IBM Quantum Two

Quanten-CPU Eagle mit 127 Qubits

24.11.2021
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
IBM stellt mit dem Quantum Two die nächste Generation seines Quantencomputers vor. Zudem hat das Unternehmen mit der neuen Quanten-CPU Eagle mit 127 Qubits den ersten Prozessor mit mehr als 100 Qubits vorgestellt.
Die Quanten-CPU Eagle wirft 127 Qubits in die Waagschale.
Die Quanten-CPU Eagle wirft 127 Qubits in die Waagschale.
Foto: IBM

The Eagle has landed - als die Landefähre der Apollo 11 vor über 50 Jahren am 20. Juli 1969 auf dem Mond landete, verrichtete an Bord ein 16-Bit-Computer mit einer Taktfrequenz von 0,043 MHz seine Arbeit. Und am Boden unterstützten fünf IBM-Mainframes vom Typ System/360 die Mission. Der heutige Eagle ist ein Quantenprozessor, der mit 127 Qubit rechnet und so schnell ist, dass laut IBM keiner der heutigen Supercomputer dazu in der Lage ist, diesen Prozessor zu simulieren.

Und die Anzahl der klassischen Bits, die dazu erforderlich sind, um einen Zustand auf dem 127-Qubit-Prozessor darzustellen, übersteigt die Gesamtzahl der Atome der mehr als 7,5 Milliarden Menschen, die heute leben. Zudem kann IBM für sich den Ruhm beanspruchen, die erste Quanten-CPU mit mehr als 100 Qubits entwickelt zu haben. "Das Quanten-Computing hat das Potenzial, nahezu jeden Sektor zu verändern und uns dabei zu helfen, die größten Probleme unserer Zeit zu lösen", zeigt sich Dr. Darío Gil, Senior Vice President IBM und Forschungsdirektor, überzeugt.

E-Mobilität dank Quanten-Computing

Eine Prognose, mit der Gil nicht unrecht haben dürfte, wenn man auf die bisherigen Anwendererfahrungen von Unternehmen blickt, die bislang einen der 20 IBM Quantencomputer als Cloud Service nutzten. Mit Hilfe des Quanten-Computings will Mercedes etwa die von den Elon-Musk-Jüngern beschworene Technologieführerschaft des Autobauers Tesla brechen und neue, leistungsfähigere Batteriezellen für seine Elektrofahrzeuge entwickeln. Das Kalkül bei Mercedes: Mit Quantencomputern lassen sich die komplexen chemischen Vorgänge innerhalb einer Batteriezelle schneller verstehen und besser simulieren.

Beim Energiekonzern ExxonMobil will man Quantencomputer dazu nutzen, um die Transportwege der LNG-Tanker (LNG = verflüssigtes Erdgas) zu optimieren. Denn hier steckt Exxon in einem Dilemma: Um den CO2 -Ausstoß durch Kohle zu reduzieren, soll verstärkt LNG als Energieträger zum Einsatz kommen. Allerdings muss die Anlieferung in den Häfen just in time erfolgen. Allein 2021 transportieren mehr als 500 LNG-Schiffe den Rohstoff über die Weltmeere und verursachen selbst CO2, weshalb es wichtig ist, deren Transportrouten zu optimieren.

Quanten-Computing löst komplexe Probleme

Derzeit kann diese Art von Problem mit klassischen Computern nicht exakt gelöst werden. Selbst wenn man das Problem vereinfacht - indem nur nochDutzende von Schiffen beteiligt sind - beträgt die Zahl der möglichen Kombinationen verschiedener Entscheidungen schnell über 2 1.000.000. Das ist mehr als die Gesamtzahl der Atome im Universum. Klassische Computer können solche Fragestellung nur berechnen, wenn man die Probleme in verdauliche Teile zerlegt. Selbst mit diesem Ansatz dauert es viele Stunden, bis eine brauchbare Lösung gefunden ist - von einer optimalen Lösung ganz zu schweigen. Erweitert man obiges Beispiel nun auf eine größere Flotte oder bezieht Unwägbarkeiten wie das Wetter oder Nachfrageschwankungen mit ein, wird ein Problem dieser Größenordnung für klassische Rechner schnell unlösbar.

