DSAG-Jahreskongress

SAP verunsichert seine Kunden

20.09.2023
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Die SAP-Strategie, maßgebliche Innovationen nur noch in der Cloud anzubieten, verärgert die Kunden. Sie erwarten Unterstützung für ihre Altsysteme. SAP will aber an seinem Cloud-Kurs festhalten.
Das Verhältnis zwischen SAP und seinen Kunden ist längst nicht mehr so glänzend wie noch vor einigen Jahren. Das Management in Walldorf hat mit seinen jüngsten Entscheidungen viel Kredit verspielt.
Das Verhältnis zwischen SAP und seinen Kunden ist längst nicht mehr so glänzend wie noch vor einigen Jahren. Das Management in Walldorf hat mit seinen jüngsten Entscheidungen viel Kredit verspielt.
Foto: DSAG

Die Ankündigung von SAP, maßgebliche Innovationen zukünftig nur noch Kunden mit einem RISE- oder GROW-Vertrag zur Verfügung zu stellen, sorgt für heftige Diskussionen in Reihen der Anwender. "SAP lässt zahlreiche treue Kunden im Regen stehen", konstatierte Jens Hungershausen, Vorstandsvorsitzender der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG), zum Auftakt des diesjährigen Jahreskongresses in Bremen.

Damit hat der Vereinssprecher in erster Linie die Unternehmen im Blick, die in den vergangenen Jahren auf die On-premises-Variante von S/4HANA migriert sind. SAP hat zwar versprochen, diese Software bis 2040 zu unterstützen und weiterzuentwickeln. Doch diese Zusage gilt offenbar nicht für alle neuentwicklungen. Erst im Juli 2023 hatte der deutsche Softwarekonzern angekündigt, bestimmte Innovationen, beispielsweise im Umfeld von künstlicher Intelligenz oder Nachhaltigkeitsmanagement, nur noch für die Cloud-Versionen von S/4HANA bereitzustellen.

SAP-Kunden verlieren das Vertrauen

Damit sind etliche SAP-Anwender von Innovationen aus Walldorf abgekoppelt. Laut einer aktuellen DSAG-Umfrage Anfang dieses Jahres setzen 41 Prozent der Kunden S/4HANA in der On-premises-Version ein, acht Prozent haben die Private-Cloud-Edition im Einsatz und drei Prozent nutzen das aktuelle SAP-Release in der Public Cloud. Diese Zahlen machen außerdem deutlich, dass knapp die Hälfte der Kunden den S/4HANA-Umstieg noch vor sich hat. Vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen werde es spannend sein zu beobachten, wie sich die Unternehmen hinsichtlich ihrer Transformationsprojekte entscheiden, sagte DSAG-Chef Hungershausen.

Digitale Transformation - SAP-Anwender haben Nachholbedarf

Grundsätzlich scheint es bei der SAP-Klientel in Sachen digitaler Transformation noch Luft nach oben zu geben. Rund die Hälfte räumt in der DSAG-Umfrage ein, noch nicht besonders weit fortgeschritten zu sein. Das spiegelt sich auch in den Migrationsszenarien wider. Bei vielen S/4HANA-Umstellungen handelt es sich um rein technische Migrationen. Eine echte Transformation einschließlich ERP aus der Cloud ist für die meisten Kunden noch Zukunftsmusik.

Das ist dem SAP-Management rund um CEO Christian Klein ein Dorn im Auge. Seit Jahren versucht die Konzernspitze, die Kunden für eine Cloud-Migration zu gewinnen. Dazu haben die Walldorfer verschiedene Programme aufgelegt. RISE with SAP richtet sich an langjährige Kunden mit monolithischen Bestandssystemen, die im Laufe der Jahre modifiziert wurden. Das Paket beinhaltet SAP-Software, Migrationsservices und die Cloud-Infrastruktur eines Hyperscalers: Zur Auswahl stehen AWS, Google und Microsoft. Anwender sollen damit in die Lage versetzt werden, neue Geschäftsprozesse einzurichten und zu standardisieren, Daten zu harmonisieren und auf der Basis von SAPs Business Technology Platform (BTP) ein agiles, modulares ERP-System in der Cloud einzurichten und zu betreiben.

Mit GROW with SAP adressiert der Softwarehersteller Neukunden, die ein S/4HANA-System auf der grünen Wiese einführen wollen, also keine Altlasten mitbringen. Dabei geht es in erster Linie um ein möglichst schnelles Go-Live in der Public Cloud. Am Ende steht ein integriertes Cloud ERP mit vorkonfigurierten Apps. Zentraler Dreh- und Angelpunkt ist auch hier SAPs BTP.

