Mit Build hat SAP auf der TechEd 2022 in Las Vegas ein neues Programmpaket vorgestellt, mit dessen Hilfe Anwenderinnen und Anwender in den Fachabteilungen per Low-Code selbst Apps entwickeln könnten, um ihre Arbeit und Prozesse effizienter zu machen. "Das Tool ermöglicht es Anwendern mit minimalen technischen Kenntnissen, Unternehmensanwendungen zu erstellen und zu erweitern, Prozesse zu automatisieren und Weboberflächen einfach per Drag-and-Drop zu einem Prototyp zusammenzusetzen", versprechen Vertreter des deutschen Softwarehauses ihren Kunden.
Geschäftsanwendern eröffneten sich damit in kürzester Zeit neue Möglichkeiten, sagte Jürgen Müller, Mitglied des Vorstands und Chief Technology Officer der SAP. SAP Build helfe Kunden, "sich in einem volatilen wirtschaftlichen Umfeld zukunftssicher aufstellen und maximalen Nutzen aus ihren Technologieinvestitionen ziehen zu können".
SAP Build is here. ?
— SAP Business Technology Platform (@SAPInMemory) November 15, 2022
Every team member can build visually, integrate seamlessly, and collaborate securely with drag-and-drop simplicity. Read the SAP Build announcement here: https://t.co/zzOSDpQUj0#SAPTeched #SAPBuild pic.twitter.com/OXc8ipUutg
SAP TechEd 2022: Neue Apps aus dem Baukasten
Build basiert im Wesentlichen auf den Lösungen des im Februar 2021 übernommenen No-Code-/Low-Code-Spezialisten AppGyver. Das 2010 gegründete Unternehmen aus Finnland hatte eine Entwicklungsplattform gebaut, auf der Anwender ohne Programmierkenntnisse entwickeln können. Per Drag and Drop sollen sich Apps wie in einem Baukastensystem auf einer visuellen Bedienoberfläche modellieren und zusammenstellen lassen. Kunden und Partner könnten so ihre IT-Systeme effizienter an spezifische Bedürfnisse anpassen und die Benutzerfreundlichkeit ihrer Anwendungen optimieren, hieß es damals in einer Mitteilung. Bis dato hatte SAP in Sachen Low-Code eng mit der Siemens-Tochter Mendix zusammengearbeitet.
Nach den Kooperationen und Zukäufen der Vergangenheit nimmt SAPs No-Code-/Low-Code-Strategie mit Build nun konkrete Formen an. Der Markenname AppGyver wird aus der SAP-Nomenklatur verschwinden, sagte Sebastian Schroetel, Leiter des Bereichs Low-Code- und No-Code-Produkte bei SAP. Weitere Bestandteile von Build sind SAP Launchpad als zentraler Zugangspunkt zu internen und externen Anwendungserweiterungen sowie Work Zone, um rollenbasiert Web- und Workflow-Content erstellen zu können.
Für die Analyse von Prozessen, damit Nutzerinnen und Nutzer besser feststellen können, an welchen Stellen sie den Low-Code-Hebel ansetzen, kommt Signavio ins Spiel. SAP hatte das auf Prozesse spezialisierte Startup Anfang 2021 für eine Milliarde Euro übernommen. Die Berliner beschäftigen sich nicht nur mit klassischem Process Mining, das darauf abzielt, vorhandene Abläufe im Betrieb zu dokumentieren, zu visualisieren und zu verbessern. Signavio orientiert sich eher in Richtung Process Intelligence, kümmert sich also um eine grundsätzliche Transformation von Prozessen.
SAP Build: Mit Low-Code zu mehr Entwicklungsressourcen
Das Fundament für Build stellt wie für das Gros der anderen Softwarelösungen von SAP die Business Technology Platform (BTP) dar. Auf dieser Plattform lassen sich SAP-Applikationen und Anwendungen von Drittanbietern integrieren sowie Datenflüsse orchestrieren. Dafür bietet die BTP Anwendern über den API-Hub eine ganze Reihe von vorkonfigurierten Verknüpfungen.
Mit seinem neuen Low-Code-Angebot will SAP seine Kunden in die Lage versetzen, mehr Entwicklungsressourcen in der eigenen Organisation zu aktivieren. Gerade an der Schnittstelle zwischen IT und Business gebe es derzeit ein massives Bottleneck, sagt Gero Decker, Mitbegründer von Signavio und heute General Manager für Signavio SAP. Hier fehlten Entwickler, die neben IT- auch Business-Knowhow mitbrächten.
Der Mangel an IT-Fachkräften hat sich verschärft und macht den Anwenderunternehmen zunehmend zu schaffen, hat gerade der IT-Verband Bitkom im Rahmen einer aktuellen Umfrage festgestellt. Aktuell fehlten in Deutschlands Betrieben 137.000 IT-Expertinnen und -Experten quer durch alle Branchen. "Wir erleben auf dem IT-Arbeitsmarkt einen strukturellen Fachkräftemangel", konstatierte Bitkom-Präsident Achim Berg. Der Mangel an IT-Experten werde sich in den kommenden Jahren dramatisch verschärfen. Vor allem der demographische Wandel führe dazu, dass signifikant weniger junge Menschen mit IT-Qualifikationen auf den Arbeitsmarkt kommen. Zugleich schieden immer mehr Ältere aus einschlägigen Berufen aus.
Gleichzeitig steigt der Bedarf an digitalen Lösungen. "Die Nachfrage ist deutlich größer als die Kapazität der professionellen Entwickler, diese bereitzustellen", beschreibt Arnal Dayaratna, Research Vice President Software Development bei IDC, das Dilemma. "IDC erwartet, dass in den nächsten zehn Jahren weltweit mehr als 100 Millionen Unternehmensanwender in die Entwicklung digitaler Lösungen einbezogen werden."
Doch das dürfte nicht nur Begeisterung auf Seiten der IT-Verantwortlichen auslösen. Low-Code-Plattformen böten zwar eine Möglichkeit, die Fähigkeiten von sogenannten Business-Technologen oder Citizen Developern zu nutzen, um schneller neue Lösungen bereitzustellen, stellt Gartner-Analyst Dennis Gaughan fest. Fachabteilungen dürften jedoch nicht unkontrolliert mit Low-Code-Tools geflutet werden. Deren Einsatz bringe auch neue Management und Governance-Herausforderungen mit sich.
Der Low-Code-Einsatz erfordert den Analysten zufolge ein gewisses Maß an Transparenz und Steuerung, damit bestimmte Apps und Automatisierungen nicht doppelt entwickelt werden. Außerdem müssten die Betriebe darauf achten, dass gerade hinsichtlich der Verwendung sensibler Daten die Compliance-Richtlinien eingehalten werden. SAP zufolge beinhaltet die Build-Plattform entsprechende Mechanismen, um Low-Code-Entwicklungen zentral im Auge behalten und steuern zu können.
Wie einfach die Low-Code-Plattformen auch sein mögen, die ein Unternehmen einsetzt, CIOs müssten sicherstellen, dass die Benutzer die Komplexität dahinter verstehen, sagt Bernhard Schaffrik, Principal Analyst bei Forrester. Entscheidend sei, dass die Entwickler in den Fachabteilungen über die Auswirkungen ihrer Low-Code-Anwendungen und -Automatisierungen in Bezug auf Architektur, Compliance, IT- und Informationssicherheit geschult und aufgeklärt werden, so Schaffrik.
Low-Code by SAP: Ab 1.000 Euro monatlich
An dieser Stelle gehe es vor allem darum, die richtige Balance zu finden, sagen die SAP-Manager Decker und Schroetel. Einerseits müsse die Governance rund um den Low-Code-Einsatz gewahrt bleiben. Andererseits dürfe man die Begeisterung der Entwickler in den Fachabteilungen nicht durch ein zu striktes Regelwerk ersticken, so dass sie gleich wieder die Lust und Freude am Entwickeln verlieren.
