US-Kunde fühlt sich getäuscht

Oracle wegen Betrugs angeklagt

27.06.2023
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Nach über zwei Jahren Softwareprojekt und 170.000 Dollar ärmer hat ein Oracle-Kunde in den USA genug. Der Konzern täusche seine Kunden über die Möglichkeiten der Netsuite-Software, lautet die Anklage.
Hat Oracle seine Softwarekunden übers Ohr gehauen? Ein Verfahren in den USA soll die Vorwürfe durchleuchten.
Hat Oracle seine Softwarekunden übers Ohr gehauen? Ein Verfahren in den USA soll die Vorwürfe durchleuchten.
Foto: MIND AND I - shutterstock.com

River Supply Inc., ein US-amerikanischer Anbieter von Baumaterialien wie zum Beispiel Fassaden- und Dachverkleidungen, hat Oracle verklagt. Das in Brouge, etwa 100 Kilometer westlich von Philadelphia, Pennsylvania, ansässige Unternehmen wirft dem Softwarehersteller Betrug, Falschangaben und Vertragsbruch vor.

In dem Rechtsstreit geht es um SuiteSucces, ein für kleine und mittelgroße Unternehmen zugeschnittenes Cloud-ERP der Oracle-Tochter Netsuite. In der 187 Seiten zählenden Klageschrift (PDF-Link), die an einem Bezirksgericht in Nordkalifornien eingereicht wurde, ist die Rede von unlauteren Geschäftspraktiken seitens Oracle und Netsuite, wodurch Jahr für Jahr unzählige amerikanische Unternehmenskunden betrogen würden.

Die Verantwortlichen von Oracle und Netsuite würden den Kunden vorgaukeln, sie hätten eine branchenspezifische SaaS-Lösung für sie, die sich mit geringem Aufwand an die individuellen Anforderungen einzelner Unternehmenskunden anpassen lasse. "Das ist falsch", steht in der Anklageschrift. In Wirklichkeit könne der Softwareanbieter seine versprochenen Funktionen nicht zu dem angebotenen Preis liefern.

"Die Oracle-Lösung hat nie funktioniert"

Oracle verleite seine Kunden dazu, komplexe und verwirrende Verträge zu unterzeichnen. Diese seien einseitig zu Gunsten von Oracle ausgelegt und verlangten oft eine Vorauszahlung für professionelle Dienstleistungen, lautet der Vorwurf von River Supply. Klauseln in diesen Verträgen zielten darauf ab, die Haftung von Oracle zu begrenzen, für den Fall, dass die Lösung nicht wie vereinbart geliefert werden könne.

River Supply hat eigenen Angaben zufolge 170.000 Dollar an Oracle und verschiedene Implementierungspartner gezahlt - "für eine Lösung, die nie funktioniert hat, und von der Oracle und seine Geschäftspartner zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses wussten, dass es sie gar nicht, so wie vereinbart, gab. Zu dem versprochenen Preis konnte sie auch nicht entwickelt werden". Wenn Kunden sich beschwerten, setze Oracle "Eskalationsteams" in Bewegung, die die Schuld auf den Kunden abwälzten. Es werde behauptet, der Kunde habe den Umfang der Lösung erweitert, was zusätzliche Änderungen erforderlich mache. Das Ende vom Lied: Oracle steige aus dem Implementierungsvertrag aus und kassiere das Geld des Kunden, ohne eine funktionierende ERP-Lösung zu liefern.

Wie River Supply weiter behauptet, sollen Oracle und Netsuite schon seit Jahren nach diesem System vorgehen. Der Kläger verweist dazu auf ein anderes Gerichtsverfahren. Darin wirft der ehemalige Oracle-Mitarbeiter Tayo Daramola seinem Ex-Brötchengeber vor, ihn dazu gedrängt zu haben, Unwahrheiten über die Möglichkeiten und den Funktionsumfang der eigenen Software zu verbreiten. Als er sich weigerte und intern auf die Missstände aufmerksam machen wollte, habe ihm der Konzern einen Maulkorb verpasst und ihn schließlich aus dem Unternehmen gedrängt. Daramola beschuldigt Oracle, damit Gesetze zum Schutz von Whistleblowern verletzt zu haben.

Ex-Mitarbeiter: "Oracle will Whistleblower mundtot machen"

Daramola hat 2016 bis 2017 in verschiedenen Oracle-Projekten bei US-amerikanischen Anwendern gearbeitet, berichtete der britische IT-Nachrichtendienst "The Register". Dabei sei ihm allmählich bewusst geworden, dass sich ein großer Prozentsatz der ihm zugewiesenen Softwareprojekte im Eskalationsstatus befand, weil Oracle seinen Kunden Softwareprodukte verkauft habe, die der Hersteller nicht liefern konnte und die nicht funktionierten, heißt es in der Beschwerde. Daramola zufolge habe seine Aufgabe darin bestanden, Oracles Falschdarstellungen über die Fähigkeiten seiner Software gegenüber den Kunden zu bestätigen und zu fördern.

