Um die Herausforderungen im IT-Recruiting mittelständischer Arbeitgeber drehte sich eine Diskussionsrunde der COMPUTERWOCHE, an der Personalverantwortliche aus kleinen und mittleren IT-Anbieter- und Anwenderunternehmen teilnahmen. Obwohl die Geschäfte im Mittelstand so gut laufen wie seit Jahren nicht, wird die Stimmung durch den steigenden Fachkräftemangel getrübt. So haben mehr als 70 Prozent der Betriebe massive Probleme, ausreichend qualifizierte Mitarbeiter zu finden.
Zum Auftakt des Gesprächs präsentierte Frank Rechsteiner, Gründer und Geschäftsführer der Hype Group, eine aktuelle Studie, in deren Rahmen er die IT-Recruiting-Trends in mittelständischen Unternehmen untersucht hatte. Es zeigte sich darin, dass die Kleinen noch nicht alle Register in der Personalsuche ziehen. Die anschließende Diskussion machte deutlich, welche Strategien solche Betriebe verfolgen müssen, um im Wettbewerb um die begehrten IT-Talente neben den großen Namen in der Branche bestehen zu können.
- Maximilian Born, Netlight:
"Die Schaffung positiver Bewerbungserlebnisse für Kandidaten zählt nach unseren Erfahrungen zu den zentralen Erfolgsfaktoren bei der Personalgewinnung." - Thomas Knauer, NTT Data:
"Gerade Talente, die wir über Social Media ansprechen, müssen während des gesamten Bewerbungsverfahrens von einem einzigen Mitarbeiter betreut werden." - Carolin Webersinke, Microsoft:
"Sourcer müssen die Bedürfnisse der Fachbereiche genau kennen und in der Lage sein, die Alleinstellungsmerkmale in der Unternehmenskultur nach außen angemessen zu verkaufen." - Simon Eisenried, MaibornWolff:
"Das Recruiting ist zu einem zweiten Vertrieb geworden, der das Unternehmen wie ein Produkt verkaufen muss, um qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen." - Frank Rechsteiner, Hype Group:
"Viele Arbeitgeber werben mit bloßen Marketing-Floskeln für sich. Besser ist es, verständliche Unternehmenswerte ehrlich nach außen zu kommunizieren." - Kurt Leo Kaiser, it-motive:
"Wenn eine Führungskraft ihre künftigen Mitarbeiter persönlich kontaktiert, wie ich es praktiziere, wirkt das viel überzeugender, als wenn dies ein Headhunter tut." - Michael Krato, Brose:
"Als großes Familienunternehmen haben wir den Vorteil, dass wir unseren Mitarbeitern auch kostspielige SAP-Zertifizierungsprogramme ermöglichen können."
Direktansprache auf dem Vormarsch
"Das Recruiting ist zu einem zweiten Vertrieb geworden, der das Unternehmen wie ein Produkt verkaufen muss, um qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen", brachte Simon Eisenried, Leiter Recruiting von MaibornWolff, die veränderte Rollenerwartung an die Personaler auf den Punkt. Als schnell wachsender Spezialist für IT-Beratung und Software-Engineering sieht sich MaibornWolff mit der Situation konfrontiert, leichter neue Kunden und Projekte an Land ziehen zu können als geeignete Mitarbeiter. Das Unternehmen setzt auf Active Sourcing, um qualifizierte Bewerber für das Unternehmen zu akquirieren. Dies geschieht über Social Media, Mitarbeiterempfehlungen, Messeteilnahmen, persönliche Netzwerke, eigene Talent-Pools sowie Karriere-Events.
Die Direktansprache von Kandidaten zählt auch zu den bevorzugten Recruiting-Strategien von Microsoft Deutschland. "Obwohl unsere Marke weltweit eine große Strahlkraft besitzt, mussten wir auch an unserem rund 2500 Mitarbeiter zählenden deutschen Standort neue Wege wählen, um die komplexen Stellenprofile zu besetzen", sagte Microsoft Personal-Managerin Carolin Webersinke. Dazu zählt ein Team von Personalern, die potenzielle Mitarbeiter identifizieren und aktiv kontaktieren. Dabei legen die HR-Verantwortlichen von Microsoft großen Wert darauf, dass die Active Sourcer die Anforderungsprofile und Bedürfnisse der Fachbereiche kennen und in der Lage sind, die Alleinstellungsmerkmale in der Unternehmenskultur des Softwareriesen angemessen "zu verkaufen": In der neuen Welt des Recruitings sei der Kandidat der Kunde.
In der Direktansprache setzen viele Unternehmen auf Content-Marketing und nutzen unter anderem Blogs, Videos oder Experteninterviews, um die Bewerber mit informierenden, beratenden und unterhaltenden Inhalten auf sich aufmerksam zu machen. Auch NTT Data Deutschland, Teil eines internationalen Konzerns, musste aktiv werden, wie Recruiting-Chef Thomas Knauer erläuterte: "Obwohl wir laut Lünendonk-Liste 2017 das fünftgrößte IT-Beratungshaus hierzulande sind, fehlt es uns an der entsprechenden Arbeitgeber-Bekanntheit. Das liegt im Wesentlichen daran, dass wir unter dem Namen unserer japanischen Mutter NTT Data erst seit wenigen Jahren auf dem deutschen Markt präsent sind." Neben Active Sourcing und Content-Marketing arbeitet das Unternehmen daher an der Weiterentwicklung seiner Arbeitgebermarke und an einer positiven Gestaltung des Kontakts seitens der Interessenten. So steigert Knauer die Zufriedenheit der Bewerber dadurch, dass diese während des gesamten Bewerbungsverfahrens von einem einzigen fachkundigen Ansprechpartner als "Single Point of Contact" betreut werden - vom Erstkontakt bis zu einer etwaigen Einarbeitungszeit am neuen Arbeitsplatz. Für dieses Konzept wurde die deutsche IT-Beratung 2017 unter anderem mit dem "Candidate Experience Award" ausgezeichnet.
