Laut dem aktuellen HR-Report des Personaldienstleisters Hays in Zusammenarbeit mit dem Institut für Beschäftigung und Employability (IBE) klagen viele Führungskräfte über Schwierigkeiten, ihre leitende Funktion in Zeiten des Homeoffice umzusetzen. Drei Fünftel der befragten Manager tun sich schwer, Mitarbeiter in ihre Entscheidungen einzubinden oder überhaupt Selbstorganisation zuzulassen. Der Grund: Sie haben es schlicht anders gelernt. "Die Studienergebnisse machen deutlich, wie stark die Sozialisation der Führungskräfte innerhalb starrer hierarchischer Unternehmensstrukturen greift. Mehr noch: wie dieser Zustand die Entwicklung von New-Work-Arbeitsweisen behindert," so Hays-Vorstand Christoph Niewerth.
Entsprechend haben über 70 Prozent der Führungskräfte Probleme damit, Macht abzugeben oder an einem Hierarchieabbau in den Unternehmensstrukturen mitzuwirken. Während mehr als die Hälfte der über 1000 Befragten feststellt, dass die Arbeit durch Corona sowohl zeitlich als auch örtlich einen deutlichen Flexibilisierungsschub erfuhr, behauptet lediglich ein Viertel, dass sich Führungs- oder Machtstrukturen verändern. Corona wirkt also als Katalysator für die Flexibilisierung individueller Arbeit, ist aber kein entscheidender Treiber für eine demokratischere Unternehmensorganisation.
IT-Unternehmen sind flexibler und demokratischer strukturiert
Etwas anders sieht es in IT-Unternehmen aus. Meist später gegründet als Industrie- oder Handelsunternehmen pflegen sie einerseits demokratischere Organisationsformen und sind in Projektstrukturen mit flexiblen Hierarchien geübt. Außerdem arbeiten viele Spezialisten längst wenigstens teilweise im Homeoffice. Doch seit fast alle Mitarbeiter mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie nach Hause geschickt wurden, verändert sich auch im Führungsverhalten innerhalb der Branche einiges. So sind bei Easysoft in Metzingen regelmäßige Meetings und Gespräche noch wichtiger geworden seit 80 bis 90 Prozent der Mitarbeiter nicht mehr im Büro arbeiten. Bisher merkten Führungskräfte am Verhalten ihres Teams schnell, ob Informationen falsch oder überhaupt nicht ankamen. Viele hatten ein Gespür, wann die Arbeit nicht rund lief. "Der gemeinsame Focus kann schrittweise verlorengehen", sagt der strategische Geschäftsführer Andreas Nau. Darüber tauschen sich die Führungskräfte des Metzinger Unternehmens aus, das Software für Personalentwicklung und Seminarorganisation entwickelt. Mit dem Ergebnis: Es wird noch konsequenter nach dem Arbeitsstatus gefragt: Wo steht jeder? Wie geht es weiter? Dieses Zusammenspiel zwischen Führungskräften und Mitarbeitern klappt in der Regel ausgezeichnet. Trotz Corona sind Umsatz und Gewinn des Unternehmens auch im vergangenen Jahr um rund 20 Prozent gestiegen.
