Egal, ob es um die Smart Factory oder das Digital Farming der Zukunft ging - lange Zeit schien es in der öffentlichen Diskussion so, als könnten solche Szenarien nur mit der neuen Mobilfunktechnik 5G verwirklicht werden. Denn sobald es um mobile Daten und Funk ging, kannten die Protagonisten nur noch eine Lösung: den neuen Mobilfunkstandard. Und am besten gleich mit einem privaten 5G-Netz - der einzig wahren Lösung.
Kaum ein Unternehmen, das sich also nicht mit 5G befasst. So gaben 46 Prozent der befragten Unternehmen in einer IDC-Studie zum Thema IIoT im November 2020 an, dass sie mit 5G liebäugeln und 13 Prozent 5G bereits in Projekten nutzen. 66 Prozent dieser Unternehmen wollen sogar private 5G-Netze aufbauen.
WiFi (6E) als 5G-Alternative
Angesichts dieser Euphorie geriet eine andere Funktechnologie fast in Vergessenheit: WLAN. Aber gerade mit WiFi 6 - also dem IEEE-Standard 802.11ax - für lokale Funknetze könnte sich dies grundlegend ändern. Geschwindigkeiten im Gbit/s-Bereich werden Realität und die Latenzzeiten sollen im einstelligen Millisekunden-Bereich liegen.
Darüber hinaus wird MU-MIMO unterstützt, um die Nutzung mehrerer Antennen zu verbessern. Und mit OFDM könnte bei vielen gleichzeitigen Netzzugriffen - etwa in Szenarien mit vielen per Funk vernetzten IoT-Devices - die Verzögerung der Datenübertragung reduziert und damit der Datendurchsatz erhöht werden. Ferner können auch mehr Clients gleichzeitig mit einem Access Point kommunizieren und dank Fast Roaming ist nun auch der schnelle Wechsel zwischen zwei WLAN-Zellen kein Thema mehr - wenn der Client dies unterstützt.
Allerdings können alle diese Verbesserung ein Manko nicht aufwiegen: Gerade im dichtbesiedelten Europa geht es in den für WLAN verwendeten Frequenzbändern 2,4 GHz und 5 GHz eng zu - gegenseitige Störungen nicht ausgeschlossen. Doch hier ist Besserung in Aussicht. Das europäische Electronic Communications Committee (ECC) hat die technischen und regulatorischen Rahmenbedingungen zur Nutzung des 6-GHz-Bands durch WLAN verabschiedet. Mit der Freigabe von rund 500 MHz im unteren Bereich des Frequenzbands steht dann das Doppelte des bisherigen Frequenzspektrums für WLAN zur Verfügung. Um dieses Spektrum zu nutzen, sind Geräte erforderlich, die WiFi 6E (Enhanced) beherrschen.
WiFi-6E-Upgrade mit Problemen
Branchenkenner rechnen damit, dass in Europa entsprechende Devices ab Mitte 2021 auf den Markt kommen. An der Frage, ob eine Aufrüstung bestehenden WiFi-6-Equipments auf den Enhanced-Standard möglich und sinnvoll ist, scheiden sich die Geister. Die einen propagieren, dass dies problemlos möglich sei, da ja - etwa in einem Notebook - lediglich das WLAN-Modul auszutauschen sei, vorausgesetzt, es entspricht dem 2230-M.2-Slot. Andere dagegen warnen vor einem solchen Upgrade-Pfad. Sie argumentieren, dass ohne angepasste Antennen das Potenzial der neuen 6-GHz-Technik nicht genutzt werden könne.
Losgelöst von der Upgrade-Frage ist im Herstellerlager die Stimmung angesichts der ECC-Entscheidung euphorisch. So schwärmt man etwa bei Lancom von einem "historischen Schritt auf dem Weg zur drahtlosen Gigabit-Gesellschaft, vor allem, da die letzte Spektrumserweiterung bereits mehr als 15 Jahre zurückliegt".
Nach Angaben der Hersteller lassen erste Tests mit WiFi 6E Übertragungsraten von bis zu 3,6 GBit/s erwarten, bei Latenzzeiten von unter 2 Millisekunden. Das Ganze gepaart mit stabileren Verbindungen, da das 6-GHz-Band nicht überfüllt ist wie die anderen WLAN-Frequenzbänder. Zudem sollen WiFi-6E-Netze ein Vielfaches der heutigen Nutzerzahlen ermöglichen. Treffen alle diese Eigenschaften in der Praxis wirklich zu, dürfte WiFi 6E vor allem für IoT- oder VR-Anwendungen spannend sein. Zudem könnte es sich als ernsthafte, kostengünstige Alternative zu lokalen 5G-Campusnetzen in der Industrie entpuppen.
Private 5G vs. WiFi 6E
Und gerade der Kostenfaktor dürfte manchem Entscheider die Freude an einem privaten 5G-Netz vermiesen. So verweisen etliche Anbieter darauf, dass es sich bei der 5G-Hardware um Carriergrade-Equipment handle, das im Vergleich zu Enterprise-Hardware entsprechend teuer sei. Letztlich müsse der Anwender bei einem privaten 5G-Netz eine eigene Mobilfunk-Core-Architektur aufbauen. Alleine diese koste schon einen guten sechsstelligen Betrag oder müsse von einem Carrier angemietet werden. Hinzu kommt dann noch die Anschaffung von Antennen und anderem Equipment. Ferner könne bei 5G im Gegensatz zu WiFi vorhandene Netzausrüstung nicht einfach weiter genutzt werden. Last but not least könne in den privaten 5G-Netzen nicht wie gewohnt telefoniert werden, was wiederum ein zusätzliches öffentliches Netz der Carrier auf einem Campus erfordere, so die WLAN-Protagonisten.
Doch bis WiFi 6E in Europa seine Feuertaufe hat, vergeht noch etwas Zeit. Der Vorschlag der ECC muss erst noch von der EU-Kommission angenommen werden. Damit wird im März 2021 gerechnet. Die entsprechende Rechtsvorgabe muss dann noch im Amtsblatt der EU veröffentlicht werden, was etwa zwei Monate dauern dürfte. Danach haben die Mitgliedsstaaten sechs Monate Zeit, die Vorgabe in nationales Recht umzusetzen.