Strategien, Synergien und Ressourcen gesucht

"Niemand darf so blind sein, wichtige Trends zu verschlafen"

20.12.2018
Von 
Alexander Freimark wechselte 2009 von der Redaktion der Computerwoche in die Freiberuflichkeit. Er schreibt für Medien und Unternehmen, sein Auftragsschwerpunkt liegt im Corporate Publishing. Dabei stehen technologische Innovationen im Fokus, aber auch der Wandel von Organisationen, Märkten und Menschen.
In einer Studie haben IDG und die ESMT Berlin den Status quo der Digitalisierung von Hidden Champions untersucht. Ein Ergebnis: Der geringe Bekanntheitsgrad hat sich inzwischen zum echten Problem entwickelt.

Wir haben mit Bianca Schmitz und Prof. Dr. Johannes Habel, Co-Direktoren des Hidden Champions Institute an der European School of Management and Technology Berlin (ESMT), über die Ergebnisse der Studie "Hidden Champions - Champions der Digitalisierung?", die Sie hier in unserem Studienshop herunterladen können, gesprochen.

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Die Digitalisierung macht auch vor Hidden Champions nicht halt. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Erkenntnisse der Studie?

BIANCA SCHMITZ: In der Studie kommt klar zum Ausdruck, dass die meisten Unternehmen mit dem Status quo der digitalen Transformation tendenziell unzufrieden sind - und das gilt nicht nur für Hidden Champions. Der Grund sind weniger die technologischen Herausforderungen, sondern eher Defizite im Change-Management. Zudem lässt sich aus der Studie ableiten, dass eine gewisse Größe und Struktur entscheidend für den Erfolg der Digitalisierung sein kann.

Bianca Schmitz
Bianca Schmitz
Foto: ESMT Berlin

JOHANNES HABEL: Der Fortschritt bei der digitalen Transformation scheint in der Tat mit der Größe und dem Potenzial der Organisation zusammenzuhängen. Dies umfasst sowohl die Ausprägung der Strukturen als auch die freien Mittel, um in digitale Geschäftsmodelle zu investieren. Nun können derartige Vorhaben grundsätzlich immer schief gehen, aber es zeigt sich: Size matters. Wer mehr Geld in die Hand nehmen kann, der kann in der Digitalisierung weiter voranschreiten.

Johannes Habel
Johannes Habel
Foto: ESMT Berlin

Nun zählen Hidden Champions tendenziell zu den Unternehmen, die über ein solides Finanzpolster verfügen. Warum investieren sie weniger als Global Player?

SCHMITZ: Die Mehrheit der Hidden Champions sind Familienunternehmen ohne den Kapitalmarktdruck wie ein Konzern. Aber sie nehmen auch nicht so leicht Fremdkapital auf. Hinzu kommt, dass sie als Weltmarktführer selten als Vorreiter oder Pionier agieren, sondern meist als Fast Follower. Sie beobachten das Potenzial von Technologien und richten sich daran aus, ohne in Aktionismus zu verfallen. Hidden Champions investieren nicht unbedingt weniger, aber meistens anders als Konzerne.

"Druck bei Hidden Champions größer"

Nun werfen Unternehmen nicht leichtfertig ihr Geschäftsmodell über den Haufen, zumal wenn es erwiesenermaßen gut funktioniert.

HABEL: Das entbindet sie aber nicht von der Pflicht, sich zur langfristigen Sicherung der eigenen Existenz über derartige Veränderungen Gedanken zu machen. Somit ist die Transformation auch für Hidden Champions ein Thema. Niemand darf so blind sein, wichtige Trends zu verschlafen. Allerdings haben laut der Studie inzwischen viele Unternehmen erkannt, dass sie aktiv werden und ihre strategische Ausrichtung überplanen müssen. Schaut man sich die Zahlen an, ist der Druck bei Hidden Champions etwas größer, denn sie positionieren sich bei der Digitalisierung zurückhaltender als Konzerne.

