CeBIT-Eröffnung

Politiker beschwören europäische Digitalunion

15.03.2016
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
EU-Kommissar Günther Oettinger will einen digitalen Binnenmarkt in Europa, Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel die weltweit leistungsstärkste IT-Infrastruktur, um mit Amerika und Asien mithalten zu können. Das sind ambitionierte Ziele angesichts der politischen Zerrissenheit in Europa und dem nach wie vor herrschenden Regulierungs- und Kompetenz-Chaos.

Zur Eröffnung der diesjährigen CeBIT beschworen Politiker wie Vertreter der IT-Branche die Notwendigkeit und Bedeutung, einen einheitlichen europäischen Digital-Binnenmarkt zu schaffen. Bitkom-Präsident Thorsten Dirks warnte mit Blick auf die verschiedenen Krisenherde, die Einheit Europas sei in Gefahr. "In Europa sind starke Fliehkräfte am Werk - diesen Fliehkräften müssen wir etwas entgegensetzen". Im gleichen Atemzug betonte er, die Digitalisierung biete die einmalige Chance, Menschen und Gesellschaften einander näher zu bringen. "Die Digitalisierung kann Integration fördern."

Allerdings sei die digitale Transformation kein Selbstläufer, mahnte der IT-Lobbyist. "Es geht um den vollständigen Umbau unserer Wirtschaft." Unternehmen seien gefordert, eine Vielzahl verschiedener disruptiver Prozesse parallel umzusetzen. Damit fühlten sich jedoch viele Verantwortliche in den Chefetagen überfordert. Gerade dem Mittelstand, "dem Herzstück der deutschen Wirtschaft", wie Dirks anmerkt, müsse man "unter die Arme greifen, ja manchmal auch auf die Sprünge helfen".

Um die Herausforderungen zu meistern, mahnt der Bitkom-Präsident den Aufbau digitaler Ökosysteme an. Man müsse hier in Europa raus aus dem Kleinklein-Denken. "Wir brauchen Größe und müssen einen digitalen Hub mit weltweiter Strahlkraft aufbauen."

Funklöcher wie in Afrika

EU-Kommissar Günther Oettinger sang einmal mehr das hohe Lied auf die Europäische Digitalunion. Er prangerte zahlreiche Missstände an. Dazu zählen aus seiner Sicht die vielen unterschiedlichen Datenschutzgesetze in den verschiedenen EU-Ländern genauso wie das Fehlen einer durchgängigen, lückenlos funktionierenden digitalen Infrastruktur. Oettinger verwies auf die Funklöcher an den Grenzen zwischen den europäischen Staaten. Das erinnere an Zustände wie in Uganda und Burundi, schimpfte der EU-Kommissar, und sei Europas technisch unwürdig.

EU-Kommissar Günther Oettinger appelliert, an Europa, einen digitalen Binnenmarkt zu schaffen.
EU-Kommissar Günther Oettinger appelliert, an Europa, einen digitalen Binnenmarkt zu schaffen.

Oettinger mahnte ein durchgängiges, über ganz Europa gespanntes Kommunikationsnetz an. Dem Aufbau einer solchen Infrastruktur stünde jedoch das Regulierungs- und Kompetenzchaos entgegen, das in den Ländern der Europäischen Union herrsche. Oettinger lud die Schweiz, das Partnerland der diesjährigen CeBIT ein, an der europäischen Digitalunion mitzuwirken. Dazu müsse man nicht gleich EU-Mitglied werden, merkte er mit einem Schmunzeln an.

Schweizer Bundepräsident warnt vor Überregulierung

Der Schweizer Bundespräsident Johann Schneider-Ammann ermahnte die europäische Politik, sich intensiv mit der Digitalisierung zu beschäftigen. Es gehe darum, Verantwortung zu zeigen und zu lernen, mit den Chancen, aber auch mit den Risiken richtig umzugehen. Schneider-Ammann warnte zudem vor einer Überregulierung in Europa. "Wenn wir uns gegen alle möglichen Gefahren absichern, riskieren wir, dass immer mehr Wertschöpfungsketten nach Kalifornien abwandern", sagte das Staatsoberhaupt des Alpenstaats.

Der Schweizer Bundespräsident Johann Schneider-Ammann: "Die Faszination für Technik ist wieder zurück."
Der Schweizer Bundespräsident Johann Schneider-Ammann: "Die Faszination für Technik ist wieder zurück."
Foto: CeBIT/Deutsche Messe AG

Um das zu verhindern, muss Europa digital nachrüsten. Der Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel, legt dabei die Latte hoch. In fünf bis zehn Jahren soll Europa über die leistungsstärkste IT-Infrastruktur der Welt verfügen. "Wir sollten keine Angst haben, den Wettbewerb mit Amerika und Asien anzunehmen", gab sich der SPD-Minister selbstbewusst.

