Deutsche gelten aus Sicht anderer Nationen oft als zögerlich und skeptisch, wenn es um den Einsatz neuer Technologien geht - vor allem solchen, die zumindest auf den ersten Blick wenig mit der Automobiltechnik zu tun haben. Doch dieses Bild stimmt nicht, wie die Studie "Machine Learning / Deep Learning 2019" von IDG Research Services bestätigt. Denn mittlerweile nutzen fast zwei Drittel der Unternehmen in Deutschland Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen oder sind dabei, entsprechende Projekte aufzusetzen. Mehr als ein Fünftel der Firmen hat sogar mehrere ML-Applikationen im Einsatz.
Ein Grund dafür sind die breit gefächerten Einsatzmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen. "KI kann in nahezu jedem Bereich Nutzen stiften", erläutert Kasten Johannsen, Head of AI Acceleration Team bei Tech Data. "Die Verbesserung und Automatisierung von Prozessen sowie die Entwicklung von neuartigen Produkten und Services stehen hierbei im Vordergrund, etwa von autonomen Systemen und Sprachassistenten."
Produktionsumgebungen zählen zu den Gewinnern
Zu den Bereichen, die nach Ansicht der Teilnehmer der Studie von IDG Research Services am stärksten von KI und maschinellem Lernen profitieren können, zählen Produktion und Herstellung. Dies sehen rund 27 Prozent der befragten Fachleute so. Damit zählen Produktionsumgebungen nach dem Kundendienst und den IT-Abteilungen zu den drei größten Nutznießern der beiden Technologien.
Hier gehts zur Studie "Machine Learning/Deep Learning 2019"
Dies bestätigen Unternehmen, die Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen in Lösungen integrieren, die in Fabriken zum Einsatz kommen: "Die mit unserer IoT-Plattform kombinierbare Sprachsteuerung oder Prognoseverfahren sind Beispiele dafür, wie sich Künstliche Intelligenz und Machine-Learning-Verfahren mit einer IoT-Plattform wie sphinx open online verbinden lassen", sagt beispielsweise Siegfried Wagner, Geschäftsführer der in - integrierte informationssysteme GmbH in Freiburg. "Anwendungen wie die Fernüberwachung und Fernsteuerung einer Fabrik, wie sie die in-GmbH auf der Hannover Messe gezeigt hat, sind ohne solche 'intelligenten' IoT-Plattformen kaum denkbar."
Auch Siemens, ein Schwergewicht im Bereich Automatisierung, das zudem mit Mindsphere ebenfalls eine Plattform für das Internet of Things (IoT) anbietet, teilt diese Einschätzung: "In Verbindung mit Edge- und Cloud-Technologie eröffnet Machine Learning den Werkzeugmaschinenbauern ganz neue Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung bei der Automatisierung und Digitalisierung. Gleiches gilt auch im Umfeld von Additive Manufacturing", erläutert beispielsweise Michal Skubacz, Head of Industry Software - Motion Control bei Siemens.
Wichtig: Erfahrungen sammeln
Doch wie soll ein Unternehmen vorgehen, das in KI und ML "einsteigen" möchte? Nicht lange herumtun, sondern den Sprung in die Praxis wagen, rät Lars Schwabe, Director for Data Analytics, Artificial Intelligence and Blockchain bei Lufthansa Industry Solutions: "Unternehmen sollten einfach anfangen und Erfahrungen mit KI und Machine Learning sammeln." Schwabe weist allerdings auf einen Punkt hin, der bei der Einführung neuer IT-Technologien oft unterschätzt wird: den Faktor Mensch. Seine klare Ansage: "Unternehmen müssen die Mitarbeiter mitnehmen und Ängste vor dem 'Kollegen Computer' abbauen. KI und maschinelles Lernen sollten eher als Assistenz betrachtet werden und nicht als Bedrohung."
Allerdings verweist Schwabe auf einen Schwachpunkt hin, der nach der Erfahrung von Lufthansa Industry Solutions den Einstieg in diese Technologien erschwert: "Oft fehlt es noch an der IT-Infrastruktur, damit KI und Machine Learning den erhofften Mehrwert erzielen. Das fängt damit an, dass Unternehmen ihre Daten sauber bewirtschaften und sich um Datenschutz kümmern. Hier stehen viele tatsächlich noch am Anfang."