Oracle hat die Anschuldigen gegenüber The Register zurückgewiesen. Man beabsichtige, sich energisch dagegen zu wehren. Das Verfahren zieht sich seit 2019 vor verschiedenen US-Gerichten hin (PDF-Link). Allerdings drehen sich die Verhandlungen weniger um den Vorwurf, Oracle habe seine Kunden über die Möglichkeiten der eigenen Software belogen, als vielmehr über die Zuständigkeiten. Daramola sei eigentlich bei Oracle in Kanada angestellt gewesen, argumentiert Oracle. Infolgedessen sei ein Verfahren vor US-Gerichten gar nicht zulässig.

Dem widersprechen Daramolas Anwälte und verweisen darauf, dass die besagten Softwareprojekte, an denen unter anderem ihr Mandant gearbeitet habe, in den Vereinigten Staaten stattgefunden hatten. Erst Anfang Mai gab es deswegen wieder eine Anhörung vor einem Berufungsgericht in Kalifornien.

Aktionärsklage wegen Netsuite-Kauf

Oracle hat Netsuite 2016 für 9,3 Milliarden Dollar gekauft. Es war zum damaligen Zeitpunkt die zweitgrößte Akquisition nach der umkämpften Übernahme von Peoplesoft im Jahr 2005 für 10,3 Milliarden Dollar. Ähnlich wie Salesforce gehört das 1998 gegründete Netsuite zu den Pionieren im Markt für Software as a Service (SaaS). Der Cloud-Anbieter offeriert die komplette Palette an Business-Software, von der Finanzbuchhaltung über das Inventar- und Kundenmanagement, Payroll und Human Capital Management (HCM) bis hin zu Beschaffung, Projektmanagement und E-Commerce-Lösungen. Adressiert werden in erster Linie kleinere und mittelgroße Betriebe.

Zu den frühen Investoren bei Netsuite gehörte unter anderen Oracle-Gründer Larry Ellison. Der langjährige Oracle-Chef hatte kurz nach der Gründung 125 Millionen Dollar in das Cloud-Startup gesteckt. Zum Zeitpunkt der Übernahme besaß Ellison bereits knapp 40 Prozent der Netsuite-Aktien. Das sorgte im Umfeld der Übernahme bei dem einen oder anderen Aktionär durchaus für Irritationen, zumal der Kaufpreis vielfach als überteuert kritisiert wurde.

Gericht spricht Larry Ellison und Safra Catz frei

Angesichts potenzieller Interessenskonflikte stand die Akquisition schon 2016 unter Beobachtung der Finanzbehörden und diverser Prüfungskomitees. Die Übernahme selbst verlief entsprechend holprig. Einige Netsuite-Aktionäre verweigerten zunächst ihre Zustimmung. Erst nach einer Fristverlängerung konnte Oracle die Übernahme Anfang November 2016 abschließen. Doch der Ärger ging weiter. Oracle-Aktionäre verklagten den Konzern, weil aus ihrer Sicht zu viel für Netsuite bezahlt worden sei. Ellison habe die Vorstandsmitglieder von Oracle dazu gedrängt, den Kauf zu einem angeblich überhöhten Preis zu genehmigen, um sich auf Kosten der Aktionäre zu bereichern, so der Vorwurf der Kläger.

Larry Ellison, Gründer und heute Cheftechnologe von Oracle, hat sich im Zusammenhang mit der 9,3 Milliarden Dollar teuren Übernahme von Netsuite nichts zuschulden kommen lassen, so das Urteil eines US-Gerichts.
Larry Ellison, Gründer und heute Cheftechnologe von Oracle, hat sich im Zusammenhang mit der 9,3 Milliarden Dollar teuren Übernahme von Netsuite nichts zuschulden kommen lassen, so das Urteil eines US-Gerichts.
Foto: Oracle

Doch zumindest an dieser Stelle gibt es Entwarnung für Oracle. Mitte Mai urteilte nach sechsjährigem Verfahren ein Gericht im US-amerikanischen Delaware, weder Ellison noch die seit einigen Jahren als Oracle-CEO amtierende Safra Catz - auf diese beiden Manager hatte sich das Verfahren zuletzt fokussiert - hätten sich irgendwelcher Verfehlungen im Zuge des Deals schuldig gemacht. Der Kaufpreis sei möglichweise zu hoch gewesen, doch daran trage Ellison keine Schuld. Der Manager habe vielmehr alles getan, sich aus den Verhandlungen herauszuhalten, stellte das Gericht abschließend fest.