Quantencomputer übermitteln und dann später das Ergebnis anzeigen.

Zukunftsmusik? Mitnichten. So geht etwa Heike Riel, IBM Fellow und Head of Science & Technology sowie Lead of IBM Research Quantum Europe bei IBM Research Zürich, davon aus, dass bereits 2024/25 Normalsterbliche Programme für Quantencomputer schreiben können. Und die grundsätzliche Quantum Advantage beziehungsweise Supremacy - also die Überlegenheit von Quantencomputern gegenüber klassischen Supercomputern stehe kurz bevor. Zwar beanspruchte Google dies bereits 2019 für seinen Prozessor Sycamore und China verkündete dies 2020 für das System Jiuzhang. In der Fachwelt werden diese Ergebnisse jedoch angezweifelt, da teilweise die Vergleiche zu Supercomputern nicht stimmten oder die Quantencomputer nur zur Berechnung eines einzigen Problems optimiert wurden.

Bereits in wenigen Jahren sollen Quantenelemente in Softwareprojekten wie normaler Code verwendet werden.
Bereits in wenigen Jahren sollen Quantenelemente in Softwareprojekten wie normaler Code verwendet werden.
Foto: IBM

Dass Quanten-Computing das Stadium der akademischen Diskussion bereits verlassen hat, zeigt auch eine andere Zahl: Nach eigenen Angaben hat IBM weltweit schon 37 Quantencomputer gebaut, auf die Kunden und Partner via Cloud zugreifen können. Darunter finden sich namhafte Firmen wie Daimler, EON, BP, Boeing, ExxonMobil, Goldman Sachs oder Paypal. Um den Firmen eine bessere Planungssicherheit hinsichtlich der Quantum-Entwicklung zu geben, hat der Konzern zudem eine Roadmap veröffentlicht. Diese ist zweigeteilt und enthält eine Prozessor-Roadmap, ähnlich zu den Intel-CPU-Roadmaps aus der x86-Welt, sowie eine Roadmap für die weitere Softwareentwicklung.

Runtime für Quantencomputer

Derzeit sieht im IBM-Umfeld die Quantenprogrammierung so aus, dass auf einem herkömmlichen Arbeitsplatzrechner entsprechende Programme mit Python programmiert werden und dann über die Cloud auf dem Quantencomputer ausführen. Hierzu hält IBM in Form von "Qiskit" eine Schnittstelle (API) bereit, die eine Runtime-Umgebung für den Quantenrechner darstellt. Zudem gibt es Simulatoren, um die Quantenprogramme vorab auf dem lokalen Rechner zu testen. Allerdings mit der Einschränkung, dass dies nur mit wenigen Qubits möglich ist.

Mit Hilfe der Runtime-Umgebung sollen die Quantum-Circuits effizienter genutzt werden können, so dass die Programme bis zu hundertmal schneller abgearbeitet werden können. Ebenfalls noch 2021 soll es erste Applikations-Module geben, die es Entwicklern erlauben, quantenoptimierte Algorithmen in ihren Applikationen zu verwenden. Im Gespräch sind dabei Module für die Bereiche Natural Sciences, Finance, Optimization sowie Deep Learning.

Nach diesen Vorarbeiten geht die Roadmap davon aus, dass ab 2023 die Zeit reif ist für normale Enterprise-Anwendungsentwickler, um Programme schreiben zu können, ohne sich mit der darunterliegenden Quantenphysik befassen zu müssen. Dieser Logik folgend geht die Roadmap von einer in drei Gruppen geteilten Entwicklergemeinschaft aus: Kernel, Algorithm und Model Developers.

Schon 2023, so IBMs Roadmap, rechnen Quantencomputer mit mehr als 1000 Qubits.
Schon 2023, so IBMs Roadmap, rechnen Quantencomputer mit mehr als 1000 Qubits.
Foto: IBM

In diesem Modell kommt den Kernel-Entwicklern die Aufgabe, die entsprechenden Runtimes, die Elemente zur Circuit-Verwaltung sowie grundlegende Libraries für die höheren Softwareschichten zu schreiben. Hierzu hat IBM erst kürzlich die Assemblersprache OpenQASM3 angekündigt. Entsprechende Bibliotheken könnten laut IBM ab 2023 entstehen. Ab 2025, so die Roadmap, dürften dann fortgeschrittene Kontrollsysteme für die Quanten-Circuits folgen.

Auf Basis dieser Vorarbeiten sollen die Algorithmen-Entwickler ab 2023 in der Lage sein, vorgefertigte Quantum-Runtimes zu programmieren. Auf dieser Grundlage könnten die Applikationsentwickler dann Quanten-Services schreiben, die in anderen Programmen verwendet werden können. 2025, so glaubt man bei IBM, werden dann die Grenzen zwischen Quantencomputern und High Performance Computern so verwischen, dass Quantenelemente wie selbstverständlich in Softwareprojekten verwendet werden.

Leistungsfähigere Quanten-CPUs

Parallel zur Weiterentwicklung der Software wird an leistungsfähigerer Hardware gearbeitet. Noch in diesem Jahr soll mit Eagle eine Quantum-CPU kommen, die mit 127 Qubits rechnet. Im Vergleich zum Hummingbird-Chip, der 65 Qubits hat, erscheint dies keine große Leistungssteigerung zu sein. Hier ist allerdings ins Kalkül zu ziehen, dass eine Erhöhung um ein Qubit bereits eine Verdopplung der Rechenleistung entspricht.

Parallel dazu wird mit Eagle die Verkabelung verbessert, um so die Fehler beziehungsweise Störungen durch Crosstalking zu verringern. Des Weiteren ist eine Optimierung der Kühlung in Arbeit, denn IBM hält bei seinen Quantenarchitektur am Prinzip der supraleitenden Technologie fest. Dies hat zur Konsequenz, dass die Schaltkreise - von wenigen Millikelvin abgesehen - bis auf den absoluten Nullpunkt herabgekühlt werden müssen.

Bereits 2022 zeigt die Roadmap mit Osprey den nächsten Leistungssprung: 433 Qubits. 2023 will IBM dann mit Condor die 1000er Grenze durchbrechen und eine CPU mit 1121 Qubits bauen. Die steigende Zahl der Qubits kommt aber nicht nur der Rechenleistung zugute. Einen Teil der Qubits plant IBM für die Fehlerkorrektur zu verwenden, um die Zuverlässigkeit und Genauigkeit der Ergebnisse der Quantenberechnung zu erhöhen. Deshalb ist künftig zwischen der Zahl der physikalischen Qubits und den logischen Qubits, die dann wirklich für eine Berechnung zur Verfügung stehen, zu differenzieren.