Sie kennen das aus Ihrer eigenen Firma? Methoden für agiles Projektvorgehen, Innovationsmanagement und das Arbeiten in interdisziplinären Teams werden etabliert. Plötzlich aber kommt jemand auf die Idee und sagt: "Eigentlich könnten alle in der Firma so arbeiten." Also auch die in der Finanzabteilung und nicht nur in der IT, auch in der Produktion oder der Logistik. Und nicht nur, wenn es um die Entwicklung neuer Produktideen geht.
Aber wie soll das Betriebsmodell der zukünftigen Unternehmensarchitektur aussehen, in der die gesamte Belegschaft agil kooperiert? Macht das überhaupt für alle Mitarbeiter Sinn? Ein "Copy and Paste" bekannter Methoden scheint die offensichtliche Lösung zu sein. Aber ist das auch die richtige Vorgehensweise? Die Architektur eines Unternehmens, in dem wirklich alle Mitarbeiter nach den Prinzipien agiler Kooperation zusammenarbeiten, sieht anders aus.
Umstrukturierungen überwinden
Der traditionelle Weg, eine Unternehmensarchitektur zu verändern, besteht aus einer Reihe meist sehr aufwändiger Maßnahmen und Projekte. So wird die Organisationsstruktur im Rahmen einer Reorganisation aus dem Ist-Zustand in einen neuen Soll-Zustand versetzt. Hierzu sind nicht nur umfangreiche Abstimmungen mit den Betriebsräten notwendig. Meist begleitet ein Change-Management-Kommunikations-Projekt das Vorhaben. In unzähligen Informationsveranstaltungen wird versucht, die Mitarbeiter dazu zu briefen:
Welche Veränderungen sind notwendig?
Warum sind sie nützlich, um Fortbestand und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu erhalten?
Die Mitarbeiter sollen damit von der anstehenden und längst beschlossenen Reorganisation überzeugt werden. Unterstützung des Vorhabens soll das Ergebnis sein. Oft haben externe Strategieberater den Plan zum Umbau des Unternehmens am runden Tisch und hinter verschlossenen Türen entwickelt. In der überwiegenden Zahl der Reorganisationen ist das Ziel, die Umbau-Kosten zu reduzieren.
Mit den Nachwehen und dem Kollateralschaden derartiger Reorganisationen kämpfen die Mitarbeiter in Unternehmen meist noch jahrelang, bis sich wieder ein stabiler und funktionsfähiger Arbeitsablauf entwickelt hat. Dass die Anpassung von Organisationsstrukturen und Unternehmensarchitekturen ein Imageproblem haben, ist daher kein Wunder.
Verfolgt ein Unternehmen den Gedanken, in den Kooperationszustand einer agilen Organisation zu wechseln, muss dieses Image grundlegend neu aufgebaut werden. Anstatt als Kraftakt und als Arbeitsplatzbedrohung muss der Wandel zu einem positiven Werkzeug der Unternehmensentwicklung etabliert werden. Denn in einer agilen Organisation ist die Struktur der Kooperation als fluide zu verstehen. Das bedeutet nicht, dass sie beliebig ist. Ganz im Gegenteil! Die grundlegende Fähigkeit einer agilen Organisation ist es, die Zusammenstellung einzelner Teams und vernetzter Gruppen von Teams neu auszurichten. Das geschieht hinsichtlich der darin engagierten Mitarbeiter, der Arbeitsinhalte und Geschäftsfähigkeiten - je nach Kundenanforderung oder Marktveränderung.
Die Selbstverständlichkeit eines Agile Operating Model: AOM
Mit einer statischen Organisations- und Steuerungsstruktur eines Unternehmens sind historisch gewachsene Assoziationen und Überzeugungen verknüpft. Dabei geht es beispielsweise um seine wirtschaftliche Stabilität, seine Zuverlässigkeit und Nachhaltigkeit. Auch Arbeitsplatzsicherheit wird damit sehr stark in Verbindung gebracht. Betriebsräte haben bei Umstrukturierungen ein gewichtiges Wort mitzusprechen und eine Reihe von Veränderungen sind mitbestimmungspflichtig. Auch das Zugehörigkeitsgefühl von Mitarbeitern, gerade wenn sie schon länger für ein Unternehmen tätig sind, ist mit den Strukturen verknüpft. Man kennt einander, hat gelernt, wie der "Laden" funktioniert, und hat ein informelles Kommunikationsnetz aufgebaut. Diese Dynamik ist nachvollziehbar und hat viele Vorteile, da sie vertraut ist und Orientierung sicherstellt.
