Es ist die mit Abstand größte Übernahme der Firmengeschichte: Oracle übernimmt für 28,3 Milliarden Dollar Cerner, einen der größten Entwickler von IT- und Softwaresystemen für den Gesundheitssektor. Das Unternehmen wurde 1979 gegründet und hat seinen Hauptsitz in Kansas City, Missouri. Die Company beschäftigt weltweit mehr als 27.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
"Gemeinsam sind Cerner und Oracle in der Lage, das Gesundheitswesen zu transformieren", sagte Larry Ellison, Gründer, Chairman und Chief Technology Officer von Oracle. Die chronisch überlasteten Fachkräfte sollen bessere Informationen sowie benutzerfreundliche digitale Tools an die Hand bekommen. Der Manager versprach eine neue Generation von medizinischen Informationssystemen, um die administrative Arbeitsbelastung zu verringern. Es gehe darum, die Behandlung für die Patienten zu verbessern und die Gesamtkosten im Gesundheitswesen zu senken.
Hinter Cerner liegen unruhige Jahre. Mitte 2017 starb der Mitbegründer und langjährige CEO Neal Patterson, der wegen teilweise rüder Managementmethoden nicht unumstritten war. Es folgten Reorganisationen und Entlassungen. Nachdem Cerner 2015 Siemens Health Services für 1,3 Milliarden Dollar übernommen hatte, verkaufte der Konzern 2020 Teile seiner Geschäfte in Deutschland und Spanien für knapp 250 Millionen Dollar an die CompuGroup Medical SE. Zum 1. Oktober dieses Jahres übernahm David Feinberg, ehemals Leiter des Healthcare-Bereichs bei Google, als President und CEO.
Aktuell wird Cerner mit etwa 23 Milliarden Dollar an der Börse bewertet. Im Geschäftsjahr 2020 stand ein Umsatz von 5,5 Milliarden Dollar zu Buche, nach knapp 5,7 Milliarden Dollar ein Jahr zuvor. Unter dem Strich machte das Unternehmen einen Gewinn von gut 780 Millionen Dollar. Im Geschäftsjahr 2019 hatte sich der Profit auf 529 Millionen Dollar belaufen.
Türöffner für Gesundheitsbranche
Mit der Akquisition baut Oracle sein Standing in der Gesundheitsbranche massiv aus. Der Datenbankspezialist hatte in den vergangenen Monaten einige Lösungen rund um das Corona-Management an den Start gebracht. Dabei ging es beispielsweise um die Verwaltung von Impfstoffen und -terminen. In Sachen Speziallösungen für den Klinikbetrieb beziehungsweise das Management von Arztpraxen oder Laboren ist Oracle dagegen weniger gut aufgestellt. Vielmehr versucht der Softwarehersteller, seine horizontalen Lösungen branchengerecht anzupassen, beispielswiese seine Finance-Anwendungen für Krankenversicherer oder das Human-Capital-Management (HCM) für die Personalsteuerung in Krankenhäusern.
Für Oracle geht es derzeit vor allem darum, sein Cloud-Angebot auszubauen sowie seine Lösungen für das Datenmanagement zu modernisieren. Advanced Analytics und künstliche Intelligenz (KI) sind Disziplinen, in die der Softwarekonzern derzeit viele Ressourcen steckt. Gerade die Kombination dieser Fähigkeiten mit dem Daten-Pool von Cerner eröffnet interessante Optionen für die Zukunft. Auch der Healthcare-Spezialist verfolgt eine Cloud-Strategie. Mitte 2019 wurde eine Kooperation mit Amazon Web Services (AWS) verkündet. Mit der Übernahme durch Oracle dürfte die Zusammenarbeit mit Amazon nun wohl bald beendet werden, pflegt doch Oracle-Gründer Larry Ellison eine Intimfeindschaft mit dem Cloud-Konkurrenten und lässt keine Gelegenheit aus, das Konkurrenzangebot schlecht zu reden.
