Britischem Unternehmen droht Millionen-Nachzahlung

SAP bittet Kunden für indirekte Nutzung zur Kasse

22.02.2017
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Dem britischen Getränkeproduzenten Diageo droht eine saftige Nachzahlung an seinen Softwarelieferanten SAP. Der moniert eine indirekte Nutzung seiner Software über Drittprodukte von Salesforce und fordert fast 55 Millionen britische Pfund. Eine Richterin in London gab den badischen Softwerkern Recht.

Ein Urteil am Königlichen Gerichtshof in London dürfte unter SAP-Kunden für viel Unruhe sorgen. Richterin Finola O'Farrell folgte in dem Verfahren von SAP UK Limited gegen den Getränkehersteller Diageo Great Britain Limited der Argumentation des deutschen Softwarekonzerns, der von seinem britischen Kunden Nachzahlungen für die indirekte Nutzung von SAP-Software einfordert. Den Diageo-Verantwortlichen könnte nun eine Rechnung für entgangene Lizenz- und Wartungsgebühren in Höhe von knapp 55 Millionen britischen Pfund ins Haus flattern.

Software Lizenzvertrag - Anwender sollten genau lesen, welche Nutzungsbedingungen ihnen ihr Softwarelieferant vorschreibt.
Software Lizenzvertrag - Anwender sollten genau lesen, welche Nutzungsbedingungen ihnen ihr Softwarelieferant vorschreibt.
Foto: lexkopje - shutterstock.com

In dem Streit dreht es sich um die indirekte Nutzung von SAP-Systemen. Der in London ansässige Hersteller, der unter anderem die Marken Johnnie Walker, Smirnoff Wodka, Baileys sowie Guinness-Bier vertreibt, arbeitet seit 2004 mit SAP-Software. Diageo nutzt "mySAP ERP" für die Produktion, die Steuerung der Supply Chain, sein Finanz-Management und den Bereich Human Ressources (HR). Darüber hinaus setzt der Spezialist für Hochprozentiges "SAP Process Integration" (PI), ehemals "SAP Exchange Infrastructure" (XI), ein, um seine Systeme zu verbinden sowie Daten zwischen diesen auszutauschen. Die Lizenzmetrik für das zentrale mySAP-System beruht auf Named User, die Gebühren für das Integrationswerkzeug bemessen sich nach dem Volumen der darüber ausgetauschten Informationen.

Nur Named User dürfen auf SAP zugreifen

In den Jahren 2011 und 2012 haben die Briten ihre Systemlandschaft ausgebaut - allerdings nicht mit SAP-Lösungen. Die Softwaresysteme "Gen2" und "Connect" basieren auf der Cloud-Plattform des SAP-Konkurrenten Salesforce. Gen2 soll die Vertriebsmitarbeiter dabei unterstützen, ihre Kundenkontakte effizienter zu verwalten, und auch die daraus resultierenden Informationen besser fürs Geschäft einzusetzen. Via Connect können die Diageo-Kunden ihre Bestellungen direkt ins System eingeben sowie den Status ihrer Aufträge einsehen.

Die SAP-Verantwortlichen argumentieren nun, dass ausschließlich Anwender, die Diageo als Named User lizenziert hat, auf die SAP-Software zugreifen dürften. Das gelte insbesondere auch für die Nutzer von Gen2 und Connect. Beide Systeme seien mit dem SAP-Kern verbunden, würden Daten daraus nutzen und auch wieder zurückschreiben. Die Nutzung von SAP PI entbinde die Anwenderunternehmen nicht von der Pflicht, die entsprechenden Anwender auch zu lizenzieren. Schließlich werde keine SAP-Funktionalität nach außen repliziert. Nutzer griffen via PI auf SAP zu und müssten demzufolge als Named User lizenziert und abgerechnet werden.