Allein diese beiden Beispiele zeigen den Bedarf an leistungsfähigen Quanten-Rechner und -CPUs. Und einer IDC-Studie zufolge - durchgeführt im Auftrag von Atos und IQM - wollen 2023 weltweit bereits 76 Prozent aller High-Performance-Computing-Rechenzentren Quantencomputer nutzen.

Die IBM Quanten-CPU Roadmap.
Die IBM Quanten-CPU Roadmap.
Foto: IBM

Ein Leistungshunger, den IBM jetzt mit dem 127 Qubit Eagle bedienen will. Seine Anzahl an Qubits hat sich gegenüber der Hummingbird-CPU von 2020 (65 Qubits) fast verdoppelt. die größere Anzahl an Qubits ermöglicht es den Nutzern laut IBM, bei Experimenten und Anwendungen Probleme mit einem bisher nicht möglichen Komplexitätslevel zu berechnen. Mögliche Einsatzszenarien reichen von der Optimierung des Machine Learning über die Modellierung neuer Moleküle und Materialien für eine Vielzahl von Bereichen - von der Energiewirtschaft bis zur Arzneimittelentwicklung.

Das Design der Eagle-CPU

Um den Eagle zu realisieren, bauten die IBM-Forscher auf Innovationen auf, die sie bereits in ihren bestehenden Quantenprozessoren verwendet haben - etwa eine Qubit-Anordnung, die Fehler reduziert oder eine Architektur, die die Anzahl der erforderlichen Komponenten reduziert. Gleichzeitig kommen im Eagle neue Techniken zum Einsatz. So wurde die Steuerverdrahtung auf mehrere physikalische Ebenen innerhalb des Prozessors verteilt, während die Qubits auf einer einzigen Ebene verbleiben, was eine deutliche Erhöhung der Anzahl an Qubits ermöglicht.

Allerdings ist der Eagle nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zu noch leistungsfähigeren Prozessoren. Mit dem Osprey (433 Qubits) im nächsten Jahr, sowie dem Condor (1121 Qubits) sind bereits die nächsten Quanten-CPUs in der Pipeline. Gleichzeitig kommt damit eine neue CPU-Generation, die die Leistungsfähigkeit der derzeitigen Hardware-Plattform Quantum System One sprengt.

Neue Hardware für künftige CPUs

Für die künftigen CPUs hat IBM mit dem Quantum System Two den Nachfolger der heutigen Plattform vorgestellt. "IBM Quantum System Two bietet einen Einblick in das Quantencomputing-Rechenzentrum der Zukunft, in dem Modularität und Flexibilität der Systeminfrastruktur der Schlüssel für eine kontinuierliche Skalierung sein werden", beschreibt Jay Gambetta, IBM Fellow und VP of Quantum Computing. Modularität ist denn auch ein zentraler Designaspekt des IBM Quantum System Two.

Um die größere Anzahl an Qubits künftiger Prozessoren zu adressieren, ist es zudem von entscheidender Bedeutung, dass die Steuerungshardware die nötige Flexibilität und die erforderlichen Ressourcen für eine Skalierung aufweist. Zu diesen Ressourcen gehört etwa eine Steuerelektronik, die es den Benutzern ermöglicht, die Qubits zu manipulieren, und die kryogene Kühlung, die die Qubits auf einer Temperatur nahe dem absoluten Nullpunkt hält. Sie muss niedrig genug sein, damit die Quanteneigenschaften der Qubits zum Tragen kommen.

Dabei führt IBM Quantum System Two eine neue kryogene Plattform ein, die in Zusammenarbeit mit Bluefors entwickelt wurde. Sie zeichnet sich durch ein neuartiges, innovatives strukturelles Design aus, das den Platz für die Support-Hardware maximiert, die für größere Prozessoren erforderlich ist. Gleichzeitig wird sichergestellt, dass Ingenieure leicht auf die Hardware zugreifen und sie warten können. Darüber hinaus bietet das neue Design die Möglichkeit, einen größeren gemeinsamen, kryogenen Arbeitsraum bereitzustellen - was letztlich zur potenziellen Verknüpfung mehrerer Quantenprozessoren führt. Der Prototyp des IBM Quantum System Two wird voraussichtlich im Jahr 2023 betriebsbereit sein.