Low Coding als Programmiermöglichkeit, auch für Nicht-ITler, gewinnt in Unternehmen zunehmend an Beliebtheit. Ganze 67 Prozent der in der COMPUTERWOCHE-Studie "No-Code/Low-Code 2022" befragten Unternehmer erwarten in den kommenden drei Jahren eine (starke) Zunahme des Einsatzes von No-/Low-Coding im eigenen und in anderen Unternehmen. Vor allem Unternehmen mit 500-999 Beschäftigten nennen Low-Coding als zweithäufigstes gewünschtes zusätzliches Feature einer Software-Entwicklungsplattform.
Zur Studie 'No-Code /Low-Code 2022' im Aboshop
No-/Low-Code vs. klassische Programmierung
No-Code-/Low-Code-Anwendungen zeichnen sich dadurch aus, dass für eine Programmierung keine tiefgreifenden Programmierkenntnisse notwendig sind. Bei der Entwicklung werden vordefinierte Bausteine zu einer Software zusammengesetzt. Daher muss diese Form der Programmierung nicht zwingend von einem ausgebildeten Programmierer durchgeführt werden. Stattdessen kann eine Entwicklung auch durch Mitarbeitende beispielsweise in einer Fachabteilung erfolgen - sogenannte Citizen Developer. Die Vorteile, die sich daraus ergeben, sind eine deutlich schnellere Entwicklung als mit herkömmlicher Codierung und durch die Zeitersparnis geringere Entwicklungskosten.
Das Thema gewinnt auch mit Blick auf den Fachkräftemangel an Relevanz: Für fast jeden dritten befragten Unternehmer spielt der Mangel an Fachkräften eine entscheidend kritische Rolle. Diesem sich nun aggravierenden Problem kann mit Low-Coding oder sogar No-Coding, zumindest teilweise, begegnet werden. Es ist anzunehmen, dass in den kommenden Jahren der Großteil der Technologieprodukte- und Services durch Citizen Development entwickelt wird.
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Schutzrechte in der Programmentwicklung
Mit dem zu erwartenden Zuwachs an Programmierprozessen und Software in der digitalisierten Welt stellt sich umso mehr die Frage nach einem bestehenden Schutz an den Ergebnissen der Programmierung. Speziell dem urheberrechtlichen Schutz der Ergebnisse kommt eine entscheidende Bedeutung zu. Dieser Schutz erfasst zum einen die Urheberpersönlichkeitsrechte, also die persönliche Beziehung des Urhebers zu seinem Werk, beispielsweise durch das Veröffentlichungsrecht oder die Anerkennung der Urheberschaft. Zum anderen erfasst ein urheberrechtlicher Schutz die Verwertungsrechte, die die wirtschaftlichen Interessen des Urhebers schützen, etwa durch das Verbreitungs- und Vervielfältigungsrecht.
Vom Urhebergesetz geschützt sind "Werke", die teils gesondert im Gesetz genannt sind. In Betracht kommt hier die Einordnung der No-Code-/Low-Code-Entwicklung in die besondere Werk-Kategorie des "Computerprogramms". Eine Definition von Computerprogrammen ist durch den Gesetzgeber nicht erfolgt. Der Bundesgerichtshof hat das Computerprogramm jedoch definiert als "eine Folge von Befehlen, die nach Aufnahme in einen maschinenlesbaren Träger fähig sind zu bewirken, dass eine Maschine mit informationsverarbeitenden Fähigkeiten eine bestimmte Funktion oder Aufgabe oder ein bestimmtes Ergebnis anzeigt, ausführt oder erzielt".
Erteilt ein Programmcode also Steuerungsbefehle an einen Computer, so kann dieser Schutzgegenstand des Urhebergesetzes sein. Nicht erfasst sind die Funktionalitäten des Computerprogramms oder die Programmiersprache als solche.
Voraussetzung für einen urheberrechtlichen Schutz ist außerdem, dass das Computerprogramm das Ergebnis der persönlichen geistigen Schöpfung eines Urhebers ist, eine wahrnehmbare Form hat und damit ein individuelles Werk darstellt.
Low-Code-Urheberrechtsschutz - die Vorgaben
Problematisch bei der Low-Code-Anwendung ist, dass lediglich bereits vorhandene Programmcode-Bestandteile zusammengesetzt werden. So stellt sich die Frage, ob tatsächlich von einem Programmieren und einer schutzwürdigen Schöpfung die Rede sein kann. Notwendig ist daher eine Einzelfallprüfung, die bestätigt: Der Citizen Developer muss das Werk durch einen persönlichen Schöpfungsakt erschaffen und darin einen Gedanken oder ein Gefühl zum Ausdruck gebracht haben.
Der Einsatz von technischen Hilfsmitteln bleibt dabei grundsätzlich möglich, wobei die vordefinierten Bestandteile der Low-Code-Anwendung als technische Hilfsmittel angesehen werden.
Low-Code-Programmierung kann diese gesetzlichen Vorgaben wie folgt erfüllen:
Der Citizen Developer kann die Zusammensetzung der Bestandteile entscheidend beeinflussen.
Mit der Low-Code-Entwicklung wird ein Problem als initialer Grund für die Programmierung gelöst. Darin liegt ein "geistiger" Gehalt im Sinne des Urheberrechts. Der erforderliche lenkende Einfluss und damit eine persönliche Schöpfung könnte somit anzunehmen sein.
Die im Ergebnis entwickelte Software nimmt zudem eine Gestalt ein, die der Wahrnehmung durch die menschlichen Sinne zugänglich ist.
