Prozessautomatisierung in der Praxis

RPA-Schub durch Corona

30.07.2020
Von 
Bernd Reder ist freier Journalist und Autor mit den Schwerpunkten Technologien, Netzwerke und IT in München.
Die Automatisierung von Abläufen mithilfe von Process Mining und RPA gewinnt in deutschen Unternehmen an Boden, wie eine Studie von IDG Research untermauert. Die Coronakrise beschleunigt diese Entwicklung.
Mit der Corona-Krise geht die Beliebtheit von Robotic Process Automation nicht zurück - eher im Gegenteil.
Mit der Corona-Krise geht die Beliebtheit von Robotic Process Automation nicht zurück - eher im Gegenteil.
Foto: Lena_Hunt - shutterstock.com

Mehr als die Hälfte der Unternehmen in Deutschland nutzt bereits Robotic Process Automation (RPA), um Prozesse zu automatisieren - fünf Prozent mehr als 2019. Das ist ein zentrales Ergebnis der Studie "Robotic Process Automation 2020", die IDG Research Services erstellt hat. Für die Anbieter solcher Lösungen ist das keine Überraschung. Sie verzeichnen seit geraumer Zeit eine wachsende Akzeptanz von RPA und der damit verknüpften "Disziplin" Process Mining: "Das zeigt, dass die Unternehmen diese Technologien nicht nur akzeptieren, sondern auch deren Vorteile erkennen", sagt beispielsweise Walter Obermeier, Geschäftsführer der UiPath GmbH in München, eines Anbieters von RPA-Lösungen.

Und Vorteile bieten Softwareroboter, die auf RPA basieren, sowie eine Prozessautomatisierung gleich in mehreren Bereichen. Das bestätigt die Studie. So haben 54 Prozent der Firmen, die diese Techniken einsetzen, eine höhere Kundenzufriedenheit erreicht. Jeweils 43 Prozent konnten Abläufe beschleunigen und die Qualität von Produkten und Services verbessern. Ein weiterer Effekt: Mehr als die Hälfte der Anwender verzeichnet einen Anstieg der Motivation ihrer Mitarbeiter, wenn RPA und Process Mining zum Einsatz kommen.

Das dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die Prozessautomatisierung vor allem bei zeitaufwendigen und fehlerträchtigen Aktivitäten ihre Stärken ausspielen kann: "RPA hat seine klassischen Einsatzfelder überall dort, wo Mitarbeiter routinemäßig Daten zwischen Anwendungen, Dokumenten und Datenspeichern übertragen, oft in Verbindung mit einer Datentransformation und Plausibilitätsprüfungen", erläutert Robert Kreher, Chief Technologist Cloud & Automotive bei Micro Focus. Als Beispiele führt er an, dass Fachleute im Vertrieb häufig noch von Hand Order-Listen in Bestellsysteme übertragen müssen oder in Offshore-Zentren Mitarbeiter Kreditkartenverträge auf Gültigkeit überprüfen.

Vom Back Office zum Mitarbeiter

Ein Trend ist, dass Robotic Process Automation gewissermaßen vom "Maschinenraum", also dem Back Office, näher zum Nutzer rückt: "Bereits seit Jahren wird RPA in diesem Bereich eingesetzt, etwa in der Finanz- und Personalabteilung", sagt Mark Sturzenegger, Regional Sales Manager DACH von Automation Anywhere. "Heute kommt der Einsatz im Front Office hinzu. Dadurch hat jeder Mitarbeiter einen eigenen digitalen Assistenten zur Verfügung, der häufig wiederkehrende Arbeiten auf Knopfdruck erledigt."

Doch das bedeutet nicht, dass RPA und Process Mining im Back Office auf dem Rückzug sind. Im Gegenteil: Solche Lösungen unterstützen Unternehmen in Bereichen wie der Verarbeitung von Dokumenten ("Intelligente Document Processing") und bei Migrationsprojekten, betont Ricardo Ullbrich, Digital Workforce Manager bei BluePrism: "Denken Sie nur daran, wie viele SAP-Systeme in nächster Zeit auf S/4HANA umgestellt werden müssen. Hier kann Automatisierung bis zu 35 Prozent des Zeitaufwandes einsparen."

Eine weitreichende Automatisierung solcher Aufgaben setzt allerdings voraus, dass RPA- und Process-Mining-Tools "intelligenter" werden. Daher ist absehbar, dass sie verstärkt mit Technologien wie Künstlicher Intelligenz (KI) und maschinellem Lernen (ML) verknüpft werden. Laut der Studie von IDG Research Services ist derzeit allerdings nur für 14 Prozent der Nutzer die Integration von KI-Funktionen ein wichtiges Auswahlkriterium einer RPA-Lösung.

Der Grund: Unternehmen wollen, beziehungsweise müssen erst einmal Erfahrungen mit Robotic Process Automation sammeln. Es ist allerdings absehbar, dass KI und ML das Einsatzspektrum der Technologie deutlich erweitern werden. "Durch selbstlernende Sprach- und Texterkennung wächst die Zahl der Prozesse, für die sich Softwareroboter anbieten", sagt beispielsweise Martin Berg, Principal Project Lead bei metafinanz.

