Ob Projektleiter oder Software-Entwickler: der Mangel an guten Fachkräften wird für Startups wie auch Konzerne immer mehr zur Schicksalsfrage. Fakt ist: Die IT fungiert schon seit einigen Jahren als Enabler und Schnittstelle für digitale technische Veränderungen, die die IT gemeinsam mit den Fachbereichen umsetzt. Fehlt hier auf lange Sicht wichtiges Know-how, können weder die Legacy-Systeme modernisiert, noch neue Innovationsfelder erschlossen werden. Das versetzt dem ohnehin an vielen Ecken schleppend verlaufenden Digitalisierungsfortschritt nochmals einen Dämpfer.
Firmen brauchen dringend Security-Experten
Der aktuelle Hays-Fachkräfte-Index schlüsselt im Detail auf, wo der Bedarf an IT-Qualifikationen im zweiten Quartal 2022 am größten ist, und bei welchen Berufsbildern sich eine leichte Entspannung abzeichnet. Mit 567 Prozentpunkten verzeichneten die festangestellten IT-Security-Spezialisten die höchste Nachfrage - im Vergleich zum Vor-Corona-Quartal in 2019 ein nahezu astronomischer Anstieg von 354 Prozentpunkten.
Ein ähnlicher Nachfrage-Boom zeigt sich auch im IT-Freiberuflermarkt, der ebenfalls nach genau diesen erfahrenen Spezialisten abgegrast wird: "Im ersten Halbjahr 2022 hatten wir 50 Prozent mehr Anfragen nach IT-Security-Experten, gemessen an der Situation im Vorjahr," berichtet Alexander Raschke, CEO des auf Digit & IT - Freelancing spezialisierten Personaldienstleisters Etengo. "Am häufigsten wurde Know-how in den Bereichen Security Engineering, Websecurity, Vulnerability Management und Security Management im Cloud-Umfeld nachgefragt," so der CEO.
Laut Raschke ist dieser extrem hohe Bedarf unter anderem darauf zurückzuführen, dass Security-Management strategisch wichtiger wird. Nach Aussagen der Security-Experten selbst, wird es für Firmen immer herausfordernder, ein zusammenhängendes Verständnis für die Vielschichtigkeit des Aufgabenspektrums eines Security-Spezialisten zu entwickeln. Darin sehen sie den anhaltenden Run auf diese Experten hauptsächlich begründet.
Preisanstieg bremst Rekrutierung
Überraschenderweise hat sich die Nachfrage nach dem sonst so hoch gehandelten Data Scientist oder Data Engineer laut Index etwas entspannt. Mit 274 Prozentpunkten wurden diese Experten etwas weniger stark als noch im Vorquartal (308 Prozentpunkte) nachgefragt. "Die großen Datenmengen in Unternehmen sind manuell schon lange nicht mehr handhabbar. Daher brauchen sie dauerhaft Data Scientists, die die Grundlagen für datenbasierte Entscheidungen schaffen. Die haben allerdings mittlerweile auch ihren Preis," weiß Andreas Sauer, Bereichsleiter bei Hays. Gehälter jenseits der 100.000 Euro im Jahr sind keine Seltenheit.
Dominik Groll, Senior Economist vom Kieler Weltwirtschaftsinstitut, begründet den aktuellen Nachfragerückgang so: "Der stark gestiegene Preisauftrieb sowie der Ukrainekrieg haben die wirtschaftlichen Aussichten deutlich unsicherer gemacht. Diese gestiegene Unsicherheit führt typischerweise zu einem abwartenden Verhalten. So auch bei Unternehmen in ihrer Personalplanung."
Seinen Prognosen zufolge lässt sich die rekordhohe Arbeitskräfteknappheit zum einen noch auf die Folgen der Pandemie zurückführen, zum anderen auf den demographischen Wandel - dessen volle Wucht den Arbeitsmarkt erst noch treffen wird. "Unseren Schätzungen zufolge wird das Arbeitskräftepotenzial in Deutschland in den kommenden ein bis zwei Jahren seinen Zenit erreichen; danach schrumpft es", so der Kieler Ökonom.
Rolle der IT gewinnt an Bedeutung, aber Fachwissen fehlt
Bittere Wahrheit ist, dass nicht wenige Projekte ins Stocken geraten, weil das nötige Know-how fehlt. Anders ausgedrückt, laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) beklagt ein Großteil der deutschen Unternehmen eine Beeinträchtigung ihrer Geschäftstätigkeit aufgrund des hohen Personalmangels. Auslöser für die digitale Bremse dürfte dabei vor allem der IT-Bereich sein, der große Herausforderungen wie die Cloud-Transformation oder die Entwicklung digitaler Services für die Fachbereiche umzusetzen hat.
Auch die Marktforscher von Lünendonk & Hossenfelder haben die Rolle der IT zum Thema gemacht und fanden heraus, dass gerade einmal die Hälfte der 23 von ihnen befragten CIOs noch in der Lage sind, den Anforderungen des Business vollumfänglich nachzukommen. Neben strukturellen Defiziten liegt das zu einem großen Teil auch an speziellem fachlichem Wissen, dass intern nicht mehr vorhanden ist. Wer beispielsweise die gesamte IT-Infrastruktur modernisieren möchte, braucht Experten, die sich mit Altsystemen und vor Jahren genutzten Programmiersprachen wie beispielsweise Cobol auskennen.
Haben die sich allerdings schon in die Rente verabschiedet, sieht es schlecht aus. "Wir beobachten, dass auch das Thema künstliche Intelligenz mittlerweile geringer priorisiert wird. Man hat erkannt, dass erst einmal die Basics im Datenmanagement erfüllt werden müssen," so Tobias Ganowski, Consultant bei Lünendonk. Als schnelle Lösung wird dann versucht, auf IT-Freiberufler zurückzugreifen, deren Auftragsbücher allerdings ebenfalls voll sein dürften.
Hohe Gehälter und Automatisierung sind wichtige Hebel
"Da einerseits der Wertschöpfungsbeitrag der IT zunimmt, der IT-Personalmarkt andererseits aber weiterhin angespannt bleibt, suchen viele Unternehmen verstärkt Dienstleistungspartner, um sich für ihre Transformationsthemen langfristig ausreichend Ressourcen zu sichern," weiß Ganowski. Vor diesem Hintergrund werden Unternehmen nicht umhinkommen, sich strategischer und ganzheitlicher als bisher mit ihrer Personalplanung auseinanderzusetzen. Wichtige Hebel werden laut Ökonom Groll verbesserte Gehälter, flexiblere Arbeitszeiten- und orte, moderne IT-Arbeitsmittel aber auch die Automatisierung sein.
Der Hays-Fachkräfte-Index basiert auf einer quartalsweisen Auswertung der index Internet und Mediaforschung GmbH für Hays. Einbezogen werden Stellenanzeigen der meistfrequentierten Online-Jobbörsen, von Tageszeitungen sowie dem Business-Netzwerk Xing. Der Fachkräfte-Index zeigt die prozentuale Veränderung zum Ausgangswert vom 1. Quartal 2015 an. Sämtliche Positionsbezeichnungen gelten grundsätzlich für alle Geschlechter. Lesebeispiel: 2.343 Positionen IT-Architekten wurden im 1. Quartal 2015 ausgeschrieben. Im aktuellen Quartal waren es 8.637. Das entspricht einer Steigerung um 269 Prozent. (hk)