Datenqualität muss besser werden
Speziell was die Datenqualität betrifft, steht Schwabe mit seiner Einschätzung nicht alleine da. Denn 34 Prozent der Unternehmen stufen eine unzureichende Güte der Input-Daten als größtes Problem im Rahmen von Machine Learning ein - unabhängig von der Unternehmensgröße. Auf den folgenden Plätzen rangieren Faktoren wie die Unverständlichkeit von KI- und ML-Algorithmen (30 Prozent) sowie eine unzureichende Erfolgsmessung (23 Prozent). Nur ein schwacher Trost ist, dass die Konsolidierung und Integration von Daten aus unterschiedlichen Quellen auch in anderen Disziplinen ein Problem darstellt, etwa Big Data & Analytics.
Derzeit "füttern" Unternehmen ihre KI- und ML-Anwendungen vor allem mit Transaktionsdaten und Adressinformationen von Kunden (jeweils rund 30 Prozent). Hinzu kommen Log-Daten (23 Prozent). Noch weniger genutzt werden Maschinen- und Produktionsdaten (16 Prozent) und Informationen, die von Sensoren übermittelt werden (zwölf Prozent). Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Vernetzung von Maschinen und anderen "Dingen" wie Turbinen, Stromzählern und Systemen der Gebäudetechnik noch nicht auf breiter Basis umgesetzt wurde.
Es gibt jedoch Bereiche, in denen Machine Learning bereits heute Unternehmen einen greifbaren Nutzen bringen, so Schwabe von Lufthansa Industry Solutions. Ein Beispiel ist die Rechnungsprüfung. Große Unternehmen erhalten Tausende Rechnungen aus verschiedenen Quellen in Papierform, die gescannt, geprüft und zugewiesen werden müssen. Mit Maschinenintelligenz lernen Algorithmen selbstständig die Prüfung und Zuordnung von Rechnungen. Ein weiteres Einsatzfeld ist die Analyse von Wartungsberichten von Maschinen und Anlagen. Algorithmen erkennen beispielweise, welche Arten von Fehlern besonders häufig auftreten und unter welchen Bedingungen dies erfolgt. Solche Informationen sind für die Hersteller von Maschinen und deren Kunden relevant.
- Dieter Mayr, Senior Data Scientist bei A1 Digital
"Wichtig ist, dass Unternehmen bei Machine-Learning- und KI-Projekten auf die Hilfe von externen Experten zurückgreifen können, etwa Fachleuten von A1 Digital. Denn häufig verfügen Firmen nicht über das notwendige Fachwissen, um einen Business Case zu erstellen und vorhandene Daten in KI- oder Machine-Learning-Szenarien zu integrieren." - Siegfried Wagner, Geschäftsführer der in-integrierte informationssysteme GmbH
"Die mit unserer IoT-Plattform kombinierbare Sprachsteuerung oder Prognoseverfahren sind Beispiele dafür, wie sich Künstliche Intelligenz und Machine-Learning-Verfahren mit einer IoT-Plattform wie sphinx open online verbinden lassen, um zukunftsfähige Lösungen zu schaffen. Anwendungen wie die Fernüberwachung und Fernsteuerung einer Fabrik, wie sie die in-GmbH auf der Hannover Messe gezeigt hat, sind ohne solche 'intelligenten' IoT-Plattformen kaum denkbar." - Lars Schwabe, Director for Data Analytics, Artificial Intelligence and Blockchain bei Lufthansa Industry Solutions
"Unternehmen sollten einfach anfangen und Erfahrungen mit KI und Machine Learning sammeln. Dabei müssen sie die Mitarbeiter mitnehmen und Ängste vor dem 'Kollegen Computer' abbauen. Beide Technologien sollten eher als Assistenz betrachtet werden und nicht als Bedrohung. Allerdings mangelt es häufig noch an der IT-Infrastruktur, damit KI und Machine Learning den erhofften Mehrwert erzielen. Ein erste Schritt ist, dass Unternehmen ihre Daten sauber bewirtschaften und sich um den Datenschutz kümmern." - Wolfgang Heuring, CEO von Siemens Motion Control
