Angesichts des nahenden Winters und steigender Energiepreise hat Bundeskanzler Olaf Scholz seine Regierung angewiesen, ein "ambitioniertes Gesetz zur Steigerung der Energieeffizienz" vorzulegen. Damit erhöht der Regierungschef den Druck auf seine Ampelkoalition, denn eigentlich liegt bereits seit Juni der Entwurf eines Energiespargesetzes vor. Doch bis dato konnten sich die Regierungsparteien nicht darauf einigen, welche Maßnahmen wem vorgeschrieben werden sollen. Vor allem die FDP sperrt sich Insidern zufolge gegen harte Auflagen für die Industrie.
Scholz hat das Energieeffizienzgesetz mit seinem Machtwort zur Verlängerung der Laufzeit dreier deutscher Atommeiler verknüpft. Spätestens am 15. April 2023 müssen Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim jedoch vom Netz. Neue Brennelemente sollen nicht eingekauft werden. Um die Energieversorgung langfristig sicherzustellen, soll gespart werden.
Die öffentliche Hand soll dabei eine Vorreiterrolle einnehmen, heißt es in dem Entwurf der Regierung. Bund, Länder und Gemeinden müssten geeignete Maßnahmen ergreifen, um zwei Prozent des Energieverbrauchs pro Jahr einzusparen. Unternehmen, die mehr als zehn Gigawattstunden (GWh) Energie jährlich verbrauchen, sollen verpflichtet werden Energiemanagement-Systeme einzuführen.
Rechenzentren: Abwärme soll nicht sinnlos verpuffen
Darüber hinaus ist die Rede von weiteren, derzeit noch nicht im Detail beschriebenen Maßnahmen, die ebenfalls als wirtschaftlich sinnvoll erachtet werden. So sollen kleinere Betriebe mit einem Verbrauch von 2,5 GWh verpflichtet werden, Energie-Audits durchzuführen. Außerdem müssen Betriebe Abwärme in Produktionsprozessen entweder vermeiden oder selbst nutzen, sofern dies wirtschaftlich sinnvoll ist. Sie müssten auch die Betreiber von Fernwärmenetzen informieren, die die Energie zum Beheizen von Wohnungen nutzen könnten.
Die neuen Regeln gelten auch für Rechenzentren. Neue Data Center müssten 40 Prozent ihrer Abwärme nutzen. Größere Anlagen mit einem Verbrauch von einem Megawatt, beziehungsweise 100 Kilowatt, wenn sie im Besitz der öffentlichen Hand sind, müssen Energiemanagement-Systeme einführen, validieren und zertifizieren.
"Energieverbrauch muss halbiert werden"
Scholz' Vorstoß kommt in der deutschen Wirtschaft unterschiedlich an. Die Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz e.V. (DENEFF) lobte diesen Schritt. Für die Energiesicherheit, den Klimaschutz und die Bezahlbarkeit von Energie sei diese die wichtigste der von Scholz verfügten Richtlinienentscheidungen. Nun müssten schnell ambitionierte und verbindliche Ziele sowie Maßnahmen, etwa im Industriebereich, gesetzlich verankert werden.
"Wir alle zahlen aktuell einen hohen Preis dafür, dass Energieeffizienz in der Vergangenheit zu oft Stiefkind der Energiepolitik war", sagte Carsten Müller, Vorstandsvorsitzender der DENEFF. Umso mehr brauche es jetzt eine breite Investitionsoffensive. "Ein Energieeffizienzgesetz muss nun einen verbindlichen Rahmen dafür schaffen", forderte Müller. "Endlich handelt Scholz. Alle wesentlichen Szenarien zur Energiewende machen seit über zehn Jahren deutlich: Der Energieverbrauch muss mindestens halbiert werden, damit es gelingen kann, ihn künftig bezahlbar, sicher und vollständig nachhaltig zu decken. Mit mehr Energieeffizienz kann das nachhaltige Wirtschaftswunder gelingen."
