Auch Olaf Scholz braucht einen Personalausweis und einen Pass. Beides muss auch der Bundeskanzler offline beantragen. "Ich bin da vorbeigefahren, das ging nicht anders", berichtete Scholz auf der Netzkonferenz re:publica. Er versicherte im gleichen Atemzug sich dafür einzusetzen, dass dies künftig auch online funktionieren werde.
Eigentlich sollten die wichtigsten Verwaltungsdienste bis Ende dieses Jahres digitalisiert sein. Das ist im Onlinezugangsgesetz (OZG) sogar gesetzlich festgeschrieben. Doch daran glaubt nicht einmal der Kanzler mehr. Nun soll es einen neuen Anlauf geben - wieder per Gesetz und mit Termin. Wann Scholz mit der Digitalisierung der deutschen Behördenlandschaft fertig sein will, wollte er in Berlin allerdings nicht verraten. "Weil ich die Abläufe in Deutschland kenne."
Deutsche Behörden vermasseln Digitalisierung
Erstmals trat in diesem Jahr ein amtierender Bundeskanzler auf der re:publica auf. Das zeigt zumindest, welch hohen Stellenwert digitale Themen mittlerweile in der Politik besitzen. Scholz sprach auch von den großen Herausforderungen unserer Zeit, von der Corona-Pandemie mit allen ihren sozialen, gesellschaftlichen und politischen Brüchen sowie vom "grausamen Krieg im Osten Europas".
"Es droht eine neue Teilung der Welt", sagte der Kanzler, doch die Deglobalisierung sei ein Irrweg. Niemand könne sich abkoppeln. "Das gilt für die analoge Welt wie für den digitalen Raum."
Scholz warnt vor Balkanisierung des Internet
Scholz hielt ein Plädoyer für ein freies Internet. Daten und Informationen müssten frei bis in jeden Winkel der Welt fließen können. "Wissen ist Macht - doch von dieser Macht des Wissens fühlen sich nicht wenige bedroht", sagte der Politiker. Staatliche Akteure wollen dem freien Internet Grenzen setzen. Scholz prangerte die Überwachung und Zensur in China sowie die Abschottung des russischen Netzes durch Putins Staatsmacht an. Er warnte vor einer "Cyber-Balkanisierung". Aus dem Internet sei in Teilen bereits ein "Splinternet" geworden.
Aus Sicht des deutschen Regierungschefs muss das Internet als progressiver demokratisierender Raum für die weltweite Vernetzung und den Wissensaustausch erhalten und gestärkt werden. Angesichts der damit verbundenen Aufgaben sprach Scholz von einer digitalpolitischen Zeitenwende.
Um die zu bewältigen gelte es, die eigene digitale Souveränität stärken. "Aber ohne globale Wertschöpfungsketten zu kappen und selbst in Protektionismus zu verfallen", warnte Scholz. Es gelte klar zu differenzieren, welche Technologien man gefahrlos auf dem Weltmarkt kaufen könne und welche strategisch so wichtig seien, dass man sie selbst vorhalten und beherrschen müsse. "Ich denke da an knappe Chips und Halbleiter, die auch in Deutschland die Industrie derzeit ausbremsen", sagte der Kanzler und bezeichnete es als gute Nachricht, wenn sich Unternehmen wie Intel dazu entschieden, Chips hier in Deutschland zu produzieren.
Deutschland muss bei Digitalisierung aufholen
Der Regierungschef kündigte an, die Bundesrepublik werde in den kommenden Jahren massiv in die Digitalisierung investieren - etwa in die Infrastruktur für den flächendeckenden Glasfaser- und Mobilfunkausbau. "Hier muss Deutschland dringend aufholen." Der Kanzler plädierte zudem für einen anderen Umgang mit Daten. "Hin zu einer verantwortungsvollen Datenökonomie, in der mehr Daten geteilt werden zum Wohl von Gesellschaft und Wirtschaft."
Scholz will darüber hinaus Startups gezielter fördern. Eine Strategie dafür werde gerade erarbeitet. Geplant sei beispielsweise eine Agentur, die Hochschulen, Wirtschaft und staatliche Stellen zusammenbringen solle. "Und schließlich brauchen wir endlich eine digitale Verwaltung, und zwar auf allen staatlichen Ebenen", forderte der Regierungschef und sprach Defizite konkret an. "Es wäre von Vorteil gewesen, wenn wir in den vergangenen beiden Jahren bessere anonymisierte Gesundheitsdaten zur Verfügung gehabt hätten." Scholz will die Dauer von Verwaltungsverfahren im Durchschnitt um mindestens die Hälfte verkürzen. Bis Ende 2022 soll der gesetzliche Rahmen dafür stehen.
Kanzler will Regeln für die Internet-Konzerne
Der Bundeskanzler redete einer regulierten Digitalisierung das Wort. "Die Digitalisierung hat ganz fundamentale Auswirkungen auf unsere Gesellschaft", sagte Scholz. "Davor darf man die Augen nicht verschließen." Es gelte, fundamentale Werte von wie Freiheit und Gleichberechtigung in der digitalen Welt aufrechtzuerhalten. Er räumte allerdings auch ein, dass die Meinungen über das richtige Maß und die Ausgestaltung von Regulierung weit auseinandergingen. Darüber müsse diskutiert werden.
Konkret geht es dem Kanzler um Regeln für großen Plattformen im World Wide Web. "Auch Firmen wie Twitter, Meta, und Telegram stehen in der Verantwortung." Für Hassrede, Hetze, Aufruf zum Mord, Rassismus und Antisemitismus dürfe im Internet kein Platz sein. "Geltendes Recht muss durchgesetzt werden - auch online", forderte der Kanzler. Dafür will er staatliche Stelle besser ausbilden und ausrüsten - nicht zuletzt die Polizei.
Scholz: Märkte brauchen Regeln
Scholz lobte die Gesetzgebung in Europa wie beispielsweise den Digital Services Act. Er lasse sich als Blaupause dafür verwenden, wie es richtig gemacht werde. Der Kanzler verwies auf Debatten in den USA. Dort würden Forderungen lauter, es doch so zu machen wie in Europa. "Wir sollten daraus eine große Sache machen", schlug der Kanzler vor. Schließlich trügen solche Regeln auch dazu bei, dass sich Märkte besser entwickelten. "Es braucht einen Regelrahmen, in dem sich Märkte entfalten können."
Wie die Ampel Deutschland digitalisieren will
Zum Thema freie Rede im Netz räumte Scholz ein, dass es manchmal schwierig sei,hier die richtige Balance zu finden. "Die Lücke zwischen dem, was man sich von Angesicht zu Angesicht und was man im Netz sagen würde, wird größer." Doch der Staat dürfe nicht das Wahrheitsministerium spielen. Die Meinungsfreiheit bleibe ein hohes Gut. Der Politiker mahnte an, dass Internet-User sich ihres Verhaltens im Netz bewusst sein sollten. . Es gehe auch darum, Kindern und Jugendlichen in den Schulen Medienkompetenz beizubringen. "Es braucht eine wache, aufgeklärte Zivilgesellschaft. Demokratie braucht Diskussion und Diskurs, aber auch ethische Leitplanken."
Keine Macht den Lobbyisten
Solche Leitplanken und Regeln will Scholz auch beim Ausbau der digitalen Infrastruktur festlegen. "Weil wir in der Vergangenheit keine vernünftigen Regeln gemacht haben, haben wir heute so ein schlechtes Netz", stellte der Kanzler klar und kündigte einen flächendeckenden Glasfaserausbau bis 2030 an.
Warum es bis dato damit nicht geklappt hat, dafür machte Scholz Fehler der Vergangenheit verantwortlich. Man habe Strukturen privatisiert, aber nicht die damit einhergehende Verantwortung übertragen. "Wenn Straßen privat wären, würde es harte Gesetze geben, die sicherstellen, dass alle Orte angeschlossen werden", zog der Regierungschef einen Vergleich. Man hätte nach der Privatisierung regeln müssen, dass es eine erstklassige Qualität und einen komplette Netzabdeckung geben muss. "Mächtige Lobbygruppen haben erreicht, dass das von politischer Seite nicht klar geregelt wurde", gab Scholz zu.
Das soll sich ändern. Der Kanzler sprach von Verpflichtungen, die den Unternehmen auferlegt würden. Diese müssten Verantwortung für Qualität übernehmen. Die Gesetzgebung werde Regeln vorschreiben. Scholz nannte als Beispiel das Recht auf schnelles Internet und machte unmissverständlich klar: "Wir werden keinen davonkommen lassen."