Tatsächlich hat Oracle bereits konkrete Pläne, was die Integration von Cerners Electronic-Health-Record- (EHR-)Systemen in die eigene Infrastruktur anbelangt. "Die autonome Datenbank von Oracle, die Low-Code-Entwicklungstools und die Benutzeroberfläche des Voice Digital Assistant ermöglichen es uns, die Systeme von Cerner schnell zu modernisieren und in unsere Gen2 Cloud zu verlagern", sagte Mike Sicilia, Executive Vice President, Vertical Industries, Oracle. Dies könne sehr schnell geschehen, da wichtige Systeme von Cerner bereits auf der Oracle-Datenbank liefen.
"Was sich ändern wird, ist die Benutzeroberfläche", kündigte Sicilia an. Der Voice Digital Assistant von Oracle soll zur primären Schnittstelle für die klinischen Systeme von Cerner werden. "Das wird es dem medizinischen Fachpersonal ermöglichen, weniger Zeit mit dem Tippen auf Computertastaturen zu verbringen und mehr Zeit für die Pflege der Patienten zu haben."
"Rauschen im Gesundheitswesen beseitigen"
Grundsätzlich passt Oracles Datenstrategie gut zur neuen Ausrichtung von Cerner. Schon in seiner Eröffnungsrede auf der Cerner Health Conference Mitte Oktober 2021 hatte der neue CEO Feinberg die Notwendigkeit betont, die Benutzerfreundlichkeit von Gesundheitsakten zu verbessern und Daten effizienter zu nutzen. "Wir alle müssen daran arbeiten, das Rauschen im Gesundheitswesen zu beseitigen", sagte der Manager.
"In den letzten Jahren haben wir erstaunliche medizinische Durchbrüche erlebt - intelligente Pillen, die ihre Nutzer daran erinnern, dass sie ihre Medikamente bereits eingenommen haben, KI zur genauen Erkennung von Lungenkrebs und Impfungen, die innerhalb von Monaten statt Jahren entwickelt und eingesetzt werden. Aber trotzdem bleiben viele Nebengeräusche." Die Benutzerfreundlichkeit der Technologie sei nur der Anfang, nicht das wahre Versprechen des digitalen Zeitalters, so Feinberg weiter.
"Jetzt ist es an der Zeit, das Versprechen in die Tat umzusetzen, und zwar mit Tools, die Informationen zur richtigen Zeit an das richtige Pflegepersonal weitergeben", kommentierte Feinberg die Übernahme durch Oracle. "Der Beitritt zu Oracle als dedizierte Industry Business Unit bietet uns die einmalige Gelegenheit, die Modernisierung elektronischer Gesundheitsakten (Electronic Health Record - EHR) zu beschleunigen, die Arbeit des Pflegepersonals zu verbessern sowie eine besser vernetzte, qualitativ hochwertige und effiziente Patientenversorgung zu ermöglichen."
Die Akquisition soll im Kalenderjahr 2022 abgeschlossen werden, vorausgesetzt die Kartellbehörden stimmen zu und die Cerner-Aktionäre nehmen das Angebot an. Cerner soll als eigene Business-Unit unter dem Dach von Oracle weitermachen. Ob es Veränderungen im Management von Cerner geben wird, ist derzeit nicht bekannt.
Schwierige IT-Projekte im Healthcare-Sektor
Allerdings ist der Healthcare-Sektor für IT-Anbieter ein schwieriges Terrain. Der Bereich gilt in weiten Teilen als wenig IT-affin und rückständig, was den IT- und Softwareeinsatz betrifft. Versuche, die IT-Infrastrukturen von Kliniken und anderen Einrichtungen in diesem Sektor zu modernisieren, enden oft in langwierigen, komplexen und teuren Projekten. Das musste in der Vergangenheit auch Cerner erfahren. In den zurückliegenden Jahren gab es immer wieder Streit, weil Projekte aus dem Ruder liefen oder nicht den versprochenen Erfolg brachten.
Dazu kommt, dass Gesundheitsdaten sensibel sind und der Datenschutz eine herausragende Rolle spielt. Gerade wenn es darum geht, große Datensätze auszuwerten, um beispielsweise die Effekte von Medikationen oder Behandlungsmethoden zu optimieren, müssen alle Beteiligten extrem vorsichtig mit diesen Daten hantieren.
