In der Businesswelt ging Ende 2019 so manche Augenbraue hoch, als bekannt wurde, dass der langjährige SAP-Chef Bill McDermott zu ServiceNow wechselt. Nach seinem ersten Dienstjahr dürfte klar sein: Er wusste ganz genau, was er tat und warum.
Die soeben bekanntgegebenen Geschäftsergebnisse für das 4. Quartal und das gesamte Jahr 2020 sprechen für sich. Der Umsatz ist im letzten Geschäftsjahr um satte 30 Prozent auf 4,5 Milliarden Dollar gewachsen, der Gewinn lag bei 119 Millionen. Die Gewinnmarge ist im Vergleich zu der von McDermotts letztem Arbeitgeber eher schmal, doch das Unternehmen investiert momentan stark in die Weiterentwicklung seiner Produktlinie und in seine weltweite Expansion.
Dass letztere tatsächlich eintreffen und die nahe Zukunft von starkem Wachstum geprägt sein wird, scheint für die Investoren außer Zweifel. Die Marktkapitalisierung von ServiceNow liegt aktuell bei mehr als 100 Milliarden Dollar, also bei mehr als dem Zwanzigfachen des Umsatzes. Im Oktober 2019, kurz bevor McDermott das Ruder übernahm, lag der Aktienkurs bei etwa 250 Dollar. Mitte Dezember letzten Jahres erreichte er mit 565 Dollar sein vorläufiges Allzeithoch.
Corona-Krise als Chance
Man könnte hier einwenden, dass im Krisenjahr 2020 fast alle IT- und Internet-Schwergewichte mit steigenden Umsätzen und Aktienkursen belohnt wurden - mit gutem Grund. Cloud Computing, E-Commerce und digitale Geschäftsprozesse hielten die Wirtschaft während des Lockdowns und anderer Maßnahmen am Laufen. Weltweit stellte die Industrie endgültig fest, dass es keine Alternative zur digitalen Transformation gibt und löste einen Wettlauf in Sachen Digitalisierung aus.
Doch während die Vorzüge von Cloud Computing und anderer Schlüsseltechnologien in den Jahren davor ausführlich diskutiert wurden und den meisten IT-Managern weithin bekannt sein dürften, waren zu Beginn der Krise die Fähigkeiten der Now Platform von ServiceNow nicht allzu offensichtlich. Genau hier kam die besondere Gabe eines Mannes wie Bill McDermott ins Spiel, die Gunst der Stunde zu erkennen und die richtige Strategie zu artikulieren.
McDermott sah Corona als Chance, der Fachwelt zu beweisen, wozu die Now Platform in der Lage ist. "Und dann brachten wir die Emergency-Response-Anwendungen heraus, die sich in der Folge in eine Suite von Return-to-Work-Safely-Anwendungen weiterentwickelten", so McDermott neulich im Podcast der US-Magazins Cloud Wars. "Das brachte die Stärke der Now Platform zum Leuchten, weil man das alles innerhalb von Tagen entwickeln und global ausrollen konnte." Aktuell wird die Now Platform in mehreren Ländern dazu verwendet, die Verteilung der Corona-Impfungen zu steuern.
Es war denn auch die enorme Umsetzungsgeschwindigkeit solcher Projekte, die Unternehmen deutlich machen konnte, dass es bei der Now Platform um viel mehr geht als nur um IT Service Management, also der Disziplin, aus der ServiceNow als Unternehmen entwachsen ist.
System of Action
Vielmehr arbeitet Bill McDermott daran, ServiceNow zum "bestimmenden Software-Anbieter im 21. Jahrhundert" zu machen. "Unsere Ingenieure verbringen ihre Zeit damit, die Zukunft zu erfinden, nicht die Vergangenheit zu integrieren", sagt McDermott. Die Now Platform versetze Kunden in die Lage, sich auf das zu konzentrieren, was sie erreichen wollen, statt sich mit dem Status Quo zu beschäftigen. In diesem Kontext bezeichnet McDermott die Now Platform als eine "Go-to-Market-Maschine", die Projekte innerhalb von Tagen und Wochen statt Jahren und Monaten umsetzt.
Diese Fähigkeit hatte McDermott noch während seiner Zeit an der Spitze von SAP erkannt - und damit auch den Unterschied zu dem, was SAP und ihresgleichen machen. Die Rolle von ERP- und ähnlichen Systemen bestehe darin, Daten aufzuzeichnen und zu verwalten, sei es in der Warenwirtschaft, im Finanz- oder im Personalwesen. Sie seien "Systems of Record" und damit das Fundament, auf dem Lösungen wie die Now Platform aufsetzen.
Im Gegensatz dazu sei die Now Platform ein "System of Action". Es gehe dabei um die Aktivität, die auf Basis dieser Daten entfaltet werden kann. "Wir sind also in der Lage, eine Idee zu nehmen und sie in diesem System of Action zu manifestieren. Das ermöglicht es Menschen, funktionsübergreifend in Teams zu arbeiten, um tatsächlich ein Ziel zu erreichen oder ein Projekt umzusetzen", so McDermott. Nach diesem Prinzip sei beispielsweise Uber in der Lage gewesen, auf Basis der Return-to-Work-Safely-Apps innerhalb von zwei Wochen wieder operativ zu werden, während die Konkurrenz innerhalb dieser Zeit nicht einmal eine Demo ihrer Lösung auf die Beine stellen konnte.
Die Ziele der Service-Revolution erfüllen
Bill McDermott rechnet damit, dass die Anforderung, Projekte schnell umsetzen zu können, in diesem Jahr sich massiv verstärken wird. Dafür würden schon die Kunden sorgen, die dank der Corona-Krise herausragenden digitalen Service und eine einwandfreie Customer Experience erwarten. 2021 werde deshalb ein "brutales Jahr" sein für all die Firmen, die es nicht schaffen, die Vorgaben der "Service-Revolution" zu erfüllen.
"Stellen Sie sich einfach einen digitalen Service vor, bei dem Kunden sich den Telefonkontakt zum Anbieter ersparen können, weil die User Experience so reibungslos ist", sagt McDermott. "Für den Fall, dass Nutzer mit dem Service-Prozess zu kämpfen haben, würde die Workflow-Maschine einspringen und erkennen, ob ein Bot das Problem lösen kann oder ein Mensch hinzugezogen werden muss. Da Künstliche Intelligenz in den ServiceNow-Workflow eingebaut ist, können wir automatisch den richtigen Mitarbeiter mit den passenden Fähigkeiten und ausreichend Entscheidungskompetenz abstellen, um das Problem des Kunden zu lösen."
In einer zunehmend digitalisierten Welt entwickelt sich die User Experience zum Maß aller Dinge, egal ob diese sich auf Mitarbeiter oder Kunden bezieht. Eine Experience-getriebene Organisation zu werden, könnte deshalb der passende Vorsatz für 2021 sein.