Kampf gegen COVID-19

Mit Handy-Ortung gegen das Coronavirus

20.03.2020
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
In Deutschland überlegt das Robert-Koch-Institut (RKI), via Handy-Tracking mögliche Kontaktpersonen von Corona-infizierten Personen zu ermitteln. Kritiker halten das Verfahren für technisch unausgereift und rechtlich schwierig.
Die Idee, via Handy-Tracking die Wege von infizierten Personen nachzuvollziehen und so mög­liche Kontaktpersonen zu ermitteln, scheint auf den ersten Blick schlüssig. Doch es gibt technische und rechtliche Bedenken. Eine Möglichkeit könnte sein, Betroffene zu bitten, ihre Standortdaten freiwillig zur Verfügung zu stellen.
Die Idee, via Handy-Tracking die Wege von infizierten Personen nachzuvollziehen und so mög­liche Kontaktpersonen zu ermitteln, scheint auf den ersten Blick schlüssig. Doch es gibt technische und rechtliche Bedenken. Eine Möglichkeit könnte sein, Betroffene zu bitten, ihre Standortdaten freiwillig zur Verfügung zu stellen.
Foto: PST Vector - shutterstock.com

Menschen sollen in Zeiten der Coronavirus-Pandemie soziale Kontakte meiden und möglichst zu Hause bleiben. Um zu überwachen, ob sich die Bevölkerung an die Maßgaben der Regierungen hält, setzen verschiedene Staaten unter anderem auf das Tracking von Handy-Daten. Beispielsweise liefert der österreichische Mobilfunkanbieter A1 anonymisierte Bewegungsdaten seiner Kunden an die politisch Verantwortlichen in Wien. Diese Informationen sollen dabei helfen, festzustellen, ob sich die Menschen an die Ausgangssperre halten. Mithilfe von Algorithmen lassen sich Bewegungsströme von Menschengruppen berechnen und visualisieren.

Die Daten würden dabei anonymisiert, versichert das Startup Invenium, das die Technik entwickelt hat. Die Gruppengrößen werden in 20er-Schritten erfasst und gemessen. Ursprünglich hat ­Invenium sein Analyse-Tool entwickelt, um etwa die typischen Wege von Touristengruppen rund um Sehenswürdigkeiten zu ermitteln. Laut einem Bericht der "Kronenzeitung" haben die Österreicher ihren Bewegungsradius bereits im Mittel um 40 bis 50 Prozent eingeschränkt.

Standortinformationen via Handy-Ortung zu nutzen, ist im Sinne des Datenschutzes nur dann zulässig, wenn die Daten vollständig anonymisiert sind und keine konkreten Personenbezüge hergestellt werden können. In Deutschland reichen die Überlegungen allerdings ein ganzes Stück weiter. Lothar Wieler, der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI) hält die Auswertung von Handydaten für ein probates Mittel, um die Ausbreitung des Coronavirus hierzulande messen und eindämmen zu können.

Dieses Vorgehen sei technisch und datenschutzrechtlich möglich, sagte Wieler in Berlin. Die Arbeit der Gesundheitsämter ließe sich damit enorm unterstützen und beschleunigen, beispielsweise um mögliche Kontaktpersonen eines Coronavirus-infizierten Patienten zu ermitteln. Bis dato müsste dies aufwendig durch Gespräche mit den Betroffenen eruiert werden. Wieler zufolge arbeitet das RKI seit Anfang März an einer entsprechenden Lösung zur Handy-Ortung. Auch das Fraunhofer-Institut sowie das Gesund­heitsministe­rium sollen involviert sein.

Anonymisierte Kundendaten vs. COVID-19

Mittlerweile scheint es so, dass die Deutsche Telekom anonymisierte Handydaten ihrer Kunden an das RKI weitergegeben hat. Damit sollen Bewegungsströme von Menschen in Deutschland nachvollzogen werden, um eine Ausbreitung des Coronavirus simulieren zu können, hieß es in einem Bericht des "Tagesspiegel". Die Daten gäben Aufschluss über den Zeitpunkt des Verbindungsaufbaus und den entsprechenden Mobilfunkmast. Damit ließen sich Bewegungen von Nutzern analysieren und nachverfolgen.

