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Teure Projekte, fehlende Standards, praxisferne Konzepte etc.: Die insbesondere von kleineren Unternehmen der deutschen Fertigungsindustrie gegenüber Industrie 4.0 geäußerten Bedenken sind oft nicht unbegründet, lassen sich aber bei näherer Betrachtung relativieren. Vor allem aber, so der Auftraggeber der Studie, Reply, sollten die Vorbehalte kein Grund sein, sich mit Industrie 4.0 gar nicht zu beschäftigen.
Die Unternehmen würden sich damit enormer Möglichkeiten berauben, denn die bestehenden Konzepte und Techniken bieten fast allen Fertigungsunternehmen das Potential, Produktivität, Produktqualität, Kundenservice und Geschäftsmodelle zu verbessern. Das aus Italien stammende IT-Beratungsunternehmen hat daher zusammen mit den zur CXP Group gehörenden Marktforschern von PAC die häufigsten Bedenken gesammelt und versucht, für mehr Klarheit zu sorgen.
Vorbehalt Nr. 1: Industrie 4.0 ist vor allem ein Thema für Großunternehmen
Stand Industrie 4.0 anfangs in der Kritik, zu theoretisch und kopflastig, sowie auf die Belange von großen Fertigungsunternehmen zugeschnitten zu sein, hat sich in den vergangenen Jahren viel verändert. Das theoretische Konzept wurde konkretisiert, zahlreiche Projekte gestartet. Außerdem hat sich gezeigt, dass Industrie 4.0 insbesondere mittelständischen Unternehmen helfen kann, ihre Wettbewerbsvorteile gegenüber Großunternehmen wie hohe Innovationsfähigkeit und ausgeprägte Kundennähe zu halten oder auszubauen - beispielsweise durch kundenindividuelle, innovative Mehrwertdienste.
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Dies spiegelt sich auch in einer aktuellen Erhebung von PAC unter 50 deutschen Fertigungsunternehmen (davon 58 Prozent mit 500 bis 2499 Mitarbeitern) wider: Von den befragten Unternehmen sind sowohl Mittelständler als auch Großunternehmen bereit, mehr in IoT-Entwicklungen zu investieren, rückläufige Investments plant keines der Unternehmen.
Vorbehalt Nr.2: Industrie 4.0 ist eigentlich gar nichts Neues
Wenngleich viele Mittelständler zu Recht darauf verweisen, dass sie bereits weite Teile ihrer Fertigungsabläufe automatisiert und in ein lokales MES integriert haben: Industrie 4.0 geht deutlich weiter als die vielerorts angestrebte Steigerung der Effizienz. Es werden Daten aus unterschiedlichen Quellen gesammelt, korreliert und analysiert, um das verborgene Potenzial der Daten zu heben. Ein Ziel ist es etwa, mit Hilfe von Big-Data- und Analysemethoden das Verhalten der Fertigungsanlagen besser zu verstehen und aufkommende Probleme zu erkennen, bevor sie die Abläufe einer Produktion gefährden (Predictive Maintenance).
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Auch die Erhebung von PAC zeigt, dass es vielfältige Gründe gibt, aus denen sich Unternehmen für IoT und Industrie 4.0 interessieren: Neben den durchaus angestrebten Kosteneinsparungen und Effizienzgewinnen (64 Prozent) stehen Verbesserungen in der Lieferkette sowie neue Services und Geschäftsmodelle mit deutlich über 50 Prozent weit oben auf der Prioritätenliste der Unternehmen.
Vorbehalt Nr.3: Industrie 4.0 erfordert zeitaufwändige, komplexe und mühsame Projekte
(Vermeintlich) hohe Investitionen sowie die Scheu vor schwierigen und langwierigen Projekten sorgen dafür, dass vor allem kleinere mittelständische Unternehmen nur zögerlich Industrie-4.0-Lösungen einführen. Diese Angst spiegelt sich teilweise auch in den Ergebnissen der PAC-Umfrage wider: So stellen laut Erhebung die Kosten der IoT-Lösungen für 48 Prozent der befragten Mittelständler eine große Herausforderung dar, dagegen nur für 29 Prozent der Großunternehmen.
Den anfallenden Kosten für die Einführung stehen kleinere Unternehmen dagegen im Schnitt (38 Prozent) entspannter gegenüber als Großunternehmen (67 Prozent), was man mit dem stärkeren Fokus auf kleinere Projekte und Cloud-Lösungen erklären kann.