"Rechenzentren werden vertrieben"
Deutliche Kritik kam indessen von der IT-Lobby: "Rechenzentren bilden die Basis der Digitalisierung und werden nun durch das Energieeffizienzgesetz aus Deutschland vertrieben", warnte Bitkom-Präsident Achim Berg. Die geplanten Vorgaben seien für viele Rechenzentren nicht erfüllbar und konterkarierten die von der Bundesregierung jüngst in ihrer Digitalstrategie formulierten Ziele. "Jetzt die Rechenzentren für die energiepolitischen Fehlleistungen von Bund und Ländern in Haft zu nehmen, wird Deutschlands Klimabilanz mittelbar verschlechtern und schwächt zudem die Sicherheit unserer kritischen Infrastrukturen."
Deutschlands Klimaziele ließen sich nur mit und nicht gegen die Digitalisierung erreichen, machte Berg klar. Die jetzt geplanten Maßnahmen stellten dies in Frage. "Nun sollen alle deutschen Rechenzentren ab 2024 - also in etwas mehr als einem Jahr - zu 50 Prozent und ab 2025 komplett mit Ökostrom betrieben werden", so der Bitkom-Mann. "Bis dahin ist die Energiewende in Deutschland nicht umgesetzt und es ist schlicht nicht ausreichend Strom aus regenerativen Quellen verfügbar. Wenn nun Rechenzentren überproportional regenerativ erzeugten Strom aufkaufen müssen, fehlt dieser Strom anderen Kunden, und gleichzeitig werden die Strompreise weiter nach oben getrieben."
Bereits heute würden andere europäische Länder erhebliche Standortvorteile mit deutlich geringeren Energiekosten bei zumeist besserer CO2-Bilanz bieten. Die Rechenzentren in Deutschland müssten dem Verband zufolge mindestens die Hälfte ihrer Betriebskosten für Strom veranschlagen. "Wenn die Stromkosten in Deutschland nun durch unrealistische Vorgaben weiter in die Höhe getrieben werden, werden deutsche Rechenzentren im Wettbewerb massiv belastet und der Standort insgesamt geschwächt", lautet Bergs Fazit.
Es fehlt an modernen Wärmenetzen
Es gebe auch keinen Sinn, den Rechenzentren eine Pflicht zur Nutzung von Abwärme aufzuerlegen, ohne gleichzeitig Stadtwerke und Wärmenetzbetreiber zur Abnahme dieser Energie zu verpflichten. Die überwiegende Mehrheit der Rechenzentren würde laut Berg schon jetzt gerne ihre Abwärme abgeben. "Doch mangelt es nicht nur an Abnehmern, sondern auch an modernen Wärmenetzen", kritisiert der Bitkom-Sprecher. "Dabei könnte durch die direkte Anbindung von Rechenzentren an öffentliche und private Fernwärmenetze ein direkter Beitrag zur Grundversorgung geleistet und die Energiebilanz der Rechenzentrums-Branche selbst deutlich verbessert werden." Derzeit werde die anfallende CO2-freie Wärme der Rechenzentren meist ungenutzt an die Umwelt abgegeben. Nach Bitkom-Berechnungen könnten mit der Nutzung der Rechenzentrumsabwärme jährlich rund 350.000 Wohnungen versorgt werden.
Welche Maßnahmen das Gesetz am Ende konkret vorschreiben wird, steht derzeit noch nicht im Detail fest. Hinzu kommt, dass auch in Brüssel schon seit zehn Jahren über eine EU-Energieeffizienzrichtlinie (EED) (PDF-Link) verhandelt wird. Doch auch hier ist man sich in den verschiedenen Gremien nicht einig, was die Ziele anbelangt. Um die ambitionierten Klimaziele zu erreichen, hatte die Kommission 2021 vorgeschlagen, den Energieverbrauch zwischen 2020 und 2030 um neun Prozent zu senken. Das findet Zustimmung bei den EU-Ländern. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine und der daraus resultierenden Energiekrise schraubte die Kommission ihre Einsparziele auf 13 Prozent. Das Europäische Parlament votierte im September sogar für ein 14,5-Prozent-Sparziel.
Beobachter in Brüssel rechnen mit schwierigen Verhandlungen. Ob die EED noch vor Jahresende ihren Weg durch die verschiedenen Instanzen schafft, ist mehr als fraglich. Im Endeffekt könnte es allerdings bedeuten, dass die Bundesregierung ihr Energieeffizienzgesetz noch einmal nachschärfen muss, sollten die Energiesparvorgaben aus Brüssel strenger ausfallen.