Sigmar Gabriel will bessere Qualifikation

Das Gerede um die Old und die New Economy bezeichnete Gabriel als Unsinn. "Es geht um die Next Economy". Um hier ein Wörtchen mitzureden, muss die deutsche Wirtschaft allerdings noch ein paar Hausaufgaben erledigen. Der Bundeswirtschaftsminister mahnt an dieser Stelle in erster Linie die notwendige Qualifikation aller Beteiligten an. "Hier stehen wir erst am Anfang", sagte Gabriel, "hier gibt es den größten Nachholbedarf". Allerdings sei es heute nicht mehr so, dass jeder Mittelständler erst an 'stehlen' denkt, wenn er das Wort 'Cloud' hört.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel will der digitalen Transformation hierzulande mit seiner "Digital Strategie 2025" auf die Sprünge helfen.
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel will der digitalen Transformation hierzulande mit seiner "Digital Strategie 2025" auf die Sprünge helfen.
Foto: CeBIT/Deutsche Messe AG

Als Hilfestellung für die digitale Transformation hat Gabriel zur Eröffnung der weltgrößten IT-Messe seine neue "Digitale Strategie 2025" vorgestellt. "Die erfolgreiche digitale Transformation unserer Volkswirtschaft ist die Voraussetzung für den Erhalt und die Stärkung unserer Wettbewerbsfähigkeit," sagte der Politiker. Gabriel verwies darauf, dass wichtige Vorhaben im Rahmen der Digitalen Agenda der Bundesregierung bereits umgesetzt worden seien. Mit der Digitalen Strategie 2025 soll jetzt ein systematischer Ansatz vorgelegt werden, der aufzeige, welche Instrumente in Zukunft notwendig seien. "In der Digitalen Strategie 2025 zeigen wir, wie wir Wandel made in Germany gestalten und die digitale Gesellschaft der Zukunft aufbauen wollen", erklärte Gabriel.

Die zehn Gebote für die Digitalisierung

Die Ziele des Ministers sind ambitioniert. Für den Weg in Deutschlands digitale Zukunft hat sich die Politik zehn Gebote verordnet:

Gigabit-Glasfasernetz: Wir schaffen ein hochleistungsfähiges Breitbandnetz und bringen so schnelles Internet in jeden Winkel Deutschlands - jederzeit.

Neue Gründerzeit: Wir unterstützen Startups, vereinfachen ihre Finanzierung und fördern die Kooperation mit etablierten Unternehmen.

Klarer Ordnungsrahmen: Wir setzen die rechtlichen Leitplanken für mehr Innovationen und Investitionen im digitalen Wachstumsmarkt. Und schaffen einen fairen Wettbewerb in der globalen Datenwirtschaft.

Vernetzt und effizient: Wir nutzen die Potenziale der Digitalisierung in den Bereichen Energie, Verkehr, Gesundheit, Bildung und öffentliche Verwaltung.

Datensicherheit und Datensouveränität: Wir treiben die Entwicklung neuer Sicherheitssysteme für Hardware und Software voran und sorgen dafür, dass Bürger und Unternehmen datensouverän bleiben.

Modelle für den Mittelstand: Wir fördern und beraten KMU, das Handwerk und die Dienstleistungsbranche bei der digitalen Transformation. So zeigen wir: Die Digitalisierung ist eine Chance, keine Bedrohung.

Standort Deutschland 4.0: Mit umfassenden Förderprogrammen helfen wir Unternehmen bei der Implementierung von Industrie 4.0. Das Ziel: Deutschland zum modernsten Industriestandort der Welt zu machen.

Forschung und Entwicklung: Wir stärken die Förderung von Forschungsprojekten und beschleunigen die Einführung von digitalen Technologien. Damit Deutschland im Bereich der Data Economy auf Spitzenniveau kommt.

Digitale Bildung: Wir setzen Digitalisierung auf den Stundenplan und fördern lebenslanges Lernen. Denn digitale Bildung wird immer mehr Voraussetzung für Erfolg im Beruf - und ein Leben als selbstbestimmter Bürger.

Digitalagentur: Wir bündeln die Zuständigkeiten und Initiativen in einem modernen Kompetenzzentrum des Bundes, das zugleich als neutraler Thinktank der Digitalpolitik dient.