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Vorbehalt Nr.4: Mittelständler haben oft einzigartige Prozesse, für die sich Standardlösungen nicht eignen
Ein häufig vorgebrachter Vorbehalt gegen Industrie 4.0 ist, dass sich die individuellen Abläufe vieler deutscher Fertigungsunternehmen - vor allem die der sogenannten Hidden Champions - nicht durch standardisierte Lösungen abbilden bzw. unterstützen lassen oder dies mit hohen Kosten verbunden ist.
Dies stimmt aus Sicht von Reply aber nur teilweise. So gebe es für Industrie 4.0 zwar keine Standardlösungen, es existierten aber geeignete Standardbausteine, etwa in der Softwareentwicklung, für die Datenanalyse oder in der Cloud-Nutzung, argumentiert der IT-Dienstleister. Beispielsweise stellten Unternehmen wie Amazon Web Service, Microsoft und IBM so genannte SDKs (Software Development Kits) zur Verfügung, die die Integration von Unternehmensanwendungen in der Cloud-Umgebung vereinfachen und beschleunigen.
- IoT-Produkte und -Strategien der Hersteller
Im Zukunftsmarkt des Internet of Things (IoT) bringt sich nahezu jeder große IT-Hersteller in Stellung. Manchmal ist der Marktzugang nachvollziehbar, manchmal werden auch Nebelkerzen geworfen und vorhandene Produkte umdefiniert. Wir geben einen Überblick über die Strategien der wichtigsten Player. - Microsoft
Wie über 200 andere Unternehmen war der Softwarekonzern bis vor kurzem Mitglied in der von Qualcomm initiierten Allianz AllSeen und wechselte kürzlich in die neu formierte Open Connectivity Foundation. Deren Ziel ist die Entwicklung einer einzelnen Spezifikation oder zumindest eines gemeinsamen Sets an Protokollen und Projekten für alle Typen von IoT-Geräten. - Microsoft
Auf Client-Seite fungiert Windows 10 IoT Core als mögliches Betriebssystem für industrielle Geräte. Das Beispiel zeigt ein Roboter-Kit. - Microsoft
Als Cloud-Plattform stellt Microsoft die Azure IoT-Suite bereit. Diese enthält bereits einige vorkonfigurierte Lösungen für gängige Internet-of-Things-Szenarien. Mit dem Zukauf des italienischen IoT-Startups Solair wird das Portfolio erweitert. - Amazon
Das Portfolio erstreckt sich mit AWS Greengrass bis in den Edge-Bereich. So können IoT-Devices auf lokale Ereignisse reagieren, lokal auf die von ihnen erzeugten Daten wirken können, während die Cloud weiterhin für Verwaltung, Analyse und dauerhafte Speicherung verwendet wird. - IBM
Im März 2015 hat Big Blue mitgeteilt, über die nächsten vier Jahre rund drei Milliarden Dollar in den Aufbau einer IoT-Division zu investieren. Sie soll innerhalb des Unternehmensbereichs IBM Analytics angesiedelt sein. IBM will hier neue Produkte und Services entwickeln. Im Zuge dessen wurde auch die "IBM IoT Cloud Open Platform for Industries" angekündigt, auf der Kunden und Partner branchenspezifisch IoT-Lösungen designen und umsetzen können. - Intel
Obwohl sich Intel mit seinen Ein-Prozessor-Computern "Galileo" und "Edison" im Bereich der Endgeräte für das Zeitalter von Wearables und IoT schon gut gerüstet sieht, will das Unternehmen mehr vom Kuchen. "Das Internet of Things ist ein End-to-End-Thema", sagte Doug Fisher, Vice President und General Manager von Intels Software and Services Group, zur Bekanntgabe der IoT-Strategie vor einem halben Jahr. Deren Kernbestandteil ist demnach ein Gateway-Referenzdesign, das Daten von Sensoren und anderen vernetzten IoT-Geräten sammeln, verarbeiten und übersetzen kann. - Intel
Im Zentrum der IoT-Strategie des Chipherstellers steht eine neue Generation des "Intel IoT Gateway". Auf Basis der IoT Plattform bietet Intel eine Roadmap für integrierte Hard- und Software Lösungen. Sie umfasst unter anderem API-Management, Software-Services, Data Analytics, Cloud-Konnektivität, intelligente Gateways sowie eine Produktlinie skalierbarer Prozessoren mit Intel Architektur. Ein weiterer maßgeblicher Bestandteil der Roadmap ist IT-Sicherheit. - SAP