Corona forciert RPA-Trend

Unternehmen aus allen Branchen haben dieses Potenzial erkannt. Laut BluePrism setzen sie Robotic Process Automation derzeit vor allem in Service-Centern und im Finanzbereich ein. Auch die Human-Resources- und IT-Abteilungen sowie der Einkauf gehören zu den Fachbereichen, die sich intensiv mit der Thematik Prozessautomatisierung und RPA beschäftigen.

Einen "Dämpfer" dieser Aktivitäten durch die Coronakrise hat kein Anbieter solcher Lösungen verzeichnet - eher im Gegenteil: "Wir sehen heute einen höheren Bedarf als vor Corona", sagt Mark Kurzenegger von Automation Anywhere. "In etlichen Fällen hat RPA während der Krise Unternehmen dabei geholfen, Arbeiten rascher zu erledigen, etwa beim Erfassen von Kurzarbeitsmeldungen oder bei der Bearbeitung von Kreditanträgen."

Zur selben Einschätzung kommt Robert Kreher von Micro Focus: "Gerade die vergangenen Monate haben gezeigt, wie schnell es in der Auftragsbearbeitung, dem Controlling oder im Einkauf zu Verzögerungen kommt, wenn Kollegen nicht im Büro sind oder von zu Hause aus nicht auf abgesicherte Anwendungen zugreifen können." Durch die Krise habe eine schnell umsetzbare Prozessautomatisierung durch Softwareroboter an Bedeutung gewonnen, bis hinauf in die Geschäftsführungsebene.

Unternehmen wollen mithilfe von RPA vor allem Prozesse beschleunigen und die Kosten senken.
Unternehmen wollen mithilfe von RPA vor allem Prozesse beschleunigen und die Kosten senken.
Foto: IDG Research Services: Daniela Petrini

Das bedeutet allerdings nicht, dass Unternehmen nur dann zu RPA und Process Mining greifen sollten, wenn sich der Druck erhöht - wie in Zeiten von Pandemien und damit verbundenen Wirtschaftskrisen. "Die Frage für Unternehmen heißt nicht ,RPA oder kein RPA', sondern wie sie Prozesse optimieren können", mahnt Martin Berg von metafinanz. Durch die Pandemie habe sich der Handlungsdruck jedoch tatsächlich erhöht. Positiv sei, dass Kunden jetzt mehr Wert auf eine gründliche Analyse und einen validen Business Case bei RPA-Projekten legten.

Die Suche nach dem "richtigen" Anwendungsfall

Passende Anwendungsfälle zu finden, ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor von Projekten im Bereich Prozessautomatisierung. Das zeigt auch die Studie von IDG Research. Zu den Kardinalfehlern zählen vor allem allzu ambitionierte Projekte und zu hohe Erwartungen seitens der Geschäftsführung, der IT-Fachleute und der Fachbereiche. "Viele Unternehmen scheitern bei RPA-Projekten, weil sie dieselben klassischen Fehler machen wie bei Automatisierungsvorhaben in der IT", kritisiert Oliver Ehrmann, Account Chief Technologist bei Micro Focus: "Es wird einfach ein Tool installiert, und schon ,'macht' man RPA. So funktioniert das nicht." Treten dann nicht die erhofften Erfolge ein, kann dies dazu führen, dass das Thema RPA wieder in der Schublade verschwindet.

Auch Ehrmann rät dazu, tragfähige Use Cases zu entwickeln. Hilfreich ist zudem, ein Center of Excellence (CoE) einzurichten. Es kann Ideen zu Anwendungsszenarien bündeln, diese bewerten, mit Prioritäten versehen und dann Schritt für Schritt umsetzen. "Die ersten Anwendungsfälle sollten daher weniger komplex sein, eine rasche Automatisierung erlauben und zudem eine gewissen Sichtbarkeit haben", unterstreicht Robert Krehner von Micro Focus. "Dann stellen sich schnell ein erster Erfolg und ein positives ,Flurgespräch' ein, das weitere Projekte nach sich zieht."

RPA-Problempunkte

Doch nicht nur richtig dimensionierte Projekte und eine gute "Vermarktung" von Erfolgen ist wichtig, damit Robotic Process Automation in einem Unternehmen zum Laufen kommt. "Die größte Herausforderung bei der Einführung entsprechender Lösungen ist eine lückenhafte oder fehlende Dokumentation von Prozessen", stellt Walter Obermeier von UiPath fest. Das gelte für Unternehmen jeder Größe. Sein Rat: Die IT-Abteilung sollte vor dem Start eines RPA-Projekts eine Bestandsaufnahme der Prozesse vornehmen, nötigenfalls mithilfe externer Fachleute.