- Tipps zur virtuellen Mitarbeiterführung
Seit der Pandemie gehört virtuelle Mitarbeiterführung zu den Standartaufgaben für jeden Vorgesetzten. Wir haben die wichtigsten Learnings aus dieser Zeit zusammengefasst. - Unterschiedliche Arbeits- und Lebensumstände anerkennen
Zu den größten Herausforderungen zählen die unterschiedlichen Voraussetzungen, womit Teammitglieder bei der Heimarbeit konfrontiert sind. Nicht jeder hat ausreichenden Raum für ein separates Home-Office. Dazu kommen Ablenkungen wie Kinder, Haustiere oder bei Singles ein Gefühl der Isolation. All das hat Einfluss darauf, wie und zu welchen Zeiten Mitarbeiter ihre Aufgaben am besten erledigen können. Vorgesetzte, die offen Verständnis für individuelle Situationen zeigen, schaffen die Grundlage einer vertrauensvollen Zusammenarbeit. - Stress-Level steuern
Permanenter Stress im Home-Office ist keine gute Voraussetzung, um kontinuierlich gute Arbeit zu leisten. Wer als Führungskraft vermittelt, dass es okay ist, nicht immer perfekt zu funktionieren, nimmt Mitarbeitern etwas den Druck in der Gewöhnung an die neue Normalität. Vielen fällt es mit dieser Gewissheit leichter, Deadlines einzuhalten und den Erwartungen zu entsprechen. - Regelmäßigen Kontakt pflegen
Ein tägliches Gespräch mit Chefin oder Chef - ist das nicht zu viel der Kommunikation? Nein, denn insbesondere bei der digitalen Mitarbeiterführung ist die Regelmäßigkeit des Austauschs entscheidend. Nur so lässt sich einschätzen, ob alles wie besprochen läuft und sich alle im Team den Anforderungen gewachsen fühlen. Missverständnisse und Fehler passieren - ähnlich wie im Büro - vor allem, wenn zu wenig kommuniziert wird. - Neue Technologien nutzen
Nur mit Personen, zu denen man regelmäßigen Kontakt pflegt, können Beziehungen entstehen. Das funktioniert im Zeitalter des digitalen Austauschs über zahlreiche Kommunikationskanäle. Moderne Videokonferenz-Tools wie Zoom, Teams, Google Meet etc. ermöglichen eine Kommunikation von Angesicht zu Angesicht und machen sichtbar, wie es allen Teammitgliedern geht. - Kommunikationsregeln festlegen
Dezentral organisierte Teamarbeit funktioniert am effektivsten, wenn sich alle über die Grundregeln der Kommunikation einig sind. Vorgesetzte können für klare Verhältnisse sorgen, indem sie Häufigkeit, Zweck und Timing des Austauschs und die dafür priorisierten Kanäle festlegen. Videokonferenzen sind in der Regel die erste Wahl für die tägliche Gruppenbesprechung. Gerade größere Gesprächsrunden lassen sich durch simple Tricks so strukturieren, dass auch Meetings mit hoher Teilnehmerzahl geordnet und effektiv ablaufen. Wenn es um dringliche Angelegenheiten oder Nachfragen geht, sind andere Kanäle wie Instant Messaging der bessere Weg. Unified-Communications-Plattformen ermöglichen eine Vielzahl von Anwendungen und Kommunikationskanälen. - Erwartungen definieren
Oft werden beim Übergang von der klassischen Büroarbeit ins Home-Office Aufgaben innerhalb eines Teams neu verteilt oder kommen neue hinzu. Damit Mitarbeiter diese erfüllen können, muss klar sein, was genau von ihnen erwartet wird. Manchen mag es außerhalb der gewohnten Büroatmosphäre anfangs schwerfallen, Aufträge zu priorisieren. Gemeinsam kann geklärt werden, welche Aufgaben Priorität haben und zu schaffen ist. Einfach davon auszugehen, dass jeder weiß, was zu tun ist, ist kontraproduktiv. Besser ist, von Anfang an eine Feedback-Schleife zu vereinbaren, um Erwartungen anzupassen und in den bekannten Applikationen zu dokumentieren. - Ein gemeinsames Ziel verfolgen
Teams funktionieren vor allem dann, wenn alle Mitglieder eine gemeinsame Mission verfolgen. Das dabei entstehende Gemeinschaftsgefühl hilft auch, Unsicherheiten zu überwinden und mit ungewohnten Arbeitssituationen umzugehen. Wenn jeder weiß, was er zum gemeinsamen Erfolg beiträgt, ist das die beste Motivation, Höchstleistungen zu erbringen. Erfolge sollten außerdem gewürdigt werden. - Auf die Ergebnisse konzentrieren
