Während die Internationalisierung von Geschäftsmodellen Unsummen in die Kassen der Investoren spült, mehrt sich die Zahl der Verlierer. Im Internet machen sie ihrem Ärger Luft über Firmenlenker, die das Selbstwertgefühl und die berufliche Existenz ihrer Mitarbeiter aufs Spiel setzen und sie einfach gegen billige Wettbewerber aus Nah und Fern austauschen. "Manager sind wie Autisten", empört sich ein Betriebsrat von CSC, der aus Angst vor Repression unerkannt bleiben will. "Unter dem Druck ihrer Zentralen, die nur finanzielle Kennzahlen akzeptieren, blenden sie die weichen Faktoren komplett aus."
Der US-amerikanische IT-Dienstleister hatte vor einem Jahr beschlossen, mehrere tausend Arbeitsplätze zu streichen. Auch in Deutschland sind mehrere Standorte betroffen, darunter Immenstaad, wo knapp 60 Helpdesk-Jobs nach Prag verlagert werden sollen. Aus Sicht der Mitarbeiter eine nicht nachvollziehbare Entscheidung. Sie kontern mit einem Gutachten der Bochumer Unternehmensberatung ISA Consult: Demnach liefert der Helpdesk hohe Qualität, ist produktiver als der Benchmark und seinen Konkurrenten dank hervorragender Kundenzufriedenheitswerte haushoch überlegen. "Eine Märchenstunde", kommentiert ein CSC-Sprecher.
"Autisten" und "Märchenerzähler" beschimpfen sich
Zudem gibt die positive Arbeitsmarktentwicklung Anlass für ein neues Selbstbewusstsein. Angesichts der hohen Nachfrage nach qualifizierten IT-Fachkräften sind mittlerweile auch in anderen Bereichen wieder interessante Jobangebote zu finden etwa im Support. Der Fall CSC ist dafür ein gutes Beispiel: "Viele der ehemaligen Angestellten haben schnell eine neue Stelle gefunden", berichtet die Konstanzer Rechtsanwältin Margrit Zepf, die für die Betroffenen bessere Bedingungen vor Gericht durchboxt. Der Personalaufbau am neuen Standort Prag geriet dagegen unerwartet ins Stocken. Statt das Nearshoring-Projekt im Eiltempo durchzuziehen, muss CSC daher jetzt über Internet-Stellenbörsen neue Mitarbeiter für den First-Level-Support in Immenstaad rekrutieren, um die zunehmend verärgerten Kunden bei der Stange zu halten.
Freiwillig gehen oder hohen Arbeitsdruck aushalten
Uwe Bodmer (59) kennt die Angst vor Jobverlust und Hartz IV nur zu gut. Hautnah musste er mit ansehen, wie Topentscheider das Schicksal ihrer Mitarbeiter leichtfertig in Kauf nahmen. Bei Alcatel, inzwischen in Alcatel-Lucent Deutschland GmbH umfirmiert, war der ehemalige Abteilungsleiter der Softwareentwicklung einer von 40 000 Kollegen. Heute sind es nur noch 3000. Entwickelten unter Bodmers Führung einst 50 Spezialisten Verwaltungsprogramme für internationale Standorte - von der Konfiguration über die Einführung bis hin zum Qualitäts-Management -, blieben am Ende des Offshoring-Projekts in Indien und China nur noch drei Mitarbeiter übrig. "Früher war unser Process Improvement in der Entwicklerszene sehr gut angesehen. Und plötzlich ist die Qualität nichts mehr wert", beklagt Bodmer, der erlebt hat, wie Kollegen regelrecht "hinausgeekelt wurden".
Dabei handelt es sich nicht um Einzelfälle. Beispiele dafür, dass Mitarbeiter nur noch als unerwünschte Kostenfaktoren gelten, liefern die heutigen Outsourcing-Projekte in Hülle und Fülle. Auch bei der TUI-Tochter Infotec, an der sich der indische IT-Dienstleister Sonata im Herbst 2006 mit knapper Mehrheit beteiligte, schlagen die Wogen hoch. Während sich der Betriebsrat bedeckt hält, lassen die Worte eines Entwicklungsingenieurs erahnen, wie empfindlich das Betriebsklima durch die Übernahme in Mitleidenschaft gezogen wurde: "Einige Kollegen aus meinem Umfeld haben das Unternehmen freiwillig verlassen. Und viele von denen, die an Bord geblieben sind, müssen einen höheren Arbeitsdruck bewältigen."
Betreuer von Altsystemen haben selten eine Chance
Near- und Offshoring ist überall. Betriebe werden komplett umgekrempelt, Prozesse kommen auf den Prüfstand. Ein anonymer Versicherungsangestellter berichtet, wie funktionierende Teams auseinandergerissen und etablierte Netzwerke der Zusammenarbeit "völlig zerhackt" wurden. Einige Mitarbeiter seien sofort entlassen worden. Wer für die Betreuung von Altsystemen zuständig sei, stehe "auf der Abschussliste". "Viele Kollegen kommen sich vor wie auf einem Verschiebebahnhof. Von den Managern ab der mittleren Führungsebene aufwärts haben sie nichts mehr zu erwarten. Niemand hört zu, niemand erträgt Kritik."
In dem schnelllebigen Markt geht es Schlag auf Schlag. In den nächsten vier Jahren werden große Unternehmen in Deutschland rund 120 000 IT-Stellen streichen, prognostiziert die Unternehmensberatung A.T. Kearney. Ingenieure und Informatiker müssen sich künftig um jeden neuen Auftrag mit internationalen Wettbewerbern streiten. Die Frage ist nur, warum beim Outsourcing und Offshoring unweigerlich der Eindruck entsteht, der Chefetage seien die Mitarbeiter völlig egal.
Maßnahmen zur Kostensenkung entpuppen sich als Flop
Für Karl-Heinz Hageni, ehemaliger Betriebsratschef der Software AG, sind solche Auswüchse kein einmaliger Betriebsunfall. Als das Unternehmen vor vier Jahren ein Entwicklungszentrum in Bangalore errichtete, wurden in Deutschland viele hochqualifizierte Mitarbeiter vor die Tür gesetzt. Die Kostensenkungsmaßnahme entpuppte sich jedoch als Flop. "Es fehlte die Gesamtkostenbetrachtung", kritisiert Hageni. Das Management habe weder den höheren Aufwand für die Kommunikation mit der Zentrale und die erhöhte Reisetätigkeit noch die mühsame Einarbeitung indischer Fachkräfte und die hohe Fluktuation vor Ort eingerechnet. Hageni: "Dafür hatten die Controller keine Kennzahlen parat."
Inzwischen hat die Software AG aus ihren Fehlern gelernt. Nach Angaben von Rainer Burckhardt, Hagenis Nachfolger im Betriebsrat, werden nur noch kleinere Aufgaben wie Softwaretests in Indien erledigt. Den Aufbau des neuen Entwicklungsstandorts im bulgarischen Sofia beobachten die Mitarbeiter dennoch mit Argusaugen. "Die Geschäftsleitung investiert nicht in Entwicklung, sondern in Billiglohnländer", begründet Burckhardt das anhaltende Misstrauen der Belegschaft.
Der rein kostenfixierte Ansatz ist im Zeitalter der Globalisierung völlig untauglich, warnt Tobias Kämpf, Soziologe beim Münchner Institut für sozialwissenschaftliche Forschung (ISF): "Solange die Internationalisierung nur unter dem Offshore-Kosten-Paradigma betrieben wird, verursacht sie einen großen Flurschaden in den Firmen. Wenn sich IT-Spezialisten als Kostenfaktor behandelt fühlen, verlieren sie schnell die Motivation." Das aber gefährde wiederum die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen: "Wie sollen sie da noch neue Ideen entwickeln?"
Gemeinsam mit Arbeitnehmervertretern und Managern von T-Systems, SAP und der Software AG erarbeiten die Forscher ein Modell für Offshore-Entwicklungsprojekte, das den Belegschaften ihre Unsicherheit nehmen und sie aktiv an der "Erfolgsstory Internationalisierung" beteiligen soll.
Über Outsourcing informieren
In den Ohren der betroffenen IT-Mitarbeiter, die ihre Bosse kaum zur Umkehr bewegen können, klingen solche Erwägungen allerdings hohl. Hinz kommt, dass sich nicht alle auf Betriebsräte verlassen können, die - wie etwa beim IT-Dienstleister EDS - ihre Kollegen tatkräftig vertreten: "Das Management informiert uns in der Regel sehr früh über geplante Auslagerungen", so Betriebsrat Volker Stichter. Versetzungen oder Streichungen werde lediglich zugestimmt, "wenn Mitarbeiter nicht rechtzeitig qualifiziert werden können". Und fast immer ergebe sich eine alternative Position am Hauptsitz Rüsselsheim, wo rund 1800 der 3200 in Deutschland beschäftigten EDS-Mitarbeiter ihrem Tagwerk nachgehen.
Angesichts der zunehmenden Offshoring-Aktivitäten deutscher Unternehmen haben die Betriebsräte alle Hände voll zu tun. Aber auch wenn die Arbeitnehmervertreter oft nur das Schlimmste verhindern können, über eines freuen sie sich: In der IT-Branche verzeichnen die ansonsten vom Mitgliederschwund geplagten Gewerkschaften seit geraumer Zeit deutliche Zuwächse. (sp)