"Die Studie von IDG Research Services zeigt, dass Maschinenbauer ihre Wettbewerbsfähigkeit durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Machine Learning signifikant steigern und neue Geschäftsmodelle entwickeln können. Durch die Integration solcher Zukunftstechnologien in unser Digital Enterprise Portfolio können Industrieunternehmen aller Branchen die rasant wachsende Datenmenge auf neue und weitaus umfassendere Weise nutzen. So ebnen wir den Weg für die Zukunft der Industrie." - Michal Skubacz, Head of Industry Software – Motion Control bei Siemens
"In Verbindung mit Edge- und Cloud-Technologie eröffnet Machine Learning den Werkzeugmaschinenbauern ganz neue Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung bei der Automatisierung und Digitalisierung. Gleiches gilt auch im Umfeld von Additive Manufacturing." - Karsten Johannsen, Head of AI Acceleration Team bei Tech Data
"KI kann in nahezu jedem Bereich Nutzen stiften. Die Verbesserung und Automatisierung von Prozessen sowie die Entwicklung von neuartigen Produkten und Services stehen hierbei im Vordergrund, etwa von autonomen Systeme und Sprachassistenten. Es empfiehlt sich, allerdings, dass Unternehmen mit externen Wissensträgern zusammenarbeiten. Denn zurzeit verfügen nur wenige deutsche Unternehmen über dediziertes KI-Know-how."
Hilfestellung durch Dienstleister
Doch damit sich solche positiven Effekte einstellen, ist ein Großteil der Unternehmen auf Unterstützung von außen angewiesen, betont Dieter Mayr, Senior Data Scientist bei A1 Digital: "Wichtig ist, dass Unternehmen bei Machine-Learning- und KI-Projekten auf die Hilfe von externen Experten zurückgreifen können, etwa Fachleuten von A1 Digital." Der Grund: "Häufig verfügen Firmen nicht über das notwendige Fachwissen, um einen Business Case zu erstellen und vorhandene Daten in KI- oder Machine-Learning-Szenarien zu integrieren."
Zu einer vergleichbaren Einschätzung kommt Karsten Johannsen von Tech Data: "Es empfiehlt sich, dass Unternehmen mit externen Wissensträgern zusammenarbeiten. Zurzeit verfügen nur wenige deutsche Unternehmen über dediziertes KI-Know-how." Die Kooperation mit Fachleuten von Dienstleistern hat außerdem einen weiteren Vorteil: "Unternehmen sind dadurch in der Lage, schnell und ohne hohen personellen und finanziellen Aufwand ML-Projekte umzusetzen", so der KI-Experte.
Der Studie von IDG zufolge ist eine solche Hilfestellung auf mehreren Feldern erforderlich, von der Auswahl der Daten (36 Prozent) über die Entscheidung für ein bestimmtes Machine-Learning-Modell (35 Prozent) bis hin zum Bereinigen von Datenbeständen (32 Prozent). Wurden diese Vorarbeiten abgeschlossen, fallen die weiteren Schritte leichter. So haben nur 18 Prozent der Befragten Schwierigkeiten damit, die Ergebnisse von KI- und ML-Instanzen zu interpretieren.
Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass deutsche Unternehmen ein variables Modell bevorzugen: Projekten in den Bereichen KI und Machine Learning werden zwar vorzugsweise im eigenen Haus durchgeführt. Bei Bedarf holen sich jedoch 55 Prozent der Firmen Unterstützung durch externe Dienstleister. Dies sind in erster Linie IT-Beratungshäuser (28 Prozent) und Service-Provider (27 Prozent). Auf dem dritten Platz rangieren Anbieter von IoT-Lösungen (25 Prozent).