Der größte „Stolperstein“ bei RPA-Projekten ist, dass vorhandene Prozesse nicht oder nur unzureichend dokumentiert wurden.
Der größte „Stolperstein“ bei RPA-Projekten ist, dass vorhandene Prozesse nicht oder nur unzureichend dokumentiert wurden.
Foto: IDG Research Services: Daniela Petrini

Eine weitere Klippe, die es zu umschiffen gilt, ist der Mangel an Fachwissen, wie Martin Berg von metafinanz feststellt: "Jede neue Technologie muss erst verstanden und etabliert werden. Bei RPA verhindert häufig fehlendes Know-how eine erfolgreiche Umsetzung. Viele Unternehmen wollen zwar RPA einsetzen, wissen aber nicht, worin sich die einzelnen Tools in Funktionen, Umfang und Handhabung unterscheiden."

Doch auf dem Weg zu RPA und einer Prozessoptimierung sind nicht nur fachliche Hürden zu nehmen. Es gilt auch, die "Menschen" mitzunehmen, also die Mitarbeiter. Ein Punkt: die Angst, dass Softwareroboter Arbeitsplätze kosten. "Wir sehen in der Tat das größte Hindernis bei der Einführung von RPA in der Furcht vor dem Streichen vor Arbeitsplätzen", sagt Robert Kreher von Micro Focus. Das gelte aber nicht nur für die Arbeitnehmer, sondern auch für deren Chefs. Diese würden befürchten, dass erfahrene Mitarbeiter das Unternehmen verlassen und wertvolles Wissen mitnehmen. Daher müssen Geschäftsführung, IT-Fachleute und Fachbereichsleiter klar kommunizieren, dass es bei der Prozessoptimierung nicht um den Abbau von Stellen geht, sondern um die Entlastung der Beschäftigten von weniger attraktiven Aufgaben.

Automatisierung macht aus Wochen Tage

Dieselbe Meinung vertritt Ricardo Ullbrich von BluePrism: "Der Einsatz neuer Technologien führt oft zu Unbehagen. Der Grund ist, dass es an einer klaren Kommunikation mangelt." Wichtig ist es aus seiner Sicht, dass für alle Beteiligten erkennbar ist, was eine RPA-Lösung eigentlich tut, auf welche Weise sie Mitarbeiter unterstützen kann und was das letztlich für die Beschäftigen selbst bedeutet, aber auch für Kunden, Partner und das Unternehmen selbst.

Um die Akzeptanz von Robotic Process Automation zu erhöhen und gleichzeitig einen optimalen Erfolg entsprechender Projekte zu erreichen, ist laut Automation Anywhere ein weiterer Faktor zu berücksichtigen: "Mitarbeiter sollten in der Lage sein, Prozesse selbst zu erstellen und zu automatisieren. Dies erhöht die Zufriedenheit", so Mark Sturzenegger. Ein weiterer Vorteil einer solchen Vorgehensweise ist, dass die Nutzer von Prozessautomatisierung-Werkzeugen am besten wissen, welche Abläufe sich verbessern oder weniger zeitaufwendig gestalten lassen. Dieses Unternehmenswissen sollte in RPA- und Process-Mining-Vorhaben mit einfließen.

Zum Abschluss noch ein Blick auf Trends, die sich im Bereich RPA und Process Mining abzeichnen. "In den kommenden Jahren wird man in der Lage sein, mit KI und neuronalen Netzen auf einer Trägerplattform viele Systeme miteinander zu vernetzen, die heute noch autark arbeiten", prognostiziert Walter Obermeier von UiPath. Nicht nur Abteilungen innerhalb eines Unternehmens sollten auf diese Weise verbunden werden, sondern auch die Zulieferer und deren Rohstofflieferanten miteinander und mit deren Abnehmern. Auch Kunden eines Unternehmens lassen sich in solche automatisierten Abläufe einbinden. Das Ergebnis: "Plötzlich erledigt man in einem Tag etwas, wofür man früher drei Wochen gebraucht hätte."

Hier geht's zur Studie "Robotic Process Automation 2020"

Die aktuelle Studie "Data Management 2020" gibt es jetzt im COMPUTERWOCHE-Studienshop.
Die aktuelle Studie "Data Management 2020" gibt es jetzt im COMPUTERWOCHE-Studienshop.
Foto: Foto: Sarah Holmlund - shutterstock.com

Studiensteckbrief

Herausgeber: COMPUTERWOCHE, CIO, TecChannel und ChannelPartner

Gold-Partner: Automation Anywhere GmbH; Blue Prism GmbH; metafinanz Informationssysteme GmbH; Micro Focus GmbH; UiPath GmbH

Grundgesamtheit: Oberste (IT-)Verantwortliche von Unternehmen in der D-A-CH-Region: strategische (IT-)Entscheider im C-Level-Bereich und in den Fachbereichen (LoBs), IT-Entscheider und IT-Spezialisten aus dem IT-Bereich

Teilnehmergenerierung: Stichprobenziehung in der IT-Entscheider-Datenbank von IDG Business Media; persönliche E-Mail-Einladungen zur Umfrage

Gesamtstichprobe: 345 abgeschlossene und qualifizierte Interviews

Untersuchungszeitraum: 8. bis 16. April 2020

Methode: Online-Umfrage (CAWI)

Fragebogenentwicklung: IDG Research Services in Abstimmung mit den Studienpartnern

Durchführung: IDG Research Services