Oracle hat vor dem Supreme Court, dem obersten US-Gerichtshof, eine schwere Niederlage einstecken müssen. Die Richter wiesen eine milliardenschwere Schadenersatzklage (PDF-Download) zurück, die der Datenbankspezialist vor Jahren gegen Google angestrengt hatte. Die Oracle-Verantwortlichen warfen Google vor, mit dem Smartphone-Betriebssystem Android Urheberrechte verletzt zu haben, und forderten neun Milliarden Dollar Schadenersatz.
Der Java-Streit
Der Streit dreht sich um die Verwendung von Java. Google hatte in Android etwa 11.500 Zeilen Softwarecode der Programmiersprache verwendet. Darin sahen die Oracle-Verantwortlichen einen Verstoß gegen die eigenen Urheberrechte. Der Softwarekonzern hatte 2010 mit der Übernahme von Sun Microsystems auch die Rechte an Java gekauft. Im gleichen Jahr klagte Oracle gegen Google.
Das Verfahren zog sich über mehr als zehn Jahre hin - mit unterschiedlichen Urteilen. Mitte 2012 entschied der kalifornische Richter William Alsup, dass Softwareschnittstellen nicht urheberrechtlich geschützt seien. Java-APIs seien Funktionselemente für das Zusammenspiel von Programmen und damit nicht per Urheberrecht schützbar, argumentierte das Gericht. Oracle kündigte prompt an, den Richterspruch anzufechten. "Dieses Urteil untergräbt den Schutz von Innovationen und Erfindungen in den Vereinigten Staaten", kritisierte eine Sprecherin des Konzerns.
Damit hatte Oracle Erfolg. Ein Berufungsgericht in Washington hob im Mai 2014 die Entscheidung der Vorinstanz auf und verwies das Verfahren zurück an das Bundesgericht in San Francisco. Dort entschied die Jury jedoch im Mai 2016, dass Googles Nutzung der Java-APIs als "fair use" einzustufen sei und daher auch keine Verletzung der Urheberrechte Oracles vorliege. Die Google-Verantwortlichen sprachen damals von einem Sieg für das Android-Ökosystem.
Doch die Freude währte nur kurz. Oracle legte postwendend erneut Berufung ein. Google habe Android mit illegal kopierter Kerntechnik von Java entwickelt, um sich auf dem Mobilfunkmarkt zu behaupten, begründeten die Justiziare des Softwarekonzerns die Fortführung des Streits. Tatsächlich entschied das Berufungsgericht im März 2018, Googles Java-Nutzung sei nicht angemessen und verwies das Verfahren wieder zurück an die Vorinstanz, um über einen möglichen Schadenersatz zu entscheiden.
Die Google-Verantwortlichen drängten in der Folge auf eine endgültige Entscheidung und starteten einen zweiten Versuch, den Fall vor das höchste US-amerikanische Gericht, den Supreme Court, zu bekommen. Es gehe schließlich darum, die Bedeutung freier Softwareschnittstellen und Interoperabilität zu bestätigen, so die Begründung. Der Streit berühre im Grunde genommen jede Art der Computer- und Softwarenutzung. Im November nahmen die Richter am Supreme Court das Verfahren an, das damit in die entscheidende Runde ging.
Sechs zu zwei gegen Oracle
Die hat Oracle nun verloren. Mit sechs zu zwei Richterstimmen entschied der Gerichtshof, dass Googles Kopieren der Java-API eine faire Nutzung im Sinne des Gesetzes darstelle. Es handle sich nur um Codezeilen, die benötigt würden, um Entwicklern zu ermöglichen ihre Arbeit zu machen und neue Softwareprogramme zu schreiben, hieß es in der Begründung. Es schade der Öffentlichkeit, wenn Oracle Urheberrechte auf die Java-APIs geltend machen könnte, sagte Richter Stephen Breyer. Damit würde Oracle eine Art Generalschlüssel erhalten, um Softwareinnovationen abzusperren.