Bei der SAP IoT-Plattform "HANA Cloud Platform for IoT" handelt es sich um eine IoT-Ausführung der HANA Cloud Platform, die um Software für das Verbinden und Managen von Devices sowie Datenintegration und -analyse erweitert wurde. Die Edition ist integriert mit SAPs bereits vorgestellten IoT-Lösungen "SAP Predictive Maintenance and Service", "SAP Connected Logistics" und "Connected Manufacturing". - Hewlett-Packard
HP hat Ende Februar 2015 seine "HP Internet of Things Platform" präsentiert. Das Unternehmen richtet sich damit an "Communications Service Providers", die in die Lage versetzt werden sollen, "Smart Device Ecosystems" zu schaffen - also in ihren Netzen große Mengen an vernetzten Produkten und Endgeräten zu verwalten und die entstehenden Daten zu analysieren. - PTC
Mit der Übernahme von ThingWorx konnte der amerikanische Softwareanbieter PTC zu Beginn vergangenen Jahres zum Kreis der vielversprechendsten Internet-of-Things-Anbieter aufschließen. Das Unternehmen bietet mit "ThingWorx" eine Plattform für die Entwicklung und Inbetriebnahme von IoT-Anwendungen in Unternehmen an.
Klar erkennbar sei weiterhin der Trend hin zu IoT-Plattformen, die üblicherweise im SaaS-Betriebsmodell angeboten werden und die Funktionen zur Maschinenanbindung, Datenspeicherung, Analyse sowie für das Reporting, die Dokumentation und die Automatisierung zur Verfügung stellen. Ganz entscheidend für den Erfolg von Industrie-4.0-Projekten sei der zielgerichtete Umgang mit Daten, so Reply, denn darauf bauten die neuen Services und Geschäftsmodelle letztendlich auf.
Vorbehalt Nr. 5: Industrie 4.0 bedeutet vor allem Kostensenkung in der Produktion
Zentrale Interessen sämtlicher Fertigungsunternehmen sind die Erzielung von Effizienzsteigerungen und Kostensenkungen in der Produktion. In der Diskussion rund um Industrie 4.0 werden daher vor allem Kosteneinsparungen in der Produktion als Argument ins Feld geführt.
Wie die Erhebung von PAC zeigt, sind für 86 Prozent der deutschen Mittelständler Kostensenkungen das entscheidende Argument. Die erhofften Vorteile von Industrie 4.0 reichen aber weit darüber hinaus. Zu den weiteren Zielen gehören unter anderem Wettbewerbsvorteile (72 Prozent) und die Erschließung neuer Umsatzquellen und Geschäftsmodelle (76 Prozent).
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Sensorik, Connectivity, Mobility, Cloud und Analytics machen den Weg frei für eine "Servitization" des Produktgeschäfts mit neuen Dienstleistungen wie etwa nutzungsabhängigen Betriebsmodellen. Kernelement bei derartigen Leistungen ist, dass Hersteller Zugriff auf Zustands- und Verbrauchsdaten ihrer Produkte haben, nachdem sie das Werkstor verlassen und beim Nutzer im Einsatz sind
Vorbehalt Nr.6: Industrie 4.0 funktioniert nur mit der Cloud - und die ist unsicher
Auch wenn die Furcht dank Lösungen wie Office 365 langsam zurückgeht, sind sich viele deutsche Unternehmen hinsichtlich der mit Cloud Computing verbundenen Risiken noch unsicher - gerade, wenn es um Produktionsdaten geht. sind, Sicher ist "die Cloud" für Hacker sehr verlockend, Cloud-Installationen werden aber auch besonders gut geschützt - mit den aktuellsten Abwehrtechniken.
Dennoch sollte stets fallweise entschieden werden, ob die Cloud als Datenlagerungs-Ort in Anspruch genommen werden sollte, so Reply. Der Trend gehe ohnehin zur hybriden Cloud-Installation, aus Latency- und anderen Gründen ergänzt um ein Edge-Device oder ein Gateway. Grundsätzlich gelte: Cloud Computing ist keine zwingende Voraussetzung für eine Industrie-4.0-Umgebung, aber es vereinfacht den Start und sorgt für Flexibilität wie auch Agilität.