Entvölkerte Landstriche, ausgestorbene Dörfer, eine vergreiste Landbevölkerung? Sieht so die Zukunft weiter Teile Deutschlands aus? Nein, zumindest nicht, wenn es nach den Forschern vom Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE geht. Unter dem Stichwort Smart Rural Areas suchen die Forscher nach Lösungen, das ländliche Leben attraktiver zu gestalten. Dabei geht es den Wissenschaftlern des IESE aber nicht darum, neue Wege des Breitbandausbaus aufzuzeigen. Sie wollen vielmehr zeigen, wie sich mit Hilfe moderner IT auch auf dem Land Services realisieren lassen, die normalerweise unrentabel wären.
Der Paketbus kommt
Mit solchen Dienstleistungen, so die Hoffnung der Forscher, könnte das Leben auf dem Land wieder an Attraktivität gewinnen. Ein passendes Beispiel hat denn auch Professor Peter Liggesmeyer, GI-Präsident und geschäftsführender Leiter des Fraunhofer-Instituts für Experimentelles Software Engineering in Kaiserslautern, parat: den Linienfrachtbus. „Dahinter steht die Idee, zwei Systeme, den Linienbus und den Paketdienst zusammenzubringen“, erklärt Liggesmeyer, „die für sich allein auf dem Land nur selten profitabel sind.“ Dabei soll der Linienbus künftig in der Stadt vom Paketdienst die zu transportierenden Waren übernehmen und dann an den Haltestellen seiner Tour die Pakete etwa in Paketboxen deponieren. Dort könnten sie wiederum Autofahrer bei der Fahrt nach Hause aufnehmen und dann bei den Nachbarn abgeben.
Was auf den ersten Blick für viele wie ein organisatorischer Overkill aussehen mag, ist in den Augen Liggesmeyer durchaus zu bewältigen, „und zwar mit moderner Software.“ Diese müsste teilweise nicht einmal neu geschrieben werden, wenn die Beteiligten bereit wären, ihre Schnittstellen zu öffnen. Dann wüsste der Paketdienst etwa, wann und an welcher Haltstelle Bus Y nach X abfährt und könnte so sein Paket pünktlich ohne Zeitverlust zum Weitertransport anliefern. In X angekommen, könnte das Bussystem den nächst erreichbaren Autofahrer über das zur Abholung bereitliegende Paket benachrichtigen.
Medizinischer Notruf der Zukunft
Ein anderes großes Thema ist für Liggesmeyer die medizinische Versorgung im Notfall auf dem Land. „Wie stellen Sie sicher, dass jemand überhaupt mitbekommt, dass eine alleinlebende Person einen medizinischen Notfall hat“, fragt der Wissenschaftler. Den Hinweis auf die bereits erhältlichen Hausnotrufsysteme lässt Liggesmeyer nicht gelten. „Was passiert, wenn das Gerät im Notfall gerade in einem anderen Raum liegt oder ein Schlaganfallpatient es nicht mehr bedienen kann“, gibt er zu bedenken.
Der Fraunhofer-Forscher regt deshalb einen anderen Ansatz an. Warum nicht die Räume mit unaufdringlichen, immer günstigeren Sensoren überwachen? Wenn die Software dann einen verdächtigen Bewegungsablauf (etwa ein Umkippen) oder gar keine Bewegung wahrnimmt, könnte sie einen Alarm auslösen. Bedenken, dass dabei die Privatsphäre auf der Strecke bleiben könnte hat Liggesmeyer nicht, „denn man könne ja die Software und Sensorik so gestalten, dass es reicht Bewegungen, aber keine Körperkonturen zu erkennen“.
Beispiele wie diese lassen sich viele finden, um das Leben auf dem Land attraktiv zu gestalten. So könnten etwa autonome Fahrzeuge die Mobilität auf dem Land sicherstellen und etwa ein Carsharing realisierbar machen. Ebenso könnte sich mancher Facharztbesuch in der Stadt erübrigen, wenn der