Google-Manager Kent Walker begrüßte das Urteil als einen Sieg für die Verbraucher, die Interoperabilität und die Informatik im Allgemeinen. "Die Entscheidung gibt Rechtssicherheit für die nächste Generation von Entwicklern, deren neue Produkte und Dienste den Verbrauchern zugutekommen werden", twitterte der Senior Vice President of Global Affairs bei Google:
Today’s Supreme Court decision in Google v. Oracle is a big win for innovation, interoperability & computing. Thanks to the country’s leading innovators, software engineers & copyright scholars for their support. https://t.co/mSoKY8tM8p
— Kent Walker (@Kent_Walker) April 5, 2021
Googles Plattform werde noch größer und deren Marktmacht gewaltiger, kritisierte dagegen Oracles Chef-Juristin Dorian Daley. "Die Eintrittsbarrieren sind höher geworden und die Möglichkeiten zu konkurrieren sind jetzt eingeschränkt", so die Executive Vice President und General Counsel. "Sie haben Java gestohlen und ein Jahrzehnt lang prozessiert, wie es nur ein Monopolist kann. Dieses Verhalten ist genau der Grund, warum Regulierungsbehörden auf der ganzen Welt und in den Vereinigten Staaten die Geschäftspraktiken von Google untersuchen."
Google macht Schluss mit Oracle
Neben der Niederlage vor Gericht muss Oracle noch einen weiteren Rückschlag verkraften. Googles Mutterkonzern Alphabet plant offenbar seine interne Finanzverwaltung von einer Oracle-Lösung auf ein SAP-System umzustellen, meldete der US-Sender CNBC. Der Umstieg soll offenbar schon im Mai über die Bühne gehen, hieß es unter Berufung auf interne Google-Mails. Welche Software genau abgeschaltet beziehungsweise neu in Betrieb genommen werden soll, ist nicht bekannt. Genauso wenig ist klar, ob sich Google auch von weiterer Oracle-Software wie beispielsweise den Datenbanken verabschieden möchte. Im vergangenen Jahr hatte Googles Cloud-Konkurrent AWS mit der Meldung für Schlagzeilen gesorgt, die letzte Oracle-Datenbank abgeschaltet zu haben und auf eigene Datenbankprodukte umgestiegen zu sein.
Die Nachricht, dass Google auf SAP setzt, dürfte Oracle-Gründer Lawrence Ellison nicht schmecken. Der Chairman und Technikchef von Oracle, hatte erst vor wenigen Wochen anlässlich der Vorstellung der jüngsten Quartalsbilanz vollmundig verkündet: "In diesem Quartal hat Oracle Verträge im Gesamtwert von Hunderten von Millionen Dollar unterzeichnet, um mehrere große Unternehmen von SAP ERP auf Oracle Fusion ERP zu migrieren." Oracle hatte in der Vergangenheit immer wieder behauptet, dem deutschen Rivalen ERP-Kunden abspenstig gemacht zu haben, was in Walldorf reflexartig zurückgewiesen wurde.
Googles Volte in Sachen Finanzsoftware hat noch eine pikante Nebennote: Den Deal hatte vor Jahren offenbar Thomas Kurian für Oracle eingefädelt. Der Manager war bei dem Datenbankspezialisten als President zuständig für die Produktentwicklung und den Ausbau des Cloud-Geschäfts. Anfang September 2018 kündigte Kurian überraschend eine "Auszeit" bei Oracle an, nachdem er sich einem Bericht von "Bloomberg" zufolge mit Konzerngründer Ellison über den weiteren Kurs gestritten haben soll. Es ging dabei offenbar darum, wie weit sich Oracle öffnen und seine Software auch auf den Cloud-Infrastrukturen von Wettbewerbern wie AWS und Microsoft bereitstellen solle. Kurian, der das Infrastruktur-Business und damit auch die IaaS-Angebote verantwortete, sah im proprietären Kurs von Ellison keine Zukunft mehr. Kurz darauf wurde bekannt, dass Kurian die Verantwortung für das Cloud-Business von Google übernehmen würde.
Personell scheinen sich dagegen seit einiger Zeit die Bande zwischen Google und SAP zu verstärken. Im April 2019 wechselte SAPs Cloud-Vorstand Robert Enslin zu Google und übernahm dort den Posten als President der Google Cloud Global Customer Operations. Im Sommer vergangenen Jahres verkündete überraschend SAPs Deutschland-Chef Daniel Holz seinen Abschied aus Walldorf und übernahm in der Folge Googles Cloud-Geschäft in Europa. Erst kürzlich wurde bekannt, dass auch SAPs HANA-Spezialist Gerrit Kazmaier, der im Februar 2021 seinen Abschied von SAP angekündigt hatte, bei Google unterkommt. Er soll sich dort um den Bereich Cloud-Datenbanken kümmern und berichtet direkt an Urs Hölzle, Senior Vice President für die Technik und Infrastruktur bei Google.