"Die Übernahme von Cerner durch Oracle birgt ein enormes Potenzial", sagte Natalie Schibell, Senior Analystin bei Forrester. Der Erfolg werde jedoch in erster Linie davon abhängen, ob es Oracles gelingt, über seine Cloud-first-Strategie auch Daten außerhalb der EHR mit einzubinden. Schibell bezeichnete den Mangel an Dateninteroperabilität zwischen den Gesundheitsorganisationen als großes Problem. Das hindere die Anbieter oft daran, Patientendaten problemlos auszutauschen und so Erkenntnisse über den Gesundheitszustand der Patienten zu gewinnen.
Oracle müsse die Umstellung von Cerner auf die Cloud weiter forcieren, so Schibell. "Eine zukunftsorientierte Cloud-Strategie muss die gemeinsame Nutzung mit interoperablen Daten unterstützen, die kontinuierlich gepflegt und sicher ausgetauscht werden." Die Analystin betonte zudem den Security-Aspekt. Die Nutzung von Daten sei genauso wichtig wie deren Sicherheit. "Da Oracle versucht, sich im Gesundheitssektor stärker zu etablieren, müssen auch die Investitionen in die Cybersicherheit exponentiell steigen", sagte sie.
Oracles lange Shopping-Tour
Für Oracle, das in den vergangenen Jahrzehnten viele Dutzend Unternehmen übernommen hatte, ist die Cerner-Übernahme der größte Zukauf der Unternehmensgeschichte. Bis dato war die Akquisition des ERP-Herstellers Peoplesoft für 10,3 Milliarden Dollar im Jahr 2005 die größte Akquisition. Weitere Milliarden-Deals waren der Kauf von Netsuite für 9,3 Milliarden Dollar (2016), Bea Systems für 8,5 Milliarden Dollar (2008), Sun Microsystems für 7,4 Milliarden Dollar (2010) und Siebel für knapp 5,9 Milliarden Dollar (2006).
Oracle, derzeit an der Börse mit etwa 280 Milliarden Dollar bewertet, ist eigentlich immer gut bei Kasse. Mit seinem kürzlich veröffentlichten Ergebnis für das zweite Fiskalquartal des Geschäftsjahres 2022 hat der Datenbankprimus die Erwartungen der Börse übertroffen. Der Umsatz verbesserte sich im Vergleich zum Vorjahresquartal um sechs Prozent auf 10,4 Milliarden Dollar. CEO Safra Catz sprach von starken Ergebnissen und betonte vor allem das 22-prozentige Wachstum im Cloud-Geschäft, wo Software as a Service (SaaS) und Infrastructure as a Service (IaaS) gleichermaßen kräftig zulegten.
Oracle setzt auf die Cloud-Karte
Das Cloud-Business nähere sich aufs Jahr gerechnet der Elf-Milliarden-Dollar-Marke an, hieß es. "Wir haben jetzt 8.500 Fusion-ERP-Kunden mit einem Umsatzwachstum von 35 Prozent, 28.400 NetSuite-ERP-Kunden mit einem Umsatzwachstum von 29 Prozent, und unsere Gen2-Infrastrukturgeschäfte wachsen noch schneller - und beschleunigen sich", freute sich Catz.
Ihre Erwartungen an den Cerner-Zukauf sind groß. "Das Gesundheitswesen ist der größte und wichtigste vertikale Markt der Welt - 3,8 Billionen Dollar im vergangenen Jahr allein in den Vereinigten Staaten", konstatierte Catz. Cerner werde in den kommenden Jahren ein enormer zusätzlicher Umsatzwachstumsmotor sein. Oracle will das Cerner-Geschäft in viele weitere Länder auf der ganzen Welt ausweiten. "Das ist genau die Wachstumsstrategie, die wir beim Kauf von NetSuite verfolgt haben - nur dass die Umsatzchancen von Cerner noch größer sind."