Gesamtwerk braucht Individualcharakter
Kritisch zu betrachten ist allerdings die für den Urheberrechtsschutz notwendige hinreichende Individualität des Werkes. Die individuellen Ausprägungen der Schöpfung müssen eine Abgrenzung von anderen Werken ermöglichen. Es erscheint mithin möglich, eine Low-Code-Entwicklung als Werk mit individuellen Ausprägungen zu bezeichnen. Sind gewisse Voraussetzungen hinsichtlich des geistigen Gehalts und Gestaltungsspielraums für den Entwickler gegeben, kann ein urheberrechtlicher Schutz daher in Betracht kommen. Es verbleibt aber dabei, dass dies stets individuell und mit Blick auf den jeweiligen Einzelfall geprüft werden muss.
Da die der Low-Code-Entwicklung zugrundeliegenden Bestandteile oft vielfach verwendet werden, würde ihre Nutzung allein keine hinreichende Individualität herbeiführen. Eine Individualität könnte sich höchstens aus der konkreten Anordnung der Bausteine ergeben. Nicht geschützt ist die einer bloßen Schablone folgende Zusammensetzung von vordefinierten Bestandteilen.
Soweit aber davon auszugehen ist, dass zumindest eine nicht unerhebliche Anzahl an Bausteinen zusammengesetzt wird, kann auch ein hinreichender Gestaltungsspielraum für den Entwickler bestehen. Die Anordnung der Code-Bestandteile erfolgt regelmäßig planerisch-konstruktiv und mit Blick auf das individuelle Problem. Damit ist auch die korrespondierende Lösung individuell. Hinzu kommt, dass bei Low-Code zumindest eine teilweise manuelle Programmierung und damit das Schreiben gewisser individueller Codes erfolgt und notwendig bleibt. Ohnehin muss eine absolute Neuheit für eine Anwendbarkeit des Urhebergesetzes gerade nicht gegeben sein.
Urheberrechtschutz im Angestelltenverhältnis
Schließlich stellt sich die Frage, wem ein solcher urheberrechtlicher Schutz in Arbeitsverhältnissen zusteht. Grundsätlich stehen die Urheberrechte dem Arbeitnehmer zu. Für Computerprogramme ist im Gesetz aber vorgesehen, dass die Verwertungsrechte auf den Arbeitgeber übergehen. Die Nutzungsrechte sowie alle sonstigen vermögensrechtlichen Befugnisse liegen damit grundsätzlich beim Arbeitgeber. Der programmierende Angestellte wird durch sein Gehalt für die Programmierung entlohnt. Im Falle des Citizen Developments ist jedoch oftmals nicht bereits im Arbeitsvertrag geregelt, dass eine Programmierung zum Pflichtenkreis des Arbeitnehmers gehört.
Die Übertragung der urheberrechtlichen Befugnisse auf den Arbeitgeber wird zumeist aber auch dann angenommen, wenn dem Arbeitnehmer nicht bereits arbeitsvertraglich die Entwicklung von Computerprogrammen obliegt. Ausreichend ist ein innerer Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung der arbeitsvertraglichen Aufgaben und der Entwicklung der Anwendung - jedenfalls soweit die Low-Code-Entwicklung auf Anweisung des Arbeitgebers erfolgt. Durch den Auftrag des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer, ein zumindest grob bezeichnetes Computerprogramm zu schaffen, ist eine Übertragung der Befugnisse auf den Arbeitgeber anzunehmen.
Hier ist noch Luft nach oben
No-/Low-Code-Entwicklungen wird in Zukunft eine herausragende Bedeutung zukommen, und die mögliche Vorteile sind immens. Gleiches gilt für den Raum an potenziellen rechtlichen Unklarheiten, etwa mit Blick auf die Verwertungsrechte, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse oder auch haftungsrechtliche Fragestellungen. Es bleibt spannend, wie der Schutz der Entwicklung ausgestaltet wird. Dass speziell den urheberrechtlichen Konsequenzen Beachtung geschenkt werden sollte, erscheint jedoch notwendig. (bw)
Interesse am Thema? Hier gehts zur Studie 'No-Code /Low-Code 2022'
Studiensteckbrief
Herausgeber: CIO, CSO und COMPUTERWOCHE
Platin-Partner: Neptune Software GmbH; Nintex Deutschland GmbH; Project Management Institute GmbH; Service-now.com GmbH; WEBCON Sp. z o. o.; Workato GmbH
Gold-Partner: ESCRIBA AG; SPIRIT/21 GmbH
Silber-Partner: PKS Software GmbH; Simplifier AG
Grundgesamtheit: Oberste (IT-)Verantwortliche von Unternehmen in der D-A-CH-Region: strategische (IT-)Entscheider im C-Level-Bereich und in den Fachbereichen (LoBs), IT-Entscheider und IT-Spezialisten aus dem IT-Bereich
Teilnehmergenerierung: Persönliche E-Mail-Einladung über die Entscheiderdatenbank Entscheiderdatenbank von CIO, CSO und COMPUTERWOCHE sowie - zur Erfüllung von Quotenvorgaben - über externe Online-Access-Panels
Gesamtstichprobe: 605 abgeschlossene und qualifizierte Interviews
Untersuchungszeitraum: 23. Februar bis 2. März 2022
Methode: Online-Umfrage (CAWI) Fragebogenentwicklung & Durchführung: Custom Research Team von CIO, CSO und Computerwoche in Abstimmung mit den Studienpartnern