Cloud-first, ja - Cloud-only, nein

Auf Anwenderseite wirft die Strategie ihres Softwarelieferanten noch eine Menge Fragen auf. Hungershausen fordert klare Entwicklungspfade, um einen reibungslosen Übergang in die Cloud und die nächste ERP-Generation zu gewährleisten. Getätigte Investitionen dürften nicht gefährdet werden. SAP-Kunden seien keine Cloud-Verweigerer, betonten die Anwendervertreter. "Wir befürworten die Nutzung der Cloud und wissen, dass Innovationen heute maßgeblich auf Cloud-Technologie bereitgestellt werden müssen", hieß es von Seiten der DSAG.

Cloud-first ist für Jens Hungershausen, Vorstandsvorsitzender der DSAG, nachvollziehbar - Cloud-only dürfe aber dagegen keine Option sein.
Cloud-first ist für Jens Hungershausen, Vorstandsvorsitzender der DSAG, nachvollziehbar - Cloud-only dürfe aber dagegen keine Option sein.
Foto: DSAG

Wichtig bleibe aber die Freiheit jedes einzelnen Unternehmens, selbst entscheiden zu können, wann es welchen Weg einschlage. Es dürfe keinen Zwang geben. "Eine Cloud-first-Strategie von SAP ist durchaus nachvollziehbar", so Hungershausen, "eine Cloud-only-Strategie ist aber keine Option". die zentrale Forderung des Anwendervereins: Alle Innovationen für die S/4HANA Private Cloud müssen in identischem Leistungsumfang auch für S/4HANA On-premises zur Verfügung gestellt werden.

Ob die DSAG damit durchkommt, ist zumindest fraglich. "Das Feedback ist angekommen und wir nehmen es ernst", sagte SAP-CEO Christian Klein in seiner Keynote zum DSAG-Jahreskongress. In der Cloud-Frage wich der Manager allerdings kein Iota von seiner Linie ab. Man habe vor drei Jahren begonnen, SAP neu aufzustellen und es sei nicht leicht gewesen, den Konzern zu drehen. Auch SAP selbst stehe unter Druck, neue Wettbewerber tauchten in erster Linie in der Cloud auf.

SAP rückt Business-Relevanz in den Vordergrund

Die Cloud begreift Klein als Chance - für SAP und für die Kunden. "Wir sind in der Cloud offener denn je", beteuerte der SAP-Chef und verwies auf die umfangreiche Integration Suite auf der BTP. "Ich will, dass SAP für Offenheit steht." Außerdem soll die Business-Relevanz der SAP-Lösungen stärker in den Mittelpunkt der Strategie rücken. "Früher haben wir Produkte entwickelt, und erst dann nach dem Nutzen gefragt", räumte Klein ein. Das soll sich künftig ändern.

DSAG-Umfrage: Viele S/4HANA-Kunden wollen nicht in die Cloud

Als Paradebeispiel dafür führte Klein die neuen KI-Lösungen von SAP an. Mit Business AI und dem eigenen Copilot sollen Kunden viele Prozesse in ihren SAP-Systemen automatisieren und intelligente Workflows einführen können. Im Blickunkt werde dabei immer die Business-Relevanz der Lösung stehen, so der SAP-CEO.

KI sei ein Beispiel dafür, dass Innovation und Cloud nicht mehr voneinander zu trennen seien, so Klein. Seinen Angaben zufolge nutzen bereits rund 25.000 Kunden SAPs KI-Lösungen in der Cloud. Nur mit deren Bereitschaft, Daten für das Training der Algorithmen zur Verfügung zu stellen, sei es möglich, gute und vor allem relevante KI-Lösungen bereitzustellen.

Zweiter KI-Aufschlag in der Cloud

In stationären Lösungen bei den Anwendern vor Ort mit jeweils isolierten Datensilos und allen damit verbundenen Problemen hinsichtlich Datenmodellen und -qualität sei dies nicht möglich. Das habe SAP mit seinem ersten KI-Anlauf unter dem Label "Leonardo" selbst erfahren müssen, gab Klein zu. Er sprach offen von einer schlechten Lösung, deren Adaption auf Anwenderseite gegen null tendiert habe. Mit dem jetzt gestarteten zweiten KI-Aufschlag will SAP dagegen mit Qualität, Relevanz und Vertrauen punkten.

SAP CEO Christian Klein bemühte sich auf dem DSAG-Jahreskongress in Bremen sichtlich, den Ärger der Kunden zu besänftigen, und versuchte seine Klientel für eine echte digitale Transformation zu begeistern.
SAP CEO Christian Klein bemühte sich auf dem DSAG-Jahreskongress in Bremen sichtlich, den Ärger der Kunden zu besänftigen, und versuchte seine Klientel für eine echte digitale Transformation zu begeistern.
Foto: DSAG

Doch dafür wird es noch einiges an Überzeugungsarbeit seitens SAP brauchen. Die Anwender haben noch etliche Fragen, insbesondere was die Kosten angeht. SAP will für die mit KI ausgestatteten Premium-Varianten der RISE-Verträge einen Aufschlag von bis zu 30 Prozent verlangen. Da stelle sich schon die Frage, was daran neu ist, und welche KI-Komponenten nicht schon in den bestehenden Lösungen vorhanden sind, merkte Thomas Henzler, Fachvorstand für den Bereich Lizenzen, Service & Support bei der DSAG, kritisch an.

Henzler mahnte mehr Transparenz hinsichtlich der KI-Produktstrategie von SAP an und verwies auf die jüngsten Kooperationsankündigungen mit IBM und OpenAI. Er frage sich, was davon unterm Strich in SAPs Business AI ankomme, wofür also die Kunden zur Kasse gebeten würden. Mit Blick auf die zahlreichen neuen Lösungen im Umfeld von Generative AI sollten SAP-Kunden überlegen, was sie vielleicht selbst bauen und was andere Softwareanbieter liefern könnten, riet Henzler. Schließlich propagiere der Softwarekonzern die Offenheit seiner Plattform, so dass sich auch andere KI-Lösungen integrieren lassen müssten.

Die Wunschliste der SAP-Anwender

Insgesamt müssten SAPs Produktstrategie und die Preismodelle transparenter werden, fordern die DSAG-Vertreter. Es gelte Preismetriken zu vereinfachen, Lizenzkosten komplett offenzulegen und Lösungsoptionen übersichtlich darzustellen. Auch die Produktqualität sei ein von Kunden häufig adressierter Punkt, so die Anwendervertreter. Um die Zusammenarbeit mit SAP zu verbessern, müsse außerdem die Servicequalität verbessert werden. Kunden und Partner benötigten mehr qualifizierte Ansprechpersonen und schnellere Reaktions- und Korrekturzeiten zum Beispiel bei Fehlermeldungen.

"Insgesamt wäre es wichtig, dass SAP-Strategie und -Entwicklung deutlicher Hand in Hand gehen mit den Kundenbedürfnissen", zog DSAG-Sprecher Hungershausen Bilanz. "Hier könnte hilfreich sein, wenn Kunden und Partner früher und intensiver in die Entwicklung eingebunden werden." Es brauche eine neue Grundlage, um das gegenseitige Vertrauen zwischen Anwenderunternehmen, Partnern und SAP zu stärken. Dazu gehört aus DSAG-Sicht aber auch, dass die Anwenderunternehmen offen sind für Neues und die Innovationen von SAP auch nutzen. Hungershausen verwies auch darauf, dass bald die ersten S/4HANA-Releases aus der Standard-Wartung liefen und etliche Anwender mit dem Einspielen neuer Release-Stände hinterherhinkten.

Altsysteme werden zur Belastung für SAP

Klein machte in seiner Rede kein Hehl daraus, dass die lange Geschichte des Konzerns allmählich zu einer Hypothek wird. Der CEO verwies auf das Customizing und die vielen unterschiedlichen Release-Stände, die Anwender in ihren SAP-Landschaften betrieben. Diese Vielfalt lande am Ende wie ein Boomerang wieder beim Softwarehersteller. SAP werde auch in die Weiterentwicklung der On-premises-Systeme investieren, versprach der Vorstandsvorsitzende. Doch das werde die Walldorfer Milliardenbeträge kosten. Klein warnte davor, dass SAP nicht im Markt bestehen könne, wenn längerfristig über 200 ERP-Versionen weiterentwickelt und gepflegt werden müssten. Schließlich trage er als SAP-CEO auch die Verantwortung, die Zukunftsfähigkeit des Softwareherstellers zu sichern.

50 Jahre SAP: Der Softwarekonzern steht am Scheideweg

Der Vorstand zeigte sich insgesamt bemüht, die Wogen zu glätten. "Unser größter Schatz sind unsere Bestandskunden", beteuerte der Manager auf der DSAG-Bühne in Bremen und appellierte an die Anwender, den anstehenden Wandel gemeinsam zu meistern. SAP wolle mit seinen Cloud-Angeboten mehr in die Verantwortung gehen, um die Business-Vorteile auf der Kundenseite wirklich zu heben. Der SAP-Chef räumte allerdings auch ein, dass der Weg nicht einfach sei. Transformation bedeute nicht, einfach nur eine Software zu migrieren oder in der Cloud zu hosten. Transformation bedeute, sich an die Prozesse zu machen.