Auch der Chef wird zum Recruiter
Die Schaffung positiver Bewerbungserlebnisse zählt auch für Maximilian Born, Talent Management & Equality Driver bei Netlight Consulting, zu den Erfolgsfaktoren bei der Personalgewinnung: "Als 2011 gegründete Tochter des schwedischen IT-Beratungshauses Netlight Consulting haben wir es damit geschafft, die für unser schnelles Wachstum erforderlichen Mitarbeiter an Bord zu holen." Wichtig sei der von Beginn an enge Kontakt zu den Geschäftsbereichen. So gelinge es bei Stellenbesetzungen, dass nicht nur die fachliche Eignung von Kandidaten (Professional Fit), sondern auch gemeinsame Werte, Normen und Einstellungen (Cultural Fit) berücksichtigt werden können.
Beim Duisburger SAP-Beratungshaus it-motive kümmert sich auch das Management selbst um das Recruiting. Kurt Leo Kaiser, SAP Consulting Director in der Niederlassung Stuttgart, investiert jede Woche viel Zeit, um auf den einschlägigen Social-Media-Plattformen nach Kandidaten zu suchen und diese direkt anzusprechen. Der Erfolg gibt ihm recht: "Wenn der Chef die Bewerber persönlich kontaktiert, wirkt das viel überzeugender, als wenn dies ein Headhunter tut. So führte meine Online-Direktansprache in den letzten beiden Monaten zur Einstellung von zwei SAP-Spezialisten." Auch Brose Fahrzeugteile setzt auf die direkte Begegnung mit den Kandidaten, wie Michael Krato aus dem Recruitment des Automobilzulieferers unterstrich: "Da es die meisten Experten eher zu den IT-Anbietern zieht, versuchen wir die Nachwuchstalente mit eigenen Karriere-Events sowie der Teilnahme an RecruitingMessen für unser Unternehmen zu gewinnen."
Die Diskussionsbeiträge bestätigten Frank Rechsteiners Studienergebnisse, dass mittelständische Arbeitgeber den persönlichen Kontakt zu den Kandidaten bevorzugen, anstatt im Recruiting auf Algorithmen zu setzen. So bezeichneten einige Teilnehmer Chatbots und Online-Assessments zwar als nützlich, um die Candidate Experience bei der ersten Kontaktaufnahme zu verbessern und administrative Standardprozesse zu vereinfachen und zu beschleunigen. Auch können Arbeitgeber von Datenauswertungen profitieren, die zusätzlich zu den üblichen Bewerberinformationen wie Lebenslauf und Projektliste auch kombinierte Daten zum Beispiel zu Persönlichkeitstyp, Alter, Karrierelevel, Geschlecht oder Verweildauer in vorangegangenen Positionen einbeziehnen. "Doch am Ende steht immer der Mensch im Mittelpunkt", fasste Microsoft-Personalerin Webersinke zusammen. "Nur so können wir herausfinden, ob ein Kandidat auch in seiner Mentalität zu uns passt."
Flexibilität und Weiterbildung als Pluspunkte
Was müssen die Arbeitgeber konkret bieten, damit sich die umworbenen IT-Experten für sie entscheiden? Michael Krato von Brose Fahrzeugteile hat die Erfahrung gemacht, dass attraktive Entwicklungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten eine wichtige Rolle spielen: "Als großes Familienunternehmen haben wir den Vorteil, dass wir unseren Mitarbeitern auch kostspielige SAP-Zertifizierungsprogramme ermöglichen können." Daneben sind es flexible Arbeitsmodelle, mit denen Unternehmen gerade bei Nachwuchstalenten punkten können - von HomeOffice und Vertrauensarbeitszeit über Zeitwertkonten und Teilzeitmöglichkeiten auf jeder Hierarchieebene bis hin zu Sabbaticals. "Man kann viel mit Bio-Obstkorb und Fitness-Studio werben, aber dafür kommt kein guter Informatiker in eine Firma", kommentierte MaibornWolff-Personaler Eisenried. "Wichtiger ist es, den ITlern flexible Arbeitsmodelle anzubieten, mit denen sie ihre Arbeitsbedingungen immer wieder an veränderte Lebenssituationen anpassen können." Auch in seinem Unternehmen steht die Möglichkeit zur Weiterbildung auf der Wunschliste der Mitarbeiter ganz oben. Zu Recht ständen sie auf dem Standpunkt: "Wenn ich heute neu bei einer Firma einsteige, will ich wissen, ob ich auch noch in zehn Jahren marktgerecht qualifiziert werde."
Personalberater Rechsteiner betonte die Notwendigkeit einer gelebten Unternehmenskultur: "Viele Arbeitgeber werben mit bloßen Marketing-Floskeln für sich. Besser ist es, verständliche Unternehmenswerte und -ziele zu definieren und ehrlich nach außen zu kommunizieren. Damit sind Firmen in der Lage, 90 Prozent ihres Personalbedarfs über die eigene HR-Abteilung zu decken und nur in Einzelfällen die Unterstützung von Headhuntern zu beanspruchen."