Regierungsbehörde von Salesforce eingesackt?

09.07.2024
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Manfred Bremmer beschäftigt sich mit (fast) allem, was in die Bereiche Mobile Computing und Communications hineinfällt. Bevorzugt nimmt er dabei mobile Lösungen, Betriebssysteme, Apps und Endgeräte unter die Lupe und überprüft sie auf ihre Business-Tauglichkeit. Bremmer interessiert sich für Gadgets aller Art und testet diese auch.
In Australien haben sich die Kosten für einen Softwarevertrag der Regierung mit Salesforce innerhalb von drei Jahren mehr als verzwanzigfacht. Doch damit nicht genug.
Bei der Überprüfung des NIAS-Projekts mit Salesforce stieß die Kommission auf einige Ungereimtheiten.
Bei der Überprüfung des NIAS-Projekts mit Salesforce stieß die Kommission auf einige Ungereimtheiten.
Foto: Guillem Lopez Borras - shutterstock.com

Gerade zu Beginn der SaaS-Ära kam es gelegentlich vor, dass Abteilungen mit ihrem Salesforce-Account die Firmen-Kreditkarte zum Glühen brachten. Dass dies aber auch 20 Jahre später und in deutlich größerem Stil möglich ist, zeigt nun eine Meldung aus Australien. Wie "The Saturday Paper" berichtet, stiegen die Kosten für einen 2019 genehmigten Softwarevertrag der australischen Regierung mit Salesforce binnen drei Jahren von zehn Millionen US-Dollar auf 210 Millionen US-Dollar - und sie werden vermutlich noch weiter klettern.

Der tatsächliche Wert des Vertrags liegt dabei laut einem Bericht der Wirtschaftsprüfer von EY um rund 75 Millionen US-Dollar über den 135 Millionen US-Dollar, die ein gemeinsamer Ausschuss im vergangenen Monat geschätzt hatte - weshalb sich nun die nationale Antikorruptionsausschuss damit beschäftigt.

Der Meldung zufolge hatte der Vorstand der National Disability Insurance Agency (NDIA) unter dem damaligen Minister Stuart Robert im Juli 2019 die Investition in eine CRM-Plattform genehmigt. Damals sollte die Lösung der Agentur voraussichtlich 9,5 Millionen US-Dollar kosten. Als im April 2020 ein Rahmenvertrag mit dem siegreichen Bieter Salesforce für 5.000 lizenzierte Nutzer unterzeichnet wurde, hatte sich der Wert des Vertrags mit 27,5 Millionen US-Dollar bereits nahezu verdreifacht.

Bis zum Ende des Geschäftsjahres 2020 stieg er dann laut der EY-Prüfung weiter auf 42,7 Millionen US-Dollar - obwohl wegen Verzögerungen bei der Softwareentwicklung und der Integration der Kernkomponenten weniger als die Hälfte der 5.000 Lizenzen innerhalb des ersten Vertragsjahres genutzt wurde.

10.000 Lizenzen für 5.000 Nutzer

Im November 2022 waren die Kosten des Vertrags schließlich auf 208,5 Millionen US-Dollar angestiegen. Darüber hinaus hatte sich die Anzahl der Nutzerlizenzen, die dem NDIA in Rechnung gestellt wurden, auf 10.000 verdoppelt - obwohl die Behörde damals lediglich rund 5.000 Personen beschäftigte.

Ein Ende dieser Kosteneskalation ist vorerst nicht in Sicht, wobei EY die Schuld klar bei der Regierungsbehörde sieht. "Normalerweise beginnt ein Vertrag dieser Größenordnung mit einer Position für eine kleine Anzahl von Lizenzen (in der Regel etwa 12) mit kostenlosen Sandboxes im Arbeitsauftrag, damit Entwickler Instanzen in einer begrenzten Umgebung erstellen und testen können, bevor sie sich für eine vollständige Einführung/Skalierung entscheiden", zitiert "The Saturday Paper" aus dem EY-Bericht. "Dies wurde in der NDIA-Vertragsdokumentation nicht berücksichtigt."