Tagesaktuelle Informationen, wie die ITK-Branche mit der Coronakrise umgeht, finden Sie hier

Ein Datensatz soll gebündelte Informationen von etwa 30 Benutzern enthalten, hieß es in dem Bericht. Die Daten seien also wie in Österreich nach Personengruppen aufgeschlüsselt. Ein Tracking einzelner Personen finde aber nicht statt. Vielmehr würden anonymisierte Standortdaten der Mobilfunknutzer weitergegeben. Alle Maßnahmen zur Anonymisierung seien mit den Datenschutzbehörden abgestimmt.

Experten sind allerdings skeptisch. Technisch gesehen sei eine Lokalisierung in einer Mobilfunkzelle unpräzise. Auf dem Land umfassten die einzelnen Zellen größere Flächen, sodass sich nicht sicher sagen lasse, ob jemand in der gleichen Funkzelle wirklich Kontakt zu einem Infizierten gehabt hat. In Ballungsräumen ­seien die einzelnen Zellen kleiner, allerdings hielten sich dort in aller Regel deutlich mehr Menschen im gleichen Radius um einen Funkmast herum auf, so dass es auch dort schwierig sei, konkrete Kontaktpersonen zu ermitteln.

Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, warnt vor rechtlichen Hürden bei der Datenweitergabe.
Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, warnt vor rechtlichen Hürden bei der Datenweitergabe.
Foto: Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktioin/Stefan Kaminski

Konstantin von Notz, Innenexperte der Bundestagsfraktion der Grünen, verwies gegenüber der "Deutschen Welle" zudem auf recht­liche Hürden: "Ein Zugriff auf diese Daten ist rechtlich beinahe ausgeschlossen und unterliegt vollkommen zu Recht hohen Hürden." Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber warnte vor Eingriffen in die Privatsphäre der Bürger.

Nützlicher Helfer in der Coronavirus-Krise?

Der Europaabgeordnete und Bürgerrechtler Patrick Breyer von der Piratenpartei kritisierte Telekommunikationsanbieter wie die Deutsche Telekom und die österreichische A1 scharf für die massenhafte Herausgabe von Bewegungsdaten in der Coronavirus-Krise: "Die Bewegungen der kompletten Bevölkerung vermeintlich anonymisiert zu überwachen schützt niemanden vor Infektion, erlaubt aber eine bisher ungekannte Massenüberwachung."

Hier drohe ein Präzedenzfall zur Massenkontrolle nicht-öffentlicher Zusammenkünfte und Begegnungen geschaffen zu werden, die etwa zur vertraulichen Planung politischer Aktivitäten und Aktionen sehr wichtig sein können. "Was jetzt als Forschungsprojekt anfängt, wird in den Händen einer nationalistischen Regierung zur Massenüberwachungswaffe und zum brandgefährlichen Verfolgungsinstrument."

Für Patrick Breyer von der Piratenpartei droht das Smartphone zur elektronischen Fußfessel zu werden.
Für Patrick Breyer von der Piratenpartei droht das Smartphone zur elektronischen Fußfessel zu werden.
Foto: Oliver Franke / Patrick Breyer

Breyer warnte vor einer automatisierten Meldung von Einzelpersonen wegen "auffälligen Verhaltens": "Als Nächstes werden Menschen nach Blockwart-Art wegen ihrer Bewegungen und Kontakte zum 'Infektionsrisiko' erklärt. Das Smartphone droht auch zur elektronischen Fußfessel zu werden, zum Feind in unserer Wohnung, obwohl wir doch darauf angewiesen sind. Ein Generalverdacht gegen die eigene Bevölkerung macht totalitäre Systeme wie China aus und ist in einer Demokratie inakzeptabel! Unter ständiger Überwachung sind wir nicht mehr frei."

In anderen Ländern ist man da weniger zimperlich: So haben die Behörden in China und Südkorea infzierte Menschen via Handy-Ortung getrackt, um über Bewegungsprofile potenzielle Kontaktpersonen auszumachen. Auch die Regierung in Israel hat auf der Basis von Notstandsgesetze bereits angeordnet, mit dem Coronavirus infizierte Personen via Handy-­Ortung zu überwachen, um herauszufinden, ob Quarantäne-Anordnungen eingehalten werden, und um Kontaktpersonen vor einer möglichen Infektion zu warnen.