Die Zeiten, in denen es sich Unternehmen erlauben konnten, monatelang nach dem Idealkandidaten zu fahnden, sind endgültig vorbei. Die große Personalnot zwingt sie zunehmend, sich mehr und mehr mit eher unpassenden Kandidaten auseinanderzusetzen, um die Position doch noch irgendwie zu besetzen. Das alles kostet Zeit und Geld, da die Personalsuche nach Schema F einfach nicht mehr funktioniert.
Für manchen Personaler kommen da die neuen Möglichkeiten im Zuge von künstlicher Intelligenz bei der Bewerber- und Personalauswahl gerade richtig. "KI kann sowohl die Geschwindigkeit als auch die Qualität bei der Bewerberauswahl verbessern und damit den ‘Match’ zwischen Bewerber und Unternehmen wie auch die Personalentwicklung insgesamt deutlich optimieren", berichtet Thomas Belker, Vizepräsident des Bundesverbandes der Personalmanager und Sprecher des Vorstandes der Talanx Service AG. Und er muss es wissen. Schließlich verfügt sein Unternehmen bereits über erprobte Praxis, wenn es um die Anwendung von künstlicher Intelligenz bei der Auswahl von Kandidaten für leitende Positionen geht.
Personaler betrachten KI-Einsatz mit Skepsis
Das Gros der Personalerzunft regt diese Zukunftstechnologie allerdings bestenfalls zu ersten Gedankenexperimenten an, die, wie die aktuelle Deloitte-Studie "Künstliche Intelligenz - Hype oder echtes Potenzial" herausfand, bei den meisten eher nüchtern ausfallen. Denn der Erhebung zufolge sehen 54 Prozent der befragten Entscheider aus Unternehmen in den Bereichen Telekommunikation, Technologie und Media in KI momentan noch keinen Vorteil für ihr Geschäft. Auch Personaler stehen dieser technischen Weiterentwicklung in Bezug zu ihrem Aufgabenbereich noch skeptisch gegenüber. "Künstliche Intelligenz in der Personalarbeit ist ein Hype", stellte auch Elke Eller vom Bundesverband der Personalmanager anlässlich des Personalmanagementkongresses 2018 fest. Machte aber auch deutlich: "Personalauswahl ist für KI eine der höchsten Disziplinen, unter anderem auch, weil in der menschlichen Interaktion so viele Feinheiten stecken."
Genau damit gehen auch die meisten Ängste der Abteilung Human Resources einher, wenn sie nur das Wort künstliche Intelligenz hören. Denn es gehört zu ihren Kernaufgaben, Personal zu finden, auszuwählen und weiterzuqualifizieren. Was passiert mit ihnen, wenn diese Aufgaben eines Tages komplett durch künstliche Intelligenz erledigt werden können?
KI hilft bei Selektion großer Bewerbermengen
So weit wird es nicht kommen, ist sich Belker sicher, und er sagt auch warum: "Künstliche Intelligenz kann nicht einfach den Menschen ersetzen, der am Ende eine Auswahlentscheidung trifft, Verantwortung für seine Entscheidung und das Gelingen der Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Kandidaten übernimmt. Es werden immer wir Menschen sein, die etwas an eine Software delegieren und entscheiden, wie viel wir von unserer Arbeit noch selbst tun wollen."
- Diskussionsrunde über KI
Über Künstliche Intelligenz tauschen sich Anfang Juni auf Einladung der Computerwoche fünf Experten aus. Das Foto zeigt Thomas Uhlemann (Eset), Harald Gröger (IBM), Tom Ruban (Juniper Networks), Stefan Gössel (Reply), Moderator Heinrich Vaske (Computerwoche), Autorin Christiane Pütter (Computerwoche) und Tom Becker (Alteryx). - Tom Ruban, Juniper
Tom Ruban, VP Europe, Middle East and Africa bei Juniper Networks: „Oft geht es damit los, dass Entscheider auf einer Konferenz eine interessante Anwendung sehen und sich überlegen, wie das zu ihrem Unternehmen passt. Die Frage nach den Tools stellt sich erst später.“ - Tom Becker, Alteryx
Tom Becker, General Manager Central&Eastern Europe bei Alteryx: „Die Fachabteilungen müssen mit Use Cases spielen können! Unternehmen brauchen einen gewissen Grad an Experimentierfreude. Zum Glück gibt es Labs. Innovationen sind ja nicht jeden Tag erfolgreich!“ - Thomas Uhlemann, Eset
Thomas Uhlemann, Security Specialist bei Eset Deutschland: „Wer die Datenqualität nicht hochhält, produziert trotz der besten Datenmanagement-Tools ,Garbage in, Garbage out‘. Schon das spricht für die neue Datenschutzgrundverordnung.“ - Harald Gröger, IBM
Harald Gröger, Executive Client Technical Specialist bei IBM: „Wenn die ethischen Fragen nicht geklärt sind, nimmt der Markt KI nicht an. Wir kennen alle die Frage vom selbstfahrenden Auto, das das Leben des Fahrers retten muss – oder das eines Kindes.“ - Stefan Gössel, Reply
Stefan Gössel, Partner bei Reply: „Die Initiative zu KI-Projekten ergibt sich oft aus einem Wunsch oder einem Schmerz im Fachbereich. Trotzdem sehen wir auch Initiativen aus der IT, weil die sich als Enabler positionieren will. Aber das scheitert, wenn der Fachbereich nicht eingebunden wird.“
Wirft man allerdings einen genauen Blick auf die vielen ineinander verschachtelten Rekrutierungsmechanismen über Karriereseiten in Verlinkung mit smarten Suchmaschinen, bekommt die Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine noch eine weitere interessante Facette. Hier geht es um die schiere Bewältigung großer Bewerberströme, die technologisch verbessert werden soll. Gerade Konzerne und große Personaldienstleister greifen auf KI-gestützte Techniken zurück, um den Prozess überhaupt noch zielführend steuern zu können. "Wir erhalten pro Tag 800 bis 1000 elektronische Bewerbungen auf unseren Portalen", so Katharina Hain, Senior Department Manager Recruitment beim internationalen Personaldienstleister Hays. Da nützen auch die fleißigsten Hände und klügsten Köpfe nichts, um die freien Stellen mit passenden Mitarbeitern zu besetzen. Sei es, weil sich die demografische Verteilung bereits spürbar ändert oder weil viele Berufstätige nicht mehr mit der Digitalisierung Schritt halten können.
Der Dienstleister profitiert von den Algorithmen der Kooperationspartner wie Linkedin oder Xing, die zum großen Teil für ein besseres "Matching" bei der Kandidatensuche verantwortlich sind. Sie fungieren als eine Art Trichter, der geeignete Bewerber anhand bestimmter Merkmale für eine Stelle quasi vorqualifiziert. Das bringt klare Effizienz- und Kostenvorteile bei der Bearbeitung von großen Mengen an Qualifikationen und Kompetenzen, und hat rein gar nichts mit Jobverlust zu tun. Laut Hain ist das Gegenteil der Fall: "Wir handeln stets nach der Prämisse; recruited by human, supported by technology. Also am Ende des Auswahlprozesses hat man es dort in jedem Fall noch mit einem Menschen aus Fleisch und Blut zu tun."
KI-Einsatz für die Kompetenzen von morgen
Einen Schritt weiter ist Talanx. Hier geht es nicht um die schnelle und effiziente Bearbeitung großer Bewerbermassen, sondern um die Eignung der ersten und zweiten Fachkräfteebene für eine Führungskarriere. Es geht quasi um den Menschen hinter dem Mitarbeiter. Der Versicherer setzt dafür auf eine KI-gestützte Sprachanalyse namens Precire. Die intelligente Software kann mit hoher Genauigkeit anhand des Sprechverhaltens der Führungsanwärter Persönlichkeitsmerkmale wie Neugierde, Offenheit oder Resilienz analysieren, die für diese Positionen gewünscht sind.
Warum hier die Maschine die erste Wahl ist, und nicht etwa der erfahrene Personaler selbst, kann Belker erklären: "Die Technologie ist objektiv und urteilt nicht darüber, ob das Gegenüber sympathisch ist oder nicht. Das sind alles Merkmale, die beim ersten Kennenlernen schon zur Vorentscheidung führen können." Und fügt hinzu: "Zudem wollen wir unsere Organisation, insbesondere die Führungskultur, fit für den Umgang mit hoher Komplexität innerhalb der digitalen Transformation machen." Die KI-gesteuerte Sprachanalyse hilft den Personalern herauszufinden, über welche Kompetenzen der neue Mitarbeiter verfügt, die die Organisation benötigt, um erfolgreich zu sein. Und warum die Maschine und nicht der Mensch? Nach Angaben des Personalchefs trifft Precire eine sehr präzise Vorhersage zu Merkmalen der Persönlichkeit eines Kandidaten. Damit ist das Unternehmen in der Lage, Führungskräfteentwicklung genauer zu planen, wichtige Entscheidungen abzuleiten und unvoreingenommen zu agieren. Denn geht es darum, ob ein Kandidat ins Team passt und letztlich genommen wird, entscheidet der Mensch. Nicht die Analyse.