Mit guten Finanzzahlen im Rücken macht sich SAP-Chef Christian Klein daran, den deutschen Softwarekonzern umzubauen. Zur Vorstellung der Bilanz für das zweite Quartal 2020 kündigten die SAP-Verantwortlichen überraschend an, Qualtrics an die Börse bringen zu wollen. Die Walldorfer hatten den US-amerikanischen Cloud-Spezialisten für das Experience Management erst im November 2018 vier Tage vor dessen Börsengang akquiriert - für die stolze Summe von acht Milliarden Dollar.
SAP, Qualtrics und die CRM-Revolution
Kleins Vorgänger auf dem Chefsessel von SAP, der heutige ServiceNow-Chef Bill McDermott, hatte Großes vor mit Qualtrics. Sein Ziel war es, den Markt für Customer Relationship Management (CRM) neu zu definieren. Es ging darum, endlich dem Rivalen Salesforce Paroli zu bieten, der mit seinem Cloud-Angebot den weltweiten CRM-Markt schon seit Jahren dominiert und die klassischen On-Premises-Anbieter wie SAP weit hinter sich gelassen hat.
Qualtrics, das 2002 gegründet wurde, bezeichnet sich selbst als Pionier für das Experience Management (XM). Mit der Software "Qualtrics Customer Experience" können Unternehmen in Erfahrung bringen, wie sich der Kundenbedarf ändert, welche Kunden für das eigene Geschäft Perspektiven bieten und wie sich Potenzialkunden von der eigenen Marke überzeugen lassen. Dabei hätten die Nutzer stets das gesamte Kundenerlebnis im Blick und könnten entsprechend reagieren sowie Berührungspunkte gezielt verbessern, versprechen die Verantwortlichen. Gleiches sei aus Qualtrics-Sicht auch für andere Erfahrungsaspekte möglich - für Mitarbeiter, Produkte und die eigene Marke.
Aus Sicht McDermotts lag der Mehrwert in der Übernahme von Qualtrics für die Kunden darin, die eigenen operationalen Daten aus den SAP-Systemen mit den Experience-Daten aus den Qualtrics-Anwendungen verknüpfen zu können. "Zusammen werden SAP und Qualtrics einen neuen Standard definieren, ähnlich wie sich Märkte durch personalisierte Betriebssysteme, mobile Endgeräte und soziale Netzwerke verändert haben", kommentierte der Ex-SAP-Chef die Akquisition.
Doch so richtig kam dieses Geschäft nicht in Schwung, zumal SAP selbst erst in dieser Phase daran ging, mit C/4HANA eine zukunftsfähige neue CRM-Plattform zu bauen. Klein und Qualtrics-Chef Ryan Smith bemühen sich, die Software-Liaison dennoch positiv zu verkaufen. "Die Übernahme von Qualtrics durch SAP ist ein großer Erfolg", sagte der SAP-Chef und beteuerte, auch nach einem Börsengang der größte und wichtigste Go-to-Market- und Entwicklungspartner von Qualtrics zu bleiben. Die Kategorie Experience Management und die XM-Plattform seien auch in Zukunft zentrale Elemente der SAP-Strategie für das intelligente Unternehmen.
Qualtrics pochte auf mehr Selbständigkeit
Zwischen den Zeilen klingt jedoch durch, dass es zwischen beiden Unternehmen wohl nicht richtig gefunkt hat. "Als Teil des SAP-Cloud-Portfolios hat Qualtrics schon bisher weit selbständiger operiert als zuvor akquirierte Unternehmen von SAP", heißt es in einer offiziellen Mitteilung. Das war auch in der Vergangenheit immer wieder deutlich geworden, etwa wenn Smith anlässlich von Präsentationen zu großen Veranstaltungen wie einer Sapphire sein eigenes Qualtrics Corporate Identity Design verwendete, statt einer SAP-Vorlage.
Eine eigensinnige Cloud-Tochter kann Klein aber gerade jetzt am wenigsten brauchen. Die Anwender fordern vehement, dass sich der Konzern um eine enge Verzahnung der verschiedenen Cloud-Satelliten mit dem SAP-Kernsystem kümmern soll. Klein und sein Team haben versprochen zu liefern.