Wie lassen sich Engagement und Selbstverantwortung fördern? Indem Führungskräfte sich auf die gewünschten Ergebnisse konzentrieren und Teammitgliedern den Freiraum lassen, selbst einzuteilen, wie sie zum Ziel kommen wollen. Voraussetzung dafür ist ausreichend Zeit und zuvor aufgebautes Vertrauen. Ist das der Fall, lässt sich auf diesem Weg nicht nur die Kreativität der Mitarbeiter fördern, sondern auch kräftezehrendes Mikromanagement vermeiden. Virtuelle Brainstorms lassen sich beispielsweise in Breakout-Räume aufteilen. Kleinere Teams können dadurch in separaten Sitzungen arbeiten und ihre Ideen sammeln, die anschließend in der größeren Runde präsentiert werden. - Strikte Kontrollmechanismen vermeiden
Regelmäßige Kommunikation und klare Zielvorgaben sind wichtig. Sie dürfen aber nicht dazu führen, dass Mitarbeiter das Gefühl bekommen, im Home-Office überwacht zu werden. Vorgesetzte, die mehrmals täglich penible Rückmeldungen zu erledigten Arbeitsschritten einfordern, signalisieren damit fehlendes Vertrauen. Sie riskieren zudem, dass Teams den Fokus verlieren. Beratung und Betreuung sind besser als strikte Kontrolle. - Neue Team-Mitglieder integrieren
Als neues Mitglied in ein dezentral arbeitendes Team zu kommen, kann zur Herausforderung werden, weil sich die Dynamik einer Gruppe anfangs schwerer erspüren lässt. Umso wichtiger ist es, Neulingen zu Beginn ihrer Tätigkeit das Gefühl zu geben, Teil der Gruppe zu sein. Unternehmen, die bereits über längere Erfahrung in dezentralem Arbeiten verfügen, haben dies zum festen Bestandteil ihres Onboardings gemacht. - Das Wir-Gefühl stärken
Selbst in gut funktionierenden Arbeitsumfeldern kann es gelegentlich zu Unsicherheiten, Unzufriedenheit oder Ängsten der Mitarbeiter kommen. Die Aufgabe von Führungskräften besteht darin, Teams davor zu schützen. Das gelingt am besten, wenn auch die sozialen Aspekte der gemeinsamen Arbeit berücksichtigt werden. Dafür braucht es keine verpflichtenden gemeinsamen Kaffeepausen, aber von Zeit zu Zeit die Gelegenheit für einen lockeren Austausch, der Mitarbeitern das Gefühl gibt, trotz der Distanz wahrgenommen zu werden. Virtuell lässt sich der Teamgeist auch fördern, wenn zur Abwechslung mal eine Happy Hour, ein virtuelles Quizzen oder ein gemeinsames Essen per Videochat organisiert wird.
Videokonferenzen erweisen sich als sehr arbeitseffizient
Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Arbeitseffizienz von Videokonferenzen oft höher als bei klassischen Treffen, wenn klare Regeln eingehalten werden: Kamera an, Mikro aus, das Programm ermöglicht virtuelles Handheben und Fragen werden im Chat schriftlich gestellt, schildert Nau das Procedere des letzten Gesamtmeetings mit knapp 80 Mitarbeitern. Fragen, die die Führungscrew in der vorgegebenen Zeit nicht mehr beantworten konnte, wurden ins Unternehmens-Wiki gestellt und dort beantwortet. Doch Arbeitseffizienz ist nur ein Aspekt solcher Treffen. Andere und oft wichtigere sind, die Gemeinschaft im Unternehmen zu fördern, neue Mitarbeiter vorzustellen oder den Abschluss einer neuen Software-Generation zu feiern. "Ende September mit allen Mitarbeitern Easysoft 5 feiern zu können, war einfach wesentlich verbindender", so Nau - selbst mit den damaligen Abstandsregelungen, Masken und einem Freiluft-Catering vor dem Firmengebäude.
Trotzdem macht sich der Easysoft-Chef Gedanken: "Vielleicht merken wir erst in fünf Jahren, dass etwas gefehlt hat." Denn die ersten Ideen für Innovationen entstehen aus einem Teamgeist, oft wenn Mitarbeiter sich ohne konkretes Ziel auf den Kommunikationsinseln im Büro treffen, gemeinsam kochen, spielen oder Sport treiben. Es fehle die unmittelbare Qualität des Miteinander, die durch Online-Treffen nicht zu ersetzen sei, so der Firmenchef.