Tun sich Big Player mit ihren Stabsstellen und dem "Overhead" leichter, die digitale Transformation anzuordnen und durchzusetzen?

HABEL: Gut ein Viertel der Hidden Champions verfolgt eine detaillierte, knapp die Hälfte orientiert sich an einer groben Digitalisierungsstrategie. Da sind Konzerne deutlich strukturierter aufgestellt, von der Strategie bis hinunter zu den ausgearbeiteten Einzelinitiativen. Im Gegensatz dazu kommen High-Level-Strategien bei Hidden Champions oft vom Eigentümer, der seine Vision aus der Vogelperspektive formuliert hat. Das muss dann vom Management erstmal für die Organisation ausgearbeitet werden.

SCHMITZ: Dieses Vorgehen öffnet aber gleichzeitig auch eine Chance für die Unternehmen. So können verschiedene Bereiche ihre Prioritäten gezielt an Stellen setzen, wo sie einen echten Mehrwert für das Geschäft sehen. Durch diese Flexibilität wird der Gestaltungsspielraum größer.

Laut Studie haben auch Hidden Champions Schwächen, speziell im stark ausgeprägten Silodenken und der geringen Veränderungsbereitschaft. Woher kommt das?

SCHMITZ: Hidden Champions sind oft dezentral organisiert, die einzelnen Bereiche haben relativ viel Entscheidungsfreiheit. Das ist meist historisch gewachsen. Deswegen müssen sie sich nicht so häufig übergreifend abstimmen wie Konzerne. In der Digitalisierung wird das einheitliche Vorgehen aber immer wichtiger. Speziell bei den digitalen Technologien merkt man, dass es gut wäre, mehr Synergien zu nutzen. Das fällt bei den kleinen Unternehmen stärker auf als bei Big Playern, in denen es permanent Abstimmungsrunden gibt.

HABEL: Die fehlende Veränderungsbereitschaft ist ein interessanterweise in allen Unternehmensgrößen ein großer Pain Point, auch wenn die Hidden Champions vorne liegen. Menschen verändern sich nun mal nicht gerne, doch bei der digitalen Transformation wird erwartet, dass sich Menschen sehr weitreichend verändern. Dies betrifft die Arten der Zusammenarbeit, neue Methodiken und den Einsatz neuer Technologien - das alles sorgt für Resistenzen.

Der digitale Wandelt stellt derzeit alles auf den Kopf - aber nur so kann er überhaupt erfolgreich sein.
Der digitale Wandelt stellt derzeit alles auf den Kopf - aber nur so kann er überhaupt erfolgreich sein.
Foto: Peshkova - shutterstock.com

"Firmenvertreter beklagen Strohfeuer an vielen Stellen"

Was sind Ihrer Erfahrung nach die wichtigsten Hebel für Unternehmen, um den Widerstand gegen die digitale Transformation abzubauen?

SCHMITZ: Unternehmen müssen ihre Ziele und Wege der Digitalisierung klar und transparent kommunizieren, immer und immer wieder. Auch sollte das Management in manchen Situationen ruhig offen eingestehen, dass es sich selbst nicht zu 100 Prozent sicher ist und gegebenenfalls die Richtung ändern muss. Nur so können sie die Bereitschaft der Mitarbeiter zur Veränderung wecken. Damit einher geht eine umfassende Strategie, die im Top-Management definiert und ausgestaltet wird. Firmenvertreter beklagen Strohfeuer an vielen Stellen, hier sind koordinierte Ansätze gefragt. Und nicht zuletzt müssen die Fähigkeiten zur digitalen Transformation verbessert werden. Mitarbeiter brauchen Schulungen von der Technik bis zu den Soft Skills, um neue Formen der Zusammenarbeit mit Leben zu füllen. Zudem muss die Kompetenz im Unternehmen durch die Rekrutierung von Spezialisten erweitert werden, die neue Technologien und Verfahren beherrschen.

