Klimawandel, Rohstoffknappheit, Corona-Pandemie - rund um den Globus laufen derzeit mehrere massive Veränderungen gleichzeitig ab, die auch in Deutschland Auswirkungen haben. Das Bedrohliche daran ist, dass sich die Transformationen nicht in linearer, sondern in exponentieller Geschwindigkeit vollziehen - und dass sie sich allesamt auf Kipppunkte zubewegen. Sind diese erreicht, kann es eine Rückkehr zur Normalität nicht mehr geben.
Wenn Politik, Wirtschaft und Gesellschaft glauben, sich mit einem "Weiter so" durchlavieren zu können, liegen sie falsch - das zumindest war der Tenor einer Diskussionsrunde, zu der Cisco-Deutschland-Chef Uwe Peter, seine Geschäftsleitungs-Kollegin Jutta Gräfensteiner und der Blogger, Autor und Journalist Sascha Lobo geladen hatten. Die Botschaft des Trios war klar: Deutschland muss die Herausforderungen jetzt annehmen, sie dulden keinen Aufschub mehr. Hoffnung gehe von der Informationstechnik aus, die in vielen Fällen die Lösung sein könne.
Kein Vertrauen in die Ampel
Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse einer repräsentativen Civey-Umfrage, die Cisco Deutschland in Auftrag gegeben hat, beunruhigend. Demnach erwarten von der zukünftigen Bundesregierung nur 32,7 Prozent der 2.500 befragten Bürgerinnen und Bürger eine Beschleunigung der Digitalisierungsmaßnahmen. Die Mehrheit ist also skeptisch, dass die Ampelkoalition einen Digitalisierungsschub entfachen wird.
Als größte Hürde für den Fortschritt nennen 56,4 Prozent der Befragten die verkrustete Bürokratie hierzulande. Mit einigem Abstand folgt der mangelnde Breitbandausbau, den 32,6 Prozent als Fortschrittshemmnis sehen. Unklare politische Zuständigkeiten sind der dritte große Bremsklotz aus Sicht der Befragten (23,3 Prozent). "Das Vertrauen in die Politik hat gelitten", bilanzierte Lobo.
SPD, FDP und die Grünen hatten bereits in einem frühen Stadium ihrer Verhandlungen einem zentralen Digitalministerium eine Absage erteilt. Anders als viele Branchenlobbyisten, insbesondere der ITK-Verband Bitkom, begrüßt Cisco-Chef Peter diese Absage, da es nicht darum gehen könne, nur zum Beweis der guten Absichten ein Ministerium zu gründen. Digitale Technologien müssten in allen Ressorts als Grundlagentechnik genutzt werden, ähnlich wie elektrische Energie. Sascha Lobo zeigte sich dagegen enttäuscht. Er hätte ein Digitalministerium gerne aufgrund der großen Symbolkraft gesehen - nach dem Motto: Deutschland hat endlich verstanden.
"Es braucht eine echte Digitaloffensive"
Cisco-Chef Peter glaubt dagegen gar nicht, dass es hierzulande ein Erkenntnis- oder Ideenproblem gibt. Sand gerate immer dann ins Getriebe, wenn es um die Umsetzung gehe. "Deshalb brauchen wir eine echte Digital-Offensive. Um diese voranzubringen, steht vor allem die Wirtschaft in der Verantwortung." Die Politik setze den Rahmen, die Unternehmen sorgten für Lösungen. Peter warnte vor zu vielen Regularien, die zwar im Prinzip wichtig seien, aber eben auch eine lähmende Wirkung entfalten könnten. Es sei von größter Bedeutung, dass Unternehmen schnell "von der Idee in die Umsetzung kommen" könnten.