Arbeiten im Homeoffice ist nicht allein selig machend
Die Euphorie, im Homeoffice und flexibler arbeiten zu können, verpufft zunehmend. Stattdessen wächst die Erkenntnis, dass "etwas" fehlt: Das Zwischenmenschliche, die Arbeitsfreude oder das gemeinsame Feiern von Erfolgen. Dabei bemühen sich Führungskräfte darum, den sozialen Kontakt mit und zwischen ihren Mitarbeitern zu gestalten. "Wenn die Gespräche in der Kaffeeküche wegfallen, müssen sich sowohl das Team als auch die Führungsverantwortlichen gezielt um das Zwischenmenschliche kümmern", sagt Andreas Günzel. Nach Ansicht des Personalchefs von IT-Design, sei die Arbeitsorganisation gerade in den Holacracy-Meetings mit eindeutig fachlicher Funktion und festgelegter Agenda sehr effizient. Da gebe es wenig Raum für persönliche Gespräche. Die Führungskräfte kümmern sich deshalb darum, neue virtuelle Orte für Begegnungen auszuprobieren. Zum Beispiel die virtuelle Küche, die das Unternehmen eingerichtet hat: Wenn Mitarbeiter Pause machen, finden sie dort Kollegen für einen Video-Chat. Auch kleine Freizeit-Events wie die interaktive Zaubershow für die ganze Familie in der Vorweihnachtszeit tragen dazu bei, dass die Mitarbeiter auch privat im Gespräch bleiben.
Zudem bestehen weiterhin Rituale, wie etwa das monatliche Mittagessens-Roulette. In diesem Fall melden sich Mitarbeiter an und werden bunt in Dreier- oder Vierergruppen gemixt, so dass sie mit Kollegen aus anderen Teams zusammensitzen. Vor allem für die neuen Mitarbeiter sei das eine "wunderbare Gelegenheit" persönlichen Kontakt zu bekommen, so Günzel. Doch auch hier gilt: Die Gruppen sitzen eben nicht wie früher zusammen an einem Tisch, sondern jeder isst vor seinem Laptop. "Die Situation belastet viele, aber sie regt auch dazu an, neue kreative Wege auszuprobieren", fasst der HR-Chef zusammen.
Grundsätzlich läuft die Arbeit gut, findet Elise Ross, technische Beraterin bei IT-Design. Die Meetings sind ins Internet gewandert: Etwa der tägliche Huddle am Morgen, das wöchentliche Meeting für operative Themen und quartalsweise das strategische Focus-Meeting. "Wir achten bei der Personalauswahl auf hohe Eigenverantwortung", erzählt die Bioinformatikerin, deswegen vertraut sie in ihrer führenden Rolle als Coach zur Weiterentwicklung ihren Teammitgliedern, egal wo sie arbeiten. Das entspricht der Unternehmenskultur des Tübinger CRM- und PPM-Spezialisten. Hohe Beteiligung der Mitarbeiter sei Voraussetzung für agiles Arbeiten.
Allerdings stellt Ross auch fest: "Die Emotionen fehlen". Der gemeinsame Spaß an der Arbeit ist geringer geworden. Sie vermisst das "Quatsch machen" beim Kaffee trinken. Es werde Zeit, sich endlich wieder direkt zu treffen. Denn obwohl sie ihre Meetings ein wenig verlängert, um Zeit für den persönlichen Austausch zu lassen, lautet ihr Credo: online kann live nicht ersetzen. Hinzu kommt, dass für den ein oder anderen die Situation zu Hause nicht ideal ist, sei es, weil ausreichender Arbeitsraum fehlt, es zu viele Unterbrechungen gibt oder schlicht die Trennung zwischen Arbeit und Privatem schwerfällt. Deshalb führt sie mehr individuelle Gespräche, um eine bessere Lösung zu finden. Die kann lauten, gehe zumindest zeitweise wieder ins Büro, denn momentan verteilen sich lediglich etwa zehn Prozent der Mitarbeiter in dem Bürogebäude. Wer sich in die Liste einträgt, für den findet das Hygieneteam einen geeigneten Arbeitsplatz mit entsprechendem Abstand. (pg)