Das ist kein Selbstläufer, viele Firmen klagen über den Mangel an IT-Spezialisten für die Digitalisierung. Inwieweit erweist sich hier das Attribut "Hidden" als Problem?

HABEL: Die Rekrutierung von Fachkräften ist definitiv die größte Herausforderung für Hidden Champions, nicht nur im Rahmen der digitalen Transformation. Allerdings weisen Hidden Champions auch eine hohe Kreativität auf. So hat Berner, ein Großhändler von Befestigungsmaterialien, den Sitz der Holding wegen der Fachkräfte von Künzelsau nach Köln verlegt, Viessmann VC/O oder das 365FarmNet von Claas sind in Berlin angesiedelt. Und Hidden Champions sind sehr gut darin, mit Hochschulen zu kooperieren oder einen kleinen Innovationscampus an einer Universität zu eröffnen. Sie gehen früh in Schulen und Vereine ihrer Region, um junge Talente zu binden, bevor diese in die Welt hinausgehen. Aber der Zugang zu digitalen Talenten bleibt eine gewaltige Herausforderung.

Was raten Sie unbekannten Unternehmen?

SCHMITZ: Wir müssen ihnen gar nicht viel raten, die Firmen öffnen sich schon und arbeiten an ihrem Employer Branding oder der Mitarbeiterzufriedenheit. Es wird viel getan und man ist zunehmend bereit, sein Image vom großen Unbekannten abzustreifen. Ein Beispiel ist das Festo Bionic Learning Network: Die haben gerade bei Absolventen extrem viel Awareness geschaffen, weil sie spannende Aufgaben und innovative Lösungen bieten.

In der Studie kam allerdings heraus, dass Hidden Champions Innovationsmethoden wie Design Thinking nur verhalten einsetzen, verglichen mit Konzernen. Kann man sich das Abwarten in der Komfortzone noch leisten?

HABEL: Im täglichen Umgang stelle ich fest, dass sich die Unternehmen auch für Design Thinking öffnen, und andere agile Methoden sind ebenfalls mehr und mehr zu finden. Hier liegt der Fokus jedoch auf den internen Veränderungen, wenn sie zum Unternehmen und den Anforderungen passen. Man muss nicht überall Innovationsmethoden einführen - manche Bereiche sind auch gut so, wie sie sind. Dies gilt besonders für Hidden Champions.

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Studiensteckbrief "Hidden Champions - Champions der digitalen Transformation?"

Autoren: Alexander Jake Freimark, Johannes Habel, Simon Hülsbömer, Bianca Schmitz, Matthias Teichmann

Grundgesamtheit: Oberste (IT-) Verantwortliche von Unternehmen in der D-A-CH-Region: strategische (IT-)Entscheider im C-Level-Bereich und den Fachbereichen (LoBs), IT-Entscheider & IT-Spezialisten aus dem IT-Bereich

Teilnehmergenerierung: Stichprobenziehung in der IT-Entscheider-Datenbank von IDG Business Media. Persönliche E-Mail-Einladungen zur Umfrage. Newsletter-Einladungen durch ESMT / Hidden Champions Institute (HCI)

Gesamtstichprobe: 248 abgeschlossene und qualifizierte Interviews*; Stichprobe 1: Hidden Champions n=82; Stichprobe 2: Mittelständische Unternehmen n=81; Stichprobe 3: Großunternehmen ("Big Player") n=82; *3 Befragte, die keine Angaben zum Umsatz gemacht haben

Untersuchungszeitraum: 23. Juli bis 28. August 2018

Methode: Online-Umfrage (CAWI)

Fragebogenentwicklung: IDG Research Services, ESMT Berlin

Analyse der wichtigsten Key Findings

Um die wichtigsten Ergebnisse der Studie zu analysieren, traf sich IDG-Research-Redakteur Simon Hülsbömer bereits direkt nach Abschluss des Projekts mit Johannes Habel und Bianca Schmitz zum Gespräch. Sehen Sie hier das Video dazu: