Wenn Aldi Nord ankündigt, die "nächste Generation des Discounts" zu entwickeln, dann dürfte der weltweite Einzelhandel alarmiert sein. Tatsächlich hilft Chief Technology Officer (CTO) Sinanudin Omerhodzic mit seinen 800 Technologie-Mitarbeitenden dabei, das Unternehmen in die digitale Zukunft zu führen - mit Lösungen, die den Einkauf für Kunden einfacher gestalten und für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die tägliche Arbeit erleichtern.
Laut Omerhodzic gibt es bei Aldi Nord zwei Grundsätze: Günstig und einfach sollen es die Kunden beim Einkaufen haben. Um hier neue Wege zu gehen, hat der Discounter beispielsweise testweise in der Innenstadt von Utrecht eine Filiale eingerichtet, die ganz ohne Kassen auskommt. Kundinnen und Kunden nutzen beim Ein- und Auschecken im Markt den QR-Code einer App, alles andere erledigen Sensoren in den Regalböden sowie die im Store eingesetzte Kameratechnik. Alle Einkaufsbewegungen werden so erfasst und den Kunden zugeordnet - anonym und DSGVO-konform, wie Omerhodzic betont.
Die Kunden-App ermöglicht einen kontaktlosen Bezahlvorgang: Sobald die Besucher mit dem Einkauf fertig sind, können sie die Filiale verlassen und müssen sich nicht mehr in eine Schlange stellen. Die App übernimmt den Bezahlprozess und bietet zudem die Möglichkeit, die Einkaufshistorie zu verwalten, Erstattungen zu beantragen und Feedback zum Einkauf abzugeben.
KI steuert Warenverfügbarkeit
Voraussetzung für den Erfolg des Projekts in Utrecht ist, dass immer ausreichend Ware im Regal ist. Die Produktpalette umfasst unter anderem Grundnahrungsmittel, Fertiggerichte und Snacks. Aldi Nord greift bewusst auf lokal erzeugte Lebensmittel zurück, um eine bessere Warendisposition zu ermöglichen, den Verderb von Frischware einzuschränken und seine Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Die Warenverfügbarkeit wird mithilfe einer automatischen Disposition sowie über KI-gestützte Regalplatz-Optimierungen gesteuert.
Einfaches Beispiel: Wenn es im Sommer heiß wird, erkennt das System anhand von Daten frühzeitig den veränderten Bedarf und bestellt automatisiert Eis oder Mineralwasser. So lassen sich Transportwege optimieren und die Warenverfügbarkeit für die Kunden steigern. Darüber hinaus konnte die Bestandsführung bei Kühlwaren, Obst und Gemüse sowie Fisch und Fleisch deutlich verbessert werden.
Ökologischen Fußabdruck reduzieren
"Wir planen, als einer der ersten Händler weltweit, einen kassenlosen Markt mit einer integrierten Auto-Disposition und einem Flächen- und Regalplanungssystem einzuführen", freut sich der CTO. Die gewünschte Ware werde für die Kunden einfacher auffindbar, zudem könne Aldi Nord seinen ökologischen Fußabdruck als Unternehmen auf Dauer signifikant reduzieren.
Die Software dafür wird in der Cloud laufen. So kann das Unternehmen die benötigten Leistungen besser skalieren und Latenzen vermeiden. Um Kassenausfälle zu verhindern, vertraut der Discounter auf Software-Bots, die Backend- und Frontend-Systeme, Kassensoftware und IT-Plattformen ständig überwachen. Anomalien lassen sich frühzeitig erkennen, Probleme auch über Distanzen lösen.
Ein digitaler Zwilling entsteht
Die Angebote für die Kunden zu optimieren, ist ein Ziel. Die Digitalisierung soll aber auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrer täglichen Arbeit entlasten. Um mehr Verständnis zwischen Technology und Discount-Business zu schaffen, führt Aldi Nord die Teams auch organisatorisch immer weiter zusammen. Dies reduziert Reibungsverluste und Silodenken auf ein Minimum und verstärkt agile Arbeitsmethoden interdisziplinär. Es entsteht ein digitaler Zwilling, gemeinsam wird an den Lösungen gearbeitet.
Die enge Verzahnung führt laut Omerhodzic zu einem Mindset nach dem Motto: "We run IT as a business". So würden Tempo und hohe Qualität erreicht, die Technologie behalte zusammen mit dem Business ihre Kunden immer im Blick.
Die Jury verleiht den Innovation Award
Im Wettbewerb CIO des Jahres 2022 hat Omerhodzic nach Meinung von Jurymitglied Thomas Mannmeusel, CIO von Webasto, so hervorragend abgeschnitten, weil der Business Impact für Aldi Nord enorm hoch und der Innovationsgehalt der Bewerbung überdurchschnittlich sei. Juror Martin Peuker, CIO der Charité in Berlin, findet die Idee des digitalen Zwillings in der Zusammenarbeit von IT und Business herausragend. Er denke daran, im Berliner Großklinikum organisatorisch eine ähnliche Richtung einzuschlagen. (kf)