Die NDIA habe bei der Zuordnung von Geschäfts- und IT-Anforderungen keine klaren Gründe eingefordert, heißt es im EY-Bericht weiter. Dabei könnten versteckte Kosten das Budget des Projekts erheblich erhöhen. Doch neben Fehlern bei Projektplanung könnte es noch andere Gründe für die Kostenexplosion gegeben haben. Demnach ergab eine von Roberts Nachfolger in Auftrag gegebene Prüfung, dass die Software selbst zwar ordnungsgemäß funktioniert habe, der von der NDIA durchgeführte Beschaffungsprozess habe jedoch nicht den Regeln und ethischen Anforderungen des Commonwealth entsprochen.

Laut "The Saturday Paper" hob der Bericht insbesondere die Tatsache hervor, dass andere Anbieter keine Gelegenheit hatten, ein Angebot für die Softwareplattform abzugeben und dass der Wert des Vertrags für die Bereitstellung von "professionellen Dienstleistungen" um mehr als 20 Millionen US-Dollar erhöht wurde.

Großzügige Geschenke für NIAS-Beamte

Das größte Problem bestand jedoch laut dem Report darin, dass Führungskräfte von Salesforce leitende NDIA-Beamte mit Wein und Speisen bewirteten, während der Wert des Vertrags weiter stieg. Und obwohl Geschenke oder Zuwendungen im Wert von über 100 australische Dollar vorab genehmigt und dann in einem Compliance-Protokoll erfasst werden müssen, hätten die NDIA-Beamten im Zusammenhang mit dem Salesforce-Vertrag keine derartigen Angaben gemacht.

Die JCPAA erhielt von Salesforce eine detaillierte, aufgeschlüsselte Liste mit mehr als 100 Fällen von Bewirtung oder Geschenken, die an NDIA-Beamte über einen Zeitraum von fast fünf Jahren verteilt wurden, sowohl vor als auch nach Abschluss des Vertrags zur Entwicklung der neuen Plattform. "Darunter waren fast 50 Posten mit einem Wert von über 100 Dollar pro Person, zum Beispiel für Mahlzeiten, Getränke und Golfausflüge", heißt es im Bericht des Ausschusses.

Außerdem stellte der Leiter des Komittees, Julian Hill, fest, dass sich der ehemalige Minister Robert, die Beratungsfirma Synergy 360 und Salesforce mehrmals vor und nach der Vergabe des Auftrags getroffen haben. Es gab jedoch "keine schriftliche Aufzeichnungen darüber, was besprochen wurde, oder Beweise dafür, dass anderen potenziellen Anbietern, die keine Kunden von Synergy 360 waren, ein ähnlicher Zugang gewährt wurde".

Bevorzugung von internationalen Anbietern

Rupert Taylor-Price, Geschäftsführer des australischen IT-Unternehmens Vault Cloud, kritisierte gegenüber "The Saturday Paper" außerdem, dass CRM-Plattformen, die an Regierungsbehörden wie die NDIA verkauft werden, oft völlig überteuert seien - und von einem australischen Unternehmen für einen Bruchteil der Kosten entwickelt und gebaut werden könnten. Diese wären dann vollständig maßgeschneidert und böten dem australischen Unternehmen die Möglichkeit, sie an andere Regierungsbehörden weiterzuverkaufen.

Taylor-Price erklärte, dass internationale Unternehmen ihre Marktmacht nutzen könnten, um Beamte zu beeinflussen, die nicht über das gleiche Maß an Fachwissen verfügen, wenn es um solche Software geht. "Du hast Vertriebs- und Marketingleiter, die buchstäblich Hunderttausende von Dollar im Jahr verdienen und der arme Beamte verdient wahrscheinlich 95.000 oder 110.000 Dollar im Jahr - und wird einfach übergangen."