Anwender fordern: SAP muss mehr für Integration tun
SAP soll auch in Zukunft Mehrheitsaktionär von Qualtrics bleiben. Es bestehe keine Absicht, diese Mehrheitsbeteiligung auszugliedern oder anderweitig zu veräußern, hieß es. Qualtrics-Chef Smith beabsichtige, der größte Einzelaktionär von Qualtrics zu werden. Die Voraussetzungen für einen Börsengang scheinen derzeit günstig. Trotz Coronakrise läuft bei vielen Tech-Werten derzeit eine regelrechte Börsenrallye an, weil Anleger ihre Investitionen aus klassischen, eher krisenanfälligen Segmenten wie dem Maschinenbau und der Automobilbranche abziehen.
Höhenflug der SAP-Aktie
Das spiegelt auch die Entwicklung des SAP-Papiers wider. Nachdem die Aktie in der ersten Krisenpanik im März auf unter 90 Euro eingebrochen war, kratzt SAP inzwischen an neuen Höchstständen um die 140-Euro-Marke. Der Konzern ist mit einer Kapitalisierung von rund 170 Milliarden Euro längst mit Abstand der wertvollste DAX-Konzern. CEO Klein kann also aus einer starken Position heraus den Umbau vorantreiben. Zwischen April und Juni dieses Jahres belief sich der Umsatz auf 6,74 Milliarden Euro - das sind zwei Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Die Cloud-Erlöse erhöhten sich im zweiten Quartal gegenüber dem Vorjahr um 21 Prozent auf gut zwei Milliarden Euro. Dagegen brach das Geschäft mit Softwarelizenzen erneut ein - um 18 Prozent auf 770 Millionen Euro.
Christian Klein wird alleiniger SAP-Chef
Die SAP-Verantwortlichen sprachen an dieser Stelle dennoch von einer deutlichen Verbesserung gegenüber dem ersten Quartal 2020. Anfang das Jahres hatten die Walldorfer noch einen Rückgang von rund 30 Prozent im Lizenzgeschäft beklagt. Unter dem Strich blieb ein Gewinn von 885 Millionen Euro, das sind 52 Prozent mehr als im Vorjahresquartal (582 Millionen Euro).
Analysten reagierten angesichts der gegenwärtigen Corona-Herausforderungen erleichtert. Mit Blick auf die schwierigen Rahmenbedingungen sei das zweite Quartal für SAP gut gelaufen, so der Tenor. Der Softwarekonzern habe sich als widerstandsfähig gegen die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie erwiesen. Auch auf Seiten der SAP-Führung zeigte man sich sichtlich erfreut über die Zahlen. "Ich bin sehr stolz darauf, dass unsere Teams das sehr schwierige Umfeld erfolgreich gemeistert und ein besseres Quartalsergebnis erreicht haben als erwartet", hatte Klein bereits im Vorfeld erklärt. "Mehr als je zuvor ist durch die Pandemie deutlich geworden, dass Digitalisierung keine Option mehr, sondern zwingend notwendig ist, um schwierige Zeiten zu meistern und die gewünschten Geschäftsergebnisse zu erzielen", ermunterte er seine Kunden, nicht in ihren Digitalisierungsbemühungen nachzulassen.
Umbau im Management
Neben einer neuen strategischen Ausrichtung, muss sich SAP-CEO Klein auch um neue Manager kümmern - und das vermutlich eher ungeplant. So verlässt Deutschland-Chef Daniel Holz überraschend den Konzern. Er hatte die hiesigen Geschäfte seit Anfang 2017 verantwortet und insgesamt rund ein Jahrzehnt bei SAP verbracht. Holz wechselt zu Google, wo er ab Oktober dieses Jahres das Cloud-Geschäft in Europa leiten soll.
Mitte Mai war bereits bekannt geworden, dass Stefan Höchbauer SAP verlassen wird. Der Manager hatte als President Digital Core das globale ERP-Geschäft geleitet. Auch Höchbauer war zwischenzeitlich Deutschland-Chef von SAP. Er wechselt zu Salesforce, wo er ab Oktober die DACH-Region als CEO leiten soll.