SAP wird Build in einem Subskription-Modell anbieten. Die Preise beginnen bei 1.000 Euro pro Monat. Dafür dürfen 25 aktive User Low-Code entwickeln. Jede/r weitere Nutzerin beziehungsweise Nutzer kostet SAP zufolge 18 Euro.
SAP Build wird nicht die alleinige Antwort auf die Low-Code-Anforderungen aller Kunden sein. Jeder Versuch, die Entwicklung auf einer einzigen Plattform zu standardisieren, sei mit Kompromissen verbunden, so Gartner-Analyst Gaughan. Gerade kleinere, unabhängige Low-Code-Anbieter, die sich ausschließlich auf das Thema konzentrieren, könnten potenziell schneller neue Funktionen hinzufügen und auch mehr Integrationen mit anderen Anwendungen und Prozessen bieten. Dafür dürften sie nicht in der Lage sein, sich so tief mit SAP-Anwendungen zu verbinden, wie Build es kann.
"Letztendlich werden viele große Unternehmen mehrere Low-Code-Tools in ihrem Werkzeugkasten haben", lautet Gaughans Fazit, "und ich vermute, dass Build für bestehende SAP-Kunden wahrscheinlich ein Kernstück ihrer Low-Code-Strategie sein wird."
DSAG: "Build ist kein Ersatz für klassische Softwareentwicklung"
Vertreter der Deutschsprachigen SAP Anwendergruppe (DSAG) sehen SAPs Build-Plattform mit gemischten Gefühlen: "Aus DSAG-Sicht ist es selbstverständlich, dass SAP leicht zu erstellende und bedienbare Anwendungen bauen sollte – und das nicht nur für Laien, sondern auch für SAP-Expertinnen und -Experten", sagen Jens Hungershausen, Vorstandsvorsitzender, und Sebastian Westphal, Technologievorstand der DSAG.
Build könne vom Ansatz her ein probates Mittel sein, um dem Fachkräftemangel in vielen Bereichen die Spitze zu nehmen und die vielfach in Unternehmen existierende Schatten-IT zu reduzieren. "Allerdings muss jedem klar sein, dass es sich bei dieser Lösung nicht um einen Ersatz für die klassische Softwareentwicklung handelt, und sich daher erst zeigen muss, bis zu welchem Grad der Prozesstiefe sich das Angebot in der Praxis bewährt."
Positiv bewerten die Anwendervertreter SAPs Ankündigung, dass SAP Build nicht nur eine enge Integration in die SAP-Kernprodukte ermöglichen soll, sondern sich auch in bestehende IT-Governance und Sicherheitskonzepte integrieren und langfristig upgrade- und releasefähig sein soll. Die IT-Abteilung müssten am Ende die Betriebsfähigkeit der gesamten SAP-Lösungen sicherstellen. "SAP Build ist damit ein Tool, dass dem Hype um 'NoCode/LowCode' mit einem sinnvollen Produktkonzept begegnet."
Allerdings, so schränken die DSAG-Vertreter ein, liege der Fokus der Anwenderunternehmen unverändert auf den aus den End-of-life-Terminen vieler langjähriger SAP-Lösungen resultierenden Transformationsprojekten und -programmen. Die SAP-Roadmaps seien hier noch prall gefüllt und bedürften einer priorisierten Umsetzung – "das neue Angebot SAP Build schafft hier keine Abhilfe".
Auch den Cloud-Fokus sehen die Anwender durchaus kritisch. "Dass SAP Build die Business Technology Platform nutzt und mit SAP Signavio integriert ist, zeigt, dass SAP den Weg in die Cloud-only-Welt konsequent weiter geht", stellen Hungershausen und Westphal fest. Viele Betriebe seien jedoch nach wie vor stark im On-Premise-Umfeld unterwegs. "Daher wäre es wünschenswert, dass die mögliche Integration und Nutzung im ECC-Umfeld zur Unterstützung der Transformationsprogramme für die Mitgliedsunternehmen greifbar und umsetzbar dargestellt wird." Gerade in Bezug auf die Erweiterung von SAP-Anwendungen sei es wichtig, dass Build auch den Unternehmen zugutekomme, die noch nicht auf Cloud-Lösungen setzen wollen oder können.