Wir haben mit Bianca Schmitz und Prof. Dr. Johannes Habel, Co-Direktoren des Hidden Champions Institute an der European School of Management and Technology Berlin (ESMT), über die Ergebnisse der Studie "Hidden Champions - Champions der Digitalisierung?", die Sie hier in unserem Studienshop herunterladen können, gesprochen.
Die Digitalisierung macht auch vor Hidden Champions nicht halt. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Erkenntnisse der Studie?
BIANCA SCHMITZ: In der Studie kommt klar zum Ausdruck, dass die meisten Unternehmen mit dem Status quo der digitalen Transformation tendenziell unzufrieden sind - und das gilt nicht nur für Hidden Champions. Der Grund sind weniger die technologischen Herausforderungen, sondern eher Defizite im Change-Management. Zudem lässt sich aus der Studie ableiten, dass eine gewisse Größe und Struktur entscheidend für den Erfolg der Digitalisierung sein kann.
JOHANNES HABEL: Der Fortschritt bei der digitalen Transformation scheint in der Tat mit der Größe und dem Potenzial der Organisation zusammenzuhängen. Dies umfasst sowohl die Ausprägung der Strukturen als auch die freien Mittel, um in digitale Geschäftsmodelle zu investieren. Nun können derartige Vorhaben grundsätzlich immer schief gehen, aber es zeigt sich: Size matters. Wer mehr Geld in die Hand nehmen kann, der kann in der Digitalisierung weiter voranschreiten.
Nun zählen Hidden Champions tendenziell zu den Unternehmen, die über ein solides Finanzpolster verfügen. Warum investieren sie weniger als Global Player?
SCHMITZ: Die Mehrheit der Hidden Champions sind Familienunternehmen ohne den Kapitalmarktdruck wie ein Konzern. Aber sie nehmen auch nicht so leicht Fremdkapital auf. Hinzu kommt, dass sie als Weltmarktführer selten als Vorreiter oder Pionier agieren, sondern meist als Fast Follower. Sie beobachten das Potenzial von Technologien und richten sich daran aus, ohne in Aktionismus zu verfallen. Hidden Champions investieren nicht unbedingt weniger, aber meistens anders als Konzerne.
"Druck bei Hidden Champions größer"
Nun werfen Unternehmen nicht leichtfertig ihr Geschäftsmodell über den Haufen, zumal wenn es erwiesenermaßen gut funktioniert.
HABEL: Das entbindet sie aber nicht von der Pflicht, sich zur langfristigen Sicherung der eigenen Existenz über derartige Veränderungen Gedanken zu machen. Somit ist die Transformation auch für Hidden Champions ein Thema. Niemand darf so blind sein, wichtige Trends zu verschlafen. Allerdings haben laut der Studie inzwischen viele Unternehmen erkannt, dass sie aktiv werden und ihre strategische Ausrichtung überplanen müssen. Schaut man sich die Zahlen an, ist der Druck bei Hidden Champions etwas größer, denn sie positionieren sich bei der Digitalisierung zurückhaltender als Konzerne.
- Die Digitalisierung - Packen wir's an!
Nur knapp zwölf Prozent aller Befragten geben an, dass ihre Organisation die Digitalisierung nicht oder nur in Anfängen verfolgt. Bei den anderen Unternehmen sind die Initiativen teils aufeinander abgestimmt, teils wird an Insellösungen gearbeitet. <br />Die Hidden Champions hängen dem Durchschnitt etwas hinterher, allerdings liegen sie leicht vor der Vergleichsgruppe der Mittelständler. - Besonders die Großen arbeiten en detail
Bei der Frage nach der Digitalisierungsstrategie rangieren die Big Player klar vor den mittelgroßen Unternehmen. Vor allem die „normalen“ KMUs fallen gegenüber den Großen weit ab, während die Hidden Champions den Abstand durch relativ häufige Angaben einer "groben Strategie" etwas kürzer halten können. - Durchwachsene Zufriedenheit
Insgesamt zufrieden (ungewichtet) sind 71 Prozent der Konzerne, nur knapp 51 Prozent der KMUs sowie 71 Prozent der Hidden Champions. Damit schneiden diese zumindest hier besser als der Durchschnitt ab. Die hohe Zufriedenheit könnte darauf hindeuten, dass die „Perlen der Wirtschaft“ Nägel mit Köpfen machen. - Der Wandelpfad – First Mover und Follower
Knapp ein Viertel der Big Player sehen sich als "First Mover" in Digitalisierungsfragen, aber nur 11,5 Prozent der normalen KMUs. Die Masse der Hidden Champions ordnet sich den "Fast Followern" zu - getreu dem Motto: "Wir sind nicht Pioniere der digitalen Transformation, verlieren aber keine Zeit." - Externe Prozesse – den Kunden im Blick
Bei der Frage nach den kundenseitigen Prozessen ist das Feld der Antworten überraschend geschlossen. Die Dominanz der Konzerne lässt sich hier – im Gegensatz zu den vorigen Fragen – nicht feststellen. - Einbindung der Kunden
Die Einbindung der Kunden in die Transformation wird hingegen in Big Playern mit mehr Nachdruck verfolgt. Hier liegen Hidden Champions und KMUs nicht weit auseinander. - In ausgewählten Projekten
Kleine Unternehmen, die nicht Hidden Champion sind, binden Kunden hauptsächlich nur bei isolierten Projekten ein. Daumenregel: Je größer das Unternehmen, desto enger ist die umfassende Absprache mit Kunden für die digitale Transformation. - Herausforderungen – viele Lösungen gesucht
Bei organisatorischen/strukturellen Herausforderungen liegt die Komplexität klar in Führung. Nur für KMUs ist der Druck nicht ganz so stark. Dafür leiden sie überdurchschnittlich unter unklaren Zuständigkeiten und unzureichender Kommunikation. Hidden Champions haben einen anderen Schwachpunkt: das stark ausgeprägte Silodenken. - Innovationen – Agile Thinking
Dass sich nicht nur die IT verändert, ist klar. Auch die Methoden und Vorgehensweise müssen sich dem Diktat der Digitalisierung unterwerfen. Dabei klafft bisweilen eine große Lücke zwischen kleinen und großen Unternehmen. - Fachkräfte – Nadeln im Heuhaufen
Angesichts des medialen Dauerläufers namens "Fachkräftemangel" ist es etwas überraschend, dass im Durchschnitt zwei Drittel aller Firmen der Meinung sind, zumindest eher gute Chancen für die Gewinnung der digitalen Fachkräfte zu haben. Bei Konzernen sind dies sogar über 80 Prozent. <br />KMUs hängen mit ihrer Einschätzung in Summe deutlich zurück, Hidden Champions liegen knapp unter dem Durchschnitt. - Konzerne suchen vor allem an Unis
Universitäten und Fachhochschulen sind erste Anlaufstelle auf der Suche nach frischen Skills. Hidden Champions und Big Player wildern gerne in fremden Revieren. Bei der Weiterbildung der Belegschaft liegen KMUs leicht in Front. - Die Zukunft
Die Frage nach der Zukunft und den Chancen beziehungsweise Risiken stellt das Bild der "digital fortschrittlichen" Big Player auf den Kopf. Hier ist die Sorge über den Ausgang relativ groß. Demgegenüber zeigen die KMUs Selbstbewusstsein. - Gewinner oder Verlierer?
Trotz der Sorgen sind die Konzerne bei der Frage nach den Gewinnern oder Verlierern sicher: Sie sehen ihre Organisation zu 77 Prozent eher auf der Gewinnerseite, zehn Prozentpunkte mehr als der Durchschnitt. Auch Hidden Champion schneiden hier mit 74 Prozent besser ab, während KMUs tendenziell unschlüssig sind.
Tun sich Big Player mit ihren Stabsstellen und dem "Overhead" leichter, die digitale Transformation anzuordnen und durchzusetzen?
HABEL: Gut ein Viertel der Hidden Champions verfolgt eine detaillierte, knapp die Hälfte orientiert sich an einer groben Digitalisierungsstrategie. Da sind Konzerne deutlich strukturierter aufgestellt, von der Strategie bis hinunter zu den ausgearbeiteten Einzelinitiativen. Im Gegensatz dazu kommen High-Level-Strategien bei Hidden Champions oft vom Eigentümer, der seine Vision aus der Vogelperspektive formuliert hat. Das muss dann vom Management erstmal für die Organisation ausgearbeitet werden.
SCHMITZ: Dieses Vorgehen öffnet aber gleichzeitig auch eine Chance für die Unternehmen. So können verschiedene Bereiche ihre Prioritäten gezielt an Stellen setzen, wo sie einen echten Mehrwert für das Geschäft sehen. Durch diese Flexibilität wird der Gestaltungsspielraum größer.
Laut Studie haben auch Hidden Champions Schwächen, speziell im stark ausgeprägten Silodenken und der geringen Veränderungsbereitschaft. Woher kommt das?
SCHMITZ: Hidden Champions sind oft dezentral organisiert, die einzelnen Bereiche haben relativ viel Entscheidungsfreiheit. Das ist meist historisch gewachsen. Deswegen müssen sie sich nicht so häufig übergreifend abstimmen wie Konzerne. In der Digitalisierung wird das einheitliche Vorgehen aber immer wichtiger. Speziell bei den digitalen Technologien merkt man, dass es gut wäre, mehr Synergien zu nutzen. Das fällt bei den kleinen Unternehmen stärker auf als bei Big Playern, in denen es permanent Abstimmungsrunden gibt.
HABEL: Die fehlende Veränderungsbereitschaft ist ein interessanterweise in allen Unternehmensgrößen ein großer Pain Point, auch wenn die Hidden Champions vorne liegen. Menschen verändern sich nun mal nicht gerne, doch bei der digitalen Transformation wird erwartet, dass sich Menschen sehr weitreichend verändern. Dies betrifft die Arten der Zusammenarbeit, neue Methodiken und den Einsatz neuer Technologien - das alles sorgt für Resistenzen.
"Firmenvertreter beklagen Strohfeuer an vielen Stellen"
Was sind Ihrer Erfahrung nach die wichtigsten Hebel für Unternehmen, um den Widerstand gegen die digitale Transformation abzubauen?