Geschäftsmodelle noch Mangelware
Trotz der positiven Signale, die sich in der Studie von IDG Research Services zur Akzeptanz und zum Einsatz von maschinellem Lernen in Deutschland finden, gibt es Ergebnisse, die nachdenklich stimmen. Dazu zählt, dass bislang nur neun Prozent der Firmen ML in ihr Geschäftsmodell integriert haben. Das heißt, nur rund jedes zehnte Unternehmen nutzt maschinelles Lernen, um Live-Daten zu analysieren und auf Basis der Resultate automatisierte Entscheidungsprozesse zu initiieren. Zu diesem Resultat der Studie steht ein weiteres Ergebnis in Widerspruch: Mehr als ein Viertel der Unternehmen führt maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz ein, um auf deren Basis neue Produkte und Services zu entwickeln.
Doch gerade das Automatisieren von Routineaufgaben und zeitaufwendigen Prozessen ist ein Element, das im Rahmen der Digitalisierung an Bedeutung gewinnt. ML und KI wiederum liefern die Basisdaten, auf deren Grundlage sich Abläufe effizienter gestalten und neue Lösungen entwickeln lassen.
Ein Beispiel aus dem IT-Bereich ist die Analyse von Daten, die IT-Security-Systeme bereitstellen. Mithilfe von KI und ML ist es möglich, diese Informationen auf Muster zu durchsuchen, die auf Cyber-Angriffe hindeuten. Ein Sicherheitssystem kann anschließend selbstständig agieren und beispielsweise infizierte Client-Systeme vom Unternehmensnetz trennen. Ein weiteres Einsatzfeld ist die Auswertung von Maschinendaten im Rahmen der vorausschauenden Wartung (Predicitive Maintenance). Machine-Learning-Algorithmen können solche Daten auf Indikatoren durchsuchen, die auf bevorstehende Fehlfunktionen und Ausfälle hindeuten, und das Wartungspersonal informieren.
Fazit: noch etliche "Baustellen" vorhanden
Insgesamt lässt sich festhalten, dass den Ergebnissen der Studie "Machine Learning / Deep Learning 2019" von IDG Research Services zufolge deutsche Unternehmen auf einem guten Weg sind, was die Akzeptanz und den Einsatz von ML- und KI-Lösungen betrifft. Positiv ist zudem, dass sich auch kleine und mittelständische Unternehmen mit diesen Themen beschäftigen und das Feld nicht den "Großen" überlassen.
Doch es besteht kein Grund, sich entspannt zurückzulehnen. So hat offenkundig ein großer Teil der Unternehmen die strategische Bedeutung von KI und ML noch nicht erfasst. Das zeigt sich bei der mangelhaften Einbindung der beiden Technologien in neue Geschäftsmodelle. Im Vergleich zu Ländern wie China, den USA und Japan hat Deutschland in diesem Punkt einen Nachholbedarf. Zudem gilt es "handwerkliche" Probleme zu meistern, etwa bei der Aufbereitung und Integration von Datenbeständen. Kurzum, es ist noch eine Menge zu tun, damit deutsche Unternehmen nicht auf dem zukunftsträchtigen Gebiet Machine Learning und Künstliche Intelligenz abgehängt werden.
Studiensteckbrief
Herausgeber: COMPUTERWOCHE, CIO, TecChannel und ChannelPartner.
Studienpartner:
Platin-Partner: Siemens, Tech Data.
Gold-Partner: Lufthansa Industry Solutions.
Bronze-Partner: in GmbH, A1 Digital.
Grundgesamtheit: Oberste IT- und IT-Security-Verantwortliche von Unternehmen in der D-A-CH-Region: strategische (IT-)Entscheider im C-Level-Bereich und den Fachbereichen (LoBs), IT-Entscheider und IT-Spezialisten aus dem IT-Bereich.
Teilnehmergenerierung: Stichprobenziehung in der IT-Entscheider-Datenbank von IDG Business Media. Persönliche E-Mail-Einladungen zur Umfrage.
Gesamtstichprobe: 343 abgeschlossene und qualifizierte Interviews.
Untersuchungszeitraum: 31. Januar bis 2. Februar 2019.
Methode: Online-Umfrage (CAWI).
Fragebogenentwicklung: IDG Research Services in Abstimmung mit den Studienpartnern.
Durchführung: IDG Research Services.
Technologischer Partner: Questback GmbH, Köln.
Umfragesoftware: EFS Survey Fall 2018.