Die Ansage aus Walldorf ist unmissverständlich. "SAP hat seine Strategie noch einmal radikal nachgeschärft", sagte Finanzchef Luka Mucic zum Auftakt der Konferenz SAP Now am 9. März. Der Fokus liege nun ganz eindeutig auf den Cloud-Lösungen. Man wolle kein Opfer disruptiver Marktkräfte werden, sondern selbst die Akzente setzen, stellte der CFO fest.
"2021 wird das Jahr des Aufbruchs", ergänzte SAPs Deutschland-Chef Alexander Kläger. Veränderung bleibe die einzige Konstante. Für viele Unternehmen werde es überlebenswichtig, das eigene Geschäftsmodell zu überprüfen, so Mucic weiter. Das gelte auch für SAP.
Der Softwareanbieter stützt seine Cloud-Strategie auf Vorhersagen von Marktforschern, wie aus dem jüngsten Jahresbericht des Konzerns für 2020 hervorgeht. Demzufolge prognostiziert IDC für die kommenden Jahre zwei Trends: die Ausrichtung auf Plattformen und den Umstieg auf die Cloud. Bis Ende 2021 würden die meisten Unternehmen (80 Prozent) doppelt so schnell, wie vor der Coronakrise geplant, auf cloudbasierte Infrastrukturen und Anwendungen umstellen. Bis 2024 könne sich die Zahl der Betriebe, die Cloudarchitekturen für zentrale Geschäftsanwendungen einführen, verfünffachen.
SAP will in Forschung und Entwicklung investieren
Um in diesem Rennen vorne zu bleiben, will SAP seine Entwicklungsanstrengungen forcieren. Mucic zufolge wurden allein im vergangenen Jahr rund 2000 neue Entwickler angeheuert. Das Forschungs- und Entwicklungsbudget soll von 14 auf 16 Prozent vom Umsatz wachsen, "auch wenn es dafür keinen Applaus am Kapitalmarkt gibt", zeigte sich der Finanzchef unbeeindruckt.
Der Schlüssel, mit dem SAP die Tür zum Cloud-Markt öffnen will, ist das kürzlich vorgestellte Programm "Rise with SAP". Deutschland-Chef Kläger bezeichnete das Angebot als ein "Rundum-Sorglos-Paket" für die Kunden. Es gebe nur einen Vertrag und einen Ansprechpartner. Zum Paket gehören eine Public-Cloud-Infrastruktur - die Kunden können zwischen den Hyperscalern und der SAP-Cloud wählen -, S/4HANA, die Business Technology Platform (BTP), das Business Netzwerk, der neue Prozess-Werkzeugkasten Business Process Intelligence - hier werden auch die Tools des übernommenen Process-Mining-Spezialisten Signavio einsortiert - sowie Migrations-Tools und Schulungen. SAP werde sich um den Betrieb der Software kümmern, die Anwender könnten sich ganz auf ihre digitale Transformation konzentrieren, so die Rechnung der SAP-Verantwortlichen.
Komplexität behindert digitale Transformation
Ob diese aufgeht, ist allerdings nicht sicher. Die SAP-Manager appellieren an ihre Kunden, alte Zöpfe abzuschneiden und stärker auf Standardisierung zu setzen. Mucic stellt fest, dass die Modernisierung auf Seiten der Anwenderunternehmen vielerorts nur stockend vorangehe. Zwar steige der Druck sich zu transformieren unaufhörlich, dennoch zögerten viele Betriebe, den digitalen Umbau mit der nötigen Entschlossenheit voranzutreiben. Der Grund dafür liege in der Komplexität der bestehenden Systemlandschaften.
SAPs Finanzchef warb für die Vorteile einer Cloud-Lösung. Die höhere Verfügbarkeit der gesamten Infrastruktur stärke die Resilienz von Unternehmen. Außerdem könnten Innovationen in kürzeren Zyklen vorangetrieben werden als in der On-Premises-Welt. Die Migration in die Cloud biete außerdem die Möglichkeit, Modifikationen aus den Systemen herauszunehmen und zu standardisieren. Brauche es dennoch Anpassungen, ließen sich diese auf Basis der BTP umsetzen. Zu guter Letzt offeriere die Public Cloud Chancen, die Betriebskosten deutlich zu reduzieren - um bis zu 20 Prozent, behauptete Mucic.
Viele SAP-Anwender werden bei ihrem Umstieg auf S/4HANA wohl nicht um einen harten Cut herumkommen. Auch das wurde zum Auftakt der SAP Now deutlich. Christian Niederhagemann, CIO der GEA-Gruppe, berichtete im Zuge seiner SAP-Migration von einer mehrjährigen Reise, die zudem aufwändig und komplex sei. In seinem Unternehmen gehe es darum, 200 Gesellschaften auf eine gemeinsame Plattform zu hieven. Niederhagemann wählte dafür einen Greenfield-Ansatz und mahnt seine Kollegen, vor allem zuerst die eigenen Prozesse in Ordnung zu bringen. Es funktioniere nicht, "alte Prozesse in den neuen S/4HANA-Schlauch zu gießen".
Kunden wollen an Eigenentwicklungen festhalten
Ob SAPs Cloud-Appelle in der Breite Wirkung zeigen, ist zweifelhaft. Zwar machen sich viele Betriebe auf den Weg in Richtung S/4HANA. Doch dabei steht meistens die On-premises-Variante im Fokus. Nur zwölf Prozent planen mit einem Cloud-Ansatz, hat die jüngste Umfrage der deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG) ergeben. Demzufolge haben die Anwender noch viel Erklärungsbedarf, gerade was Rise with SAP anbelangt.
"SAP ist gemeinsam mit Partnern gefordert Wege aufzuzeigen, wie sie hochgradig angepasste Systeme und Prozesse in S/4HANA-Cloud-Umgebungen überführen wollen", sagte kürzlich Steffen Pietsch, Fachvorstand Technologie bei der DSAG. Gleiches gelte für die Transformation komplexer Eigenentwicklungen und Drittsystem-Integrationen, die teilweise nicht Cloud-kompatibel seien, de facto aber in vielen Kundensystemen existierten und fachlich weiterhin gebraucht würden.
Damit wird deutlich, dass die Bereitschaft, sich im Zuge des S/4HANA-Umstiegs vom liebgewonnenen Customizing loszusagen, bei vielen SAP-Anwendern nicht besonders groß ist. "Diese Umstellung ist keine technische Migration, sondern eine Transformation, die die inhaltliche Auseinandersetzung mit fachlichen Anforderungen und einen ganzheitlichen Blick auf die Systemlandschaft erforderlich macht", so Pietsch weiter. Ob SAPs Rise-Modell hier weiterhelfen kann, ist aus DSAG-Sicht noch offen. "Derzeit liegen noch zu wenige Informationen vor, um die Tragfähigkeit bewerten zu können."