SCHMITZ: Unternehmen müssen ihre Ziele und Wege der Digitalisierung klar und transparent kommunizieren, immer und immer wieder. Auch sollte das Management in manchen Situationen ruhig offen eingestehen, dass es sich selbst nicht zu 100 Prozent sicher ist und gegebenenfalls die Richtung ändern muss. Nur so können sie die Bereitschaft der Mitarbeiter zur Veränderung wecken. Damit einher geht eine umfassende Strategie, die im Top-Management definiert und ausgestaltet wird. Firmenvertreter beklagen Strohfeuer an vielen Stellen, hier sind koordinierte Ansätze gefragt. Und nicht zuletzt müssen die Fähigkeiten zur digitalen Transformation verbessert werden. Mitarbeiter brauchen Schulungen von der Technik bis zu den Soft Skills, um neue Formen der Zusammenarbeit mit Leben zu füllen. Zudem muss die Kompetenz im Unternehmen durch die Rekrutierung von Spezialisten erweitert werden, die neue Technologien und Verfahren beherrschen.
Das ist kein Selbstläufer, viele Firmen klagen über den Mangel an IT-Spezialisten für die Digitalisierung. Inwieweit erweist sich hier das Attribut "Hidden" als Problem?
HABEL: Die Rekrutierung von Fachkräften ist definitiv die größte Herausforderung für Hidden Champions, nicht nur im Rahmen der digitalen Transformation. Allerdings weisen Hidden Champions auch eine hohe Kreativität auf. So hat Berner, ein Großhändler von Befestigungsmaterialien, den Sitz der Holding wegen der Fachkräfte von Künzelsau nach Köln verlegt, Viessmann VC/O oder das 365FarmNet von Claas sind in Berlin angesiedelt. Und Hidden Champions sind sehr gut darin, mit Hochschulen zu kooperieren oder einen kleinen Innovationscampus an einer Universität zu eröffnen. Sie gehen früh in Schulen und Vereine ihrer Region, um junge Talente zu binden, bevor diese in die Welt hinausgehen. Aber der Zugang zu digitalen Talenten bleibt eine gewaltige Herausforderung.
Was raten Sie unbekannten Unternehmen?
SCHMITZ: Wir müssen ihnen gar nicht viel raten, die Firmen öffnen sich schon und arbeiten an ihrem Employer Branding oder der Mitarbeiterzufriedenheit. Es wird viel getan und man ist zunehmend bereit, sein Image vom großen Unbekannten abzustreifen. Ein Beispiel ist das Festo Bionic Learning Network: Die haben gerade bei Absolventen extrem viel Awareness geschaffen, weil sie spannende Aufgaben und innovative Lösungen bieten.
In der Studie kam allerdings heraus, dass Hidden Champions Innovationsmethoden wie Design Thinking nur verhalten einsetzen, verglichen mit Konzernen. Kann man sich das Abwarten in der Komfortzone noch leisten?
HABEL: Im täglichen Umgang stelle ich fest, dass sich die Unternehmen auch für Design Thinking öffnen, und andere agile Methoden sind ebenfalls mehr und mehr zu finden. Hier liegt der Fokus jedoch auf den internen Veränderungen, wenn sie zum Unternehmen und den Anforderungen passen. Man muss nicht überall Innovationsmethoden einführen - manche Bereiche sind auch gut so, wie sie sind. Dies gilt besonders für Hidden Champions.
Studiensteckbrief "Hidden Champions - Champions der digitalen Transformation?"
Autoren: Alexander Jake Freimark, Johannes Habel, Simon Hülsbömer, Bianca Schmitz, Matthias Teichmann
Grundgesamtheit: Oberste (IT-) Verantwortliche von Unternehmen in der D-A-CH-Region: strategische (IT-)Entscheider im C-Level-Bereich und den Fachbereichen (LoBs), IT-Entscheider & IT-Spezialisten aus dem IT-Bereich
Teilnehmergenerierung: Stichprobenziehung in der IT-Entscheider-Datenbank von IDG Business Media. Persönliche E-Mail-Einladungen zur Umfrage. Newsletter-Einladungen durch ESMT / Hidden Champions Institute (HCI)
Gesamtstichprobe: 248 abgeschlossene und qualifizierte Interviews*; Stichprobe 1: Hidden Champions n=82; Stichprobe 2: Mittelständische Unternehmen n=81; Stichprobe 3: Großunternehmen ("Big Player") n=82; *3 Befragte, die keine Angaben zum Umsatz gemacht haben
Untersuchungszeitraum: 23. Juli bis 28. August 2018
Methode: Online-Umfrage (CAWI)
Fragebogenentwicklung: IDG Research Services, ESMT Berlin
Analyse der wichtigsten Key Findings
Um die wichtigsten Ergebnisse der Studie zu analysieren, traf sich IDG-Research-Redakteur Simon Hülsbömer bereits direkt nach Abschluss des Projekts mit Johannes Habel und Bianca Schmitz zum Gespräch. Sehen Sie hier das Video dazu: