"Die pessimistische Stimmung vom Sommer letzten Jahres ist mittlerweile einem verhaltenen Optimismus gewichen", kommentiert Jens Hungershausen, Vorstandsvorsitzender der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG), das Ergebnis der aktuellen Investitionsumfrage unter SAP-Kunden. Die Anwendervertretung hatte zwischen November 2020 und Januar 2021 fast 250 CIOs und IT-Verantwortliche aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zu ihren Plänen befragt.
Demzufolge rechnen 39 Prozent für das laufende Jahr mit generell steigenden IT-Budgets. Bei einem knappen Drittel dieser Gruppe sollen die IT-Investitionen 2021 sogar um zehn bis 20 Prozent höher ausfallen als noch im Vorjahr. Was die SAP-Ausgaben betrifft, wollen 43 Prozent mehr investieren, ein leichter Rückgang im Vergleich zu den Zahlen aus dem Investitionsreport 2020 (49 Prozent). Dabei sind der DSAG zufolge deutliche Branchenunterschiede zu erkennen. Im produzierenden Gewerbe soll das SAP-Budget bei 47 Prozent der Betriebe zulegen (2020: 46 Prozent), bei Dienstleistern und im Handel bei 40 Prozent (2020: 47 Prozent).
"Der Rückgang im Sektor Dienstleistungen und Handel könnte ein Indiz für die direkten Auswirkungen der Corona-Krise in diesem Bereich sein", interpretiert Hungershausen die Zahlen. Insgesamt sieht der DSAG-Chef die Ergebnisse positiv. "Zwar steigen die SAP-Budgets weniger stark als im Vorjahr, aber innerhalb der letzten Monate hat sich die Stimmung verbessert." Noch vor gut einem halben Jahr sah das ganz anders aus. In Folge der Corona-Krise berichteten damals fast drei Viertel der Betriebe von zum Teil stark rückläufigen Umsätzen. Gut jeder fünfte IT-Verantwortliche klagte, dass sein Budget sogar um mehr als ein Fünftel zusammengestrichen worden sei.
Corona-Schock legt sich
Das hatte auch Konsequenzen für die laufenden S/4HANA-Umstellungen in vielen Unternehmen. Während die Hälfte der im Sommer 2020 befragten SAP-Anwender angab, ihre Migrationsprojekte konsequent weiterverfolgen zu wollen, erklärten 43 Prozent, die Einführung der neuen SAP-Software erstmal aufzuschieben oder zurückzustellen. Die häufigste Begründung: Es fehle der Business Case.
Mittlerweile scheint sich der erste Corona-Schock etwas gelegt zu haben. Immerhin 56 Prozent der befragten SAP-Anwender planen mittlere (25 Prozent) bis hohe (31 Prozent) Investitionen in die neue Produktgeneration aus Walldorf (2020: 52 Prozent). Dabei liegt der Fokus nach wie vor klar auf der On-premises-Variante. 44 Prozent der Befragten wollen an dieser Stelle investieren.
Nur zwölf Prozent planen mit der Cloud-Variante von S/4HANA. "Hier spielen vermutlich die Vorbehalteeine Rolle, sensible Firmendaten in die Cloud zu stellen", sagt DSAG-Mann Hungershausen. "Diese speisen sich zum einen sicherlich aus der europäischen Mentalität, zum anderen aber auch aus den strikten Vorgaben der EU-Datenschutzgrundverordnung."
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Auch wenn inzwischen viel Geld in S/4HANA-Vorhaben fließt, wollen die Projekte noch nicht so recht in Schwung kommen. Laut DSAG-Umfrage haben 14 Prozent der Befragten S/4HANA bereits im Einsatz (2020: zehn Prozent). Jeder zehnte Befragte berichtet, sein Unternehmen plane den Umstieg für dieses Jahr. Weitere 39 Prozent wollen in den kommenden drei Jahren den Umstieg abgeschlossen haben. "Es geht kontinuierlich voran", sagte Hungershausen.
SAP-Anwender brauchen mehr Unterstützung
Vergleicht man jedoch die aktuellen Zahlen mit den Angaben aus den zurückliegenden Jahren, zeigen sich Widersprüche. Rechnet man die Anteile der Betriebe zusammen, die in den vergangenen DSAG-Umfragen angegeben hatten, ihre S/4HANA-Projekte kurz und mittelfristig abschließen zu wollen, müsste der S/4HANA-Einsatz schon deutlich weiter sein. Allein in der Investitionsumfrage vor drei Jahren, für die SAP-Anwender Ende 2017 und Anfang 2018 befragt wurden, hatte ein Drittel angegeben, den Umstieg bis Ende 2020 zu planen. Der reale S/4HANA-Einsatz ist mit aktuell 14 Prozent weit davon entfernt.
Der DSAG-Chef will das allerdings nicht allein auf zu komplexe Umstellungsprojekte schieben. Eine gewisse Zurückhaltung in diesen unsicheren Zeiten sei durchaus verständlich, verweist der Manager auf die Corona-Situation. Zudem wolle so ein Umstieg auch gut geplant sein. Hungershausen lässt allerdings durchblicken, dass es in Sachen S/4HANA durchaus noch Gesprächsbedarf seitens der Anwender gebe. "Es gibt noch auszuschöpfendes Potenzial - zum Beispiel hinsichtlich der Abgrenzung von On-Premises zur Cloud oder der reibungslosen Integration", sagt der Anwendervertreter. Anwender bräuchten Entscheidungshilfen. "Es braucht mehr Unterstützung."
Lizenzthemen kochen wieder hoch
Das fordern die DSAG-Vertreter auch an anderer Stelle. Im aktuellen Investitionsreport wurde erstmals die Lizenzstrategie der Unternehmen beim Umstieg auf S/4HANA abgefragt. 22 Prozent der Betriebe gaben an, an ihrem bestehenden Lizenzmodell festhalten zu wollen, also eine Product Conversion durchzuführen. Weitere zwölf Prozent möchten zunächst am bestehenden Lizenzmodell festhalten und zu einem späteren Zeitpunkt per Contract Conversion in das S/4HANA-Lizenzmodell wechseln. 13 Prozent wechseln direkt. Noch keine Entscheidung bezüglich der künftigen S/4HANA-Lizenzierung haben 39 Prozent getroffen.
"Die hohe Quote derer, die sich noch nicht entschieden haben, könnte auf eine gewisse Unsicherheit bezüglich des richtigen Weges zurückzuführen sein", ist Hungershausen überzeugt. Beim Wechsel in die S/4HANA-Welt verändere sich die Produkt- und Lizenzmetrik. Der DSAG-Chef spricht von Herausforderungen im Zuge der Lizenzkonvertierung und wünscht sich von SAP mehr Flexibilität. Das gelte auch für die Abrechnungsmetriken in der Cloud. Hier sei Flexibilität ebenfalls ein Thema, sagt Hungershausen. Skalierbare, atmende Modelle, wie sie die DSAG bereits seit Jahren von SAP einfordert, gebe es immer noch nicht.
Cloud-Nachfrage eher mau
Das könnte mit ein Grund dafür sein, warum die Nachfrage nach SAPs Cloud-Lösungen immer noch eher schleppend verläuft. Trotz der Cloud-first-Strategie von SAP hielten sich die Investitionen in entsprechende Lösungen noch in überschaubaren Grenzen, heiß es von Seiten der Anwendervertretung. Laut aktueller Umfrage haben die Anwender für 2021 hohe beziehungsweise mittlere Investitionen in folgende SAP-Cloud-Lösungen geplant:
SAP Analytics Cloud: 14 Prozent (2020: 13 Prozent)
SuccessFactors: 15 Prozent (2020: 14 Prozent)
SAP Customer Experience: acht Prozent (2020: 11 Prozent)
Es folgen Ariba und SAP Integrated Business Planning mit jeweils acht Prozent und Concur mit sechs Prozent. Mit Abstand bilden die Industry Cloud (zwei Prozent), Qualtrics (zwei Prozent) und Fieldglass (ein Prozent) die Schlusslichter. SAPs Cloud-Angebote müssten attraktiver werden, stellte Hungershausen fest. Dazu gehörten beispielsweise Testsysteme, um einzelne Cloud-Services auch einmal ausprobieren zu können. "Die Akzeptanz der Cloud-Lösungen in den Unternehmen ist weiter ausbaufähig", lautet das Fazit der DSAG.
Was die Fortschritte hinsichtlich der grundsätzlichen Digitalisierung betrifft, sehen sich 41 Prozent der Unternehmen als "weit" beziehungsweise "sehr weit". Das sind neun Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. Befragt nach der Relevanz von Investitionen in einzelnen Bereichen, planen 63 Prozent mehr Geld in die Hand zu nehmen, um bestehende Prozesse effizienter zu machen sowie die Informationstransparenz zu erhöhen (47 Prozent).
Für die Entwicklung neuer digitaler Geschäftsmodelle und Services wollen 34 Prozent hohe und mittlere Investitionen tätigen. "Das zeigt, deutlich, dass bei zwei Drittel der Unternehmen immer noch im Vordergrund steht, das Bestehende zu optimieren, anstatt innovativ in neuen Szenarien zu denken", konstatierte Hungershausen.
"Corona hat tiefe Spuren hinterlassen"
Die Digitalisierung schreitet voran und mit ihr der Trend, auf S/4HANA umzusteigen, wenn auch noch etwas verhalten, so das Resümee der DSAG-Verantwortlichen. "Die Corona-Pandemie hat im Jahr 2020 zweifellos tiefe Spuren hinterlassen", hieß es. "Aber es macht sich verhaltener Optimismus breit, was sich auch in steigenden IT- und SAP-Investitionen widerspiegelt, was auch dahingehend begründet sein kann, dass die Corona-Pandemie die Notwendigkeit von Investitionen bewusst macht."