Wer in der IT-Industrie tätig ist, kennt diese Situation: Während die Anbieter von Lösungen ihre neu programmierten Features über den grünen Klee loben, befinden sich viele Anwender noch im zähen Abnutzungskampf mit der Implementierung älterer Releases.
Ein ähnliches Muster zeigt sich, wenn wir diskutieren, wie sich die Digitalisierung auf unsere Arbeitswelt auswirkt. Dann bewegen sich die Zukunftsszenarien in anderen Sphären als das, was wir in unserem Alltag erleben. Da ist noch wenig agil, flexibel oder durch flache Hierarchien geprägt. Unsere Studie zu den Spannungsfeldern in Organisationen (Ambidextrie) aus dem letzten Jahr hat dies deutlich aufgezeigt: Die Mehrheit der Unternehmen bewegt sich noch in vertrautem Fahrwasser. Zwar ist der neue Wein bei ihnen angekommen, aber sie bearbeiten ihn noch in alten Schläuchen.
New Work bringt noch keinen Frühling
Daran ändert auch das Zauberwort New Work wenig. Hippe Räume, coole Architekturen und tiefschürfende Diskussionen über Selbstverwirklichung in der Arbeit machen noch keinen Frühling. Und trotzdem - das ist das Gute - bewegt sich die Arbeitswelt hin zu mehr Agilität und offeneren Kulturen.
Nicht, weil das Propagieren von New Work erste Früchte trägt. Vielmehr verändern sich Organisationen, weil sie sonst den Anschluss verlieren - sowohl an die Bedürfnisse junger Talente als auch an die ihrer Kunden. Denn agile Teams handeln durch ihre Struktur und ihre Vorgehensweisen schlicht schneller und kundennäher; Unternehmen mit offeneren Kulturen ziehen attraktivere Talente an. Es sind also nicht hehre Proklamationen der Unternehmensleitung oder aus dem HR-Bereich, die die Arbeitswelt verändern, sondern der Druck von außen. Und der wird in Anbetracht der weiteren Digitalisierung und Automatisierung weiter an Fahrt aufnehmen.
Flexibilisierung schreitet weiter voran
Bereits heute gestalten Unternehmen ihre Arbeitsstrukturen beweglicher. So ist es mittlerweile gang und gäbe, dass Mitarbeiter zeitlich und räumlich flexibel arbeiten. Hier ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Neue digitale Technologien werden ein noch flexibleres Arbeiten ermöglichen und gleichzeitig die Autonomie von Teams und Individuen forcieren. Unternehmen werden sich deshalb fragen müssen, wie sie vor diesem Hintergrund ein unternehmensweites Gemeinschaftsgefühl entwickeln können.
- Michael Kelch, Regional Vice President of Sales bei ASG
“Die Diskussion um den Arbeitsplatz der Zukunft lässt sich mit PPT zusammenfassen: People, Process, Technology!“ - Nils Becker-Birck, Client Solutions Commercial Business Lead Germany bei Dell
„Mein Team ist komplett remote – und ich höre oft die Frage: Wie führst du dein Team, wenn die Leute nicht da sind? Ein Team erfolgreich remote zu führen, hat viel mit Vertrauen zu tun, und damit, die Kollegen mit den richtigen IT-Systemen und Arbeitsmitteln auszustatten. Der Erfolg von Dell im deutschen PC-Markt zeigt, wie gut das funktioniert.“ - Carsten Mickeleit, CEO von Cortado
„Ich frage jeden, der zum Beispiel mit zwei Telefonen hantiert: wozu brauchst du zwei Telefone? Die Antworten sind leider nicht homogen.“ - Oliver Hoffmann, Regional VP Sales DACH bei Unit4
„Am Arbeitsplatz der Zukunft brauchen Mitarbeiter die Eigenverantwortung, Arbeitszeit und –ort flexibel zu gestalten. Aber das Management muss ihnen diese Souveränität auch zugestehen.“ - Manfred Stetz, Managing Director bei United Planet
„Der Arbeitsplatz der Zukunft verändert die Führungskultur. Es geht zunehmend um Führen nach Zielen. Das Ergebnis ist wichtig, nicht, dass die Leute den ganzen Tag am Platz sind.“ - Hans-Jürgen Jobst, Senior Product Marketing Manager bei Avaya
“Unsere Kunden führen Prototyping auf einer Open-Space-Fläche durch. Dabei zeigt sich zum Beispiel, wie hoch die Lärmbelästigung ist. Das ist ein guter Weg.“
Auch auf einer anderen Ebene wird es flexibler werden: Die Projektwirtschaft wird künftig noch stärker unseren Arbeitsalltag prägen. Immer mehr Themen werden in interdisziplinären Teams bearbeitet - zu Lasten der klassischen Linienorganisation.
Lernen und Arbeiten verschmelzen
In unseren Biografien fand Bildung und Lernen meist vor unserem Berufsleben statt. Sicher haben wir regelmäßig Seminare besucht. Aber das dort Gelernte in die Arbeitswelt zu transferieren, ist selten gelungen. Aufgrund der ständigen Umwälzungen rücken Arbeit und Lernen nun zusammen. Nur auf diese Weise halten wir unsere Beschäftigungsfähigkeit auf dem Laufenden. Lernen vollzieht sich dabei immer stärker über learning by doing, im konkreten Arbeitsalltag, nicht losgelöst davon. Dies beinhaltet, über pluralistisch besetzte Teams den Umgang mit unterschiedlichen Kompetenzen und Sichtweisen als gemeinsames Lernen zu begreifen.
Nicht nur Erwerbsarbeit ist Arbeit
Natürlich wissen wir nicht, wie die Arbeitswelt in 20 Jahren aussehen wird. Wenn digitale und automatisierte Abläufe unsere Rolle in der Arbeitswelt verändern, werden wir künftig vielleicht einen allumfassenderen Begriff von Arbeit entwickeln. Herkömmliche Erwerbsarbeit ist dann nur noch ein Element unseres Verständnisses von Arbeit. In Zukunft werden wir soziale Arbeit in der Familie oder in unserer Nachbarschaft genauso wie Ehrenämter oder gesellschaftliches Engagement in den Begriff Arbeit integrieren.
Ungeachtet dieses Szenarios sollten wir die "alte" Erwerbsarbeit mehr denn je aktiv gestalten und sie nicht den Investitionsentscheidungen einiger Unternehmen überlassen. Wie wir das Verhältnis zwischen uns Menschen auf der einen Seite und KI-Lösungen sowie Big-Data-Maschinen auf der anderen Seite entwickeln, sollten wir als Gesellschaft entscheiden.
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