Derweil empfahl Cisco-Managerin Gräfensteiner, nicht nur an der Verwaltung, sondern auch an der Bildung anzusetzen. Deren Defizite seien im Zuge der Pandemie allzu offensichtlich geworden. Mit dieser Forderung steht sie nicht allein: Laut Umfrage befürworten 46,3 Prozent der Bürger einen Digitalisierungsschub in der Bildung und 42,5 Prozent möchten eine bessere digitale Verwaltung erleben. Das Gesundheitswesen halten 22,9 Prozent für sanierungsbedürftig und bei der branchenübergreifenden IT-Sicherheit sehen 29 Prozent großen Aufholbedarf.
Die größten Chancen auf schnelle Fortschritte sehen mehr als die Hälfte der Befragten beim Zugang zu digitalen Angeboten (53,4 Prozent). Knapp dahinter folgt die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft mit 52,5 Prozent und auf Platz drei eine höhere Effizienz durch Automatisierung (33,9 Prozent). "Damit 'Made in Germany' auch in Zukunft für Erfolg steht, muss die Wirtschaft massiv digitalisieren, um weltweit wettbewerbsfähig zu bleiben", sagte Peter und betonte die Bedeutung der Digitalisierung in der Produktion. "Nur durch die Verschmelzung von IT und OT (Operational Technology, Anm. d. Red.) wird es uns gelingen, den Datenschatz unserer Industrienation zu heben und nachhaltigen Wohlstand durch Wachstum zu kreieren", stellte der Cisco-Boss heraus.
Gräfensteiner, die als Geschäftsführungsmitglied bei Cisco das Thema "Deutschland Digital & Nachhaltigkeit" betreut, wies auf das 2016 gestartete Investitionsprogramm "Deutschland Digital" hin, das nun neu ausgerichtet worden sei. Darin seien die Initiativen festgeschrieben, die Deutschland für mehr Digitalisierung und Nachhaltigkeit brauche. "Nachhaltigkeit ist kein Nice-to-have mehr, sondern eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Gemeinsam müssen wir unsere Lebensgrundlage - den Planeten - schützen. Und dabei können uns digitale Lösungen helfen."
In Deutschland Digital setzt Cisco zunächst am "modernen Staat" an, der die Bildung, die Verwaltung und das Gesundheitswesen nun mit Hochdruck digitalisieren müsse. Die Rahmenbedingungen seien bereits festgelegt, die entsprechenden Förderprogramme beschlossen. Nun gelte es, die Digitalisierung von Krankenhäusern, Schulen und anderen Einrichtungen von der Planungsphase bis zur Umsetzung voranzutreiben - auf der Basis einer integrierten Sicherheitsstrategie, die von der Produktentwicklung über die Lieferkette und den Betrieb bis hin zum Datenschutz reiche.
Umweltgerechtes Wachstum
Der zweite zentrale Aspekt ist Cisco zufolge die "digitale Transformation der Wirtschaft". Es brauche mehr Innovation für umweltgerechtes Wachstum. "Made in Germany" müsse ins digitale Zeitalter übertragen werden, dabei seien moderne Collaboration-Lösungen, schnelle Netzwerken, 5G und Wifi 6 sowie datengestützte Geschäftsmodelle entscheidend. Rückgrat sei auch hier eine starke Cybersecurity.
Last, but not least sei Wohlstand ohne Chancengleichheit und Nachhaltigkeit in Zukunft nicht zu haben. Cisco selbst will bis 2040 klimaneutral wirtschaften. Schon heute bezögen alle deutschen Gebäude ihren Strom aus erneuerbaren Quellen und mehr als 99 Prozent der zurückgenommenen elektronischen Geräte würden wiederverwendet oder recycelt.
Gräfensteiner zitierte eine Bitkom-Studie, der zufolge eine beschleunigte Digitalisierung 58 Prozent der in 2030 nötigen Emissionseinsparungen bewirken könne. Dies gelinge beispielsweise durch den Einsatz von Smart-Building-Lösungen, virtuelle Meetings statt Dienstreisen, eine intelligente Verkehrssteuerung, eine effizientere Produktion oder den gezielteren Einsatz von Düngemitteln in der Landwirtschaft.