Dieser statische Zustand hat jedoch auch Nachteile: Es sind sehr viel Energie und Instabilität erforderlich , um Anpassungen vorzunehmen, zu etablieren und einen weiter entwickelten Funktionszustand zu erreichen. Ändert sich die Struktur, werden Mitarbeiter versetzt und müssen vielleicht sogar ihre fachlichen Inhalte und Zuständigkeiten verändern. Die Folge ist, dass die informellen Vernetzungen der Mitarbeiter untereinander neu verknüpft werden müssen und die Kommunikationswege neu kalibriert werden. Dieser Prozess ist anstrengend, kostet Zeit und Energie, während der operative Betrieb aufrechterhalten werden muss. Veränderungen sind also riskante Störungen und verursachen in der Phase der Neujustierung Instabilitäten und Stress.
Lesetipp: Wenn Veränderung zum Dauerzustand wird
Eine agile Organisation benötigt einen diametral entgegengesetzten Umgang mit organisatorischer Veränderung. Nur so kann sie die Eigenschaft der Anpassungsfähigkeit nutzen. Sie sollte Phasen von Instabilität und Verunsicherung nicht jedes Mal neu überwinden müssen. Der Schlüssel hierzu liegt in der Architektur der agilen Organisation. Sie besteht aus immer gleich verstandenen und genutzten Bausteinen in allen Bereichen, Teams, Niederlassungen oder Fachbereichen. So entsteht ein agiles Betriebsmodell des Unternehmens oder angelsächsisch ausgedrückt: ein Agile Operating Model (AOM).
Die grundlegenden Bausteine hierfür sind unter anderem:
ein Modell elementarer Kooperationsformen und -wege der Kommunikation, strategische und operative Planung, operativ selbst-organisierte Kollaboration, Kennzahlen sowie Sinnstiftung und die Vereinbarung übergreifender Kooperationsregeln, auch Governance genannt;
Arbeitsgruppen als unternehmensweite Zirkel, in denen Mitarbeiter interdisziplinäre Fragestellungen der Kooperation behandeln, operative Reibungsverluste beheben oder Geschäftsprozesse erarbeiten und anpassen;
Communities of Excellence als unternehmensweite Zirkel, in denen Mitarbeiter erworbenes Erfahrungswissen untereinander austauschen, fachliches Wissen weiterentwickeln, vertiefen oder aktualisieren, Methodenkompetenz aufbauen, sich miteinander vernetzen und informelle Kommunikationsstrukturen pflegen;
das Verständnis von Führungsaufgaben als Orientierungsfunktionen und -verantwortungen, die von jedem Mitarbeiter ausgehen;
ein positiv konstruktives Menschenbild, in dem jeder Mitarbeiter als Erwachsener verstanden und respektiert wird, der die fachliche und persönliche Kompetenz besitzt, Entscheidungen zu seinem Zuständigkeitsbereich eigenständig zu fällen.
Über diese Bausteine des AOM können die genannten Faktoren einer stabilen Orientierung und darüber, wie das Unternehmen funktioniert, ebenso abgebildet werden. Allerdings müssen Faktoren wie Instabilität oder Verunsicherung nicht neu überwunden werden. Vor allem bleiben soziale Bindungen, Netzwerke und Kommunikationswege erhalten und können sogar noch verstärkt werden. Sie werden in Mitarbeiterzirkeln, den sogenannten Communities, organisiert und von der operativen Organisationsstruktur entkoppelt genutzt.
Wie sich jetzt die fachliche Konfiguration von Teams und der darin engagierten Mitarbeiter zusammensetzt, verliert an Bedeutung: Bezugspunkte und Anlaufstellen werden über alternative Wege organisiert und autark erhalten.