Das sieht das Management von Diageo anders. SAP PI diene als eine Art Pförtner-Lizenz, um auf Informationen im SAP-System zuzugreifen. Schließlich zahle man auch eine Gebühr für die Daten, die Drittapplikationen über SAP PI beziehen. Eine solche Gebühr werde für den Datenaustausch zwischen SAP-Systemen nicht fällig. Zudem gebe es in den Lizenzvereinbarungen keinerlei konkrete Aussagen darüber, dass Nutzer von Drittapplikationen, die über PI mit der SAP-Welt interagierten, eine separate Lizenzierung erforderten.

SAP-Lösung ohne geschäftlichen Nutzen

SAPs Interpretation, wonach sämtliche Nutzer von Drittapplikationen als Named User abgerechnet werden müssten, mache jeden geschäftlichen Nutzen der SAP-Lösung zunichte, argumentieren die Briten, und verweisen darauf, dass das Unternehmen bereits von 2004 bis 2015 zwischen 50 und 61 Millionen britische Pfund für Produkte und Services nach Walldorf überwiesen habe. Bekäme der deutsche Softwarekonzern Recht, würde nun noch einmal ein Betrag in etwa der gleichen Höhe fällig.

Doch Richterin O'Farrell folgte der Argumentation von SAP und begründete ihr Urteil damit, dass die zugrundeliegenden Lizenzverträge einzig Named User als Abrechnungsgrundlage für den direkten und indirekten Zugriff auf die SAP-Software vorsehen würden. Die Nutzung von SAP-Systemen via Gen2 und Connect sei nicht durch die bestehende Lizenzierung abgedeckt. Allerdings, so räumt die Richterin ein, gebe es noch Klärungsbedarf. Beispielsweise gebe es keine passende Kategorie von Named User, in die die Connect-Anwender eingeordnet werden könnten. Auch im Zusammenhang mit Gen2 müsse man differenzieren. Manche Anwender seien als "Professional User" einzuordnen, andere, die einen eher begrenzten auf bestimmte Rollen zugeschnittenen Zugriff auf SAP haben, müssten dagegen eher als "Mobile User" interpretiert werden.

Zerrüttete Kundenbeziehungen

Angesichts der Unklarheiten hat sich die Richterin noch nicht über die Höhe der zu leistenden Nachforderung geäußert. Das könnte Gegenstand eines Anschlussverfahrens werden. Zunächst müssten jedoch die Zahl der indirekten User, die über Drittsysteme auf SAP zugriffen, sowie deren Klassifizierung in der Named-User-Metrik des Softwareanbieters geklärt werden. Auch ist noch nicht ersichtlich, inwieweit SAP auf seiner rund 55 Millionen Pfund schweren Nachforderung beharren wird. Das Verhältnis zum Kunden - sofern ein solches überhaupt noch besteht - dürfte dadurch in jedem Fall weiter belastet werden.

Der Urteilsspruch stammt zwar von einer britischen Richterin. Nichtsdestotrotz dürfte das Verfahren in weiten Kreisen der SAP-Klientel für Aufsehen sorgen - zumal SAP seine Lizenzkonditionen weltweit harmonisiert. Das Urteil bedeute schlechte Nachrichten für viele Unternehmen, konstatierte Robin Fry, Direktor der Lizenzberatung Cerno Professional Services. Die Konsequenzen seien weitreichend. Wenn bei jedem SAP-System, das von irgendeiner Drittsoftware auf Daten angefragt werde, sofort Kosten wegen indirekter Nutzung anfielen, entstünden für die Unternehmen unkalkulierbare Risiken. Ein indirekter Zugriff könne beispielsweise schon erfolgen, wenn ein User über ein Webportal einen Preis abfragt, der in einem SAP-System hinterlegt sei. Gerade hinsichtlich der immer schärfer werdenden Compliance-Vorgaben, die von den Unternehmen eine exakte Kalkulation ihrer Betriebskosten verlangen, könnten sich die SAP-Landschaften zu einer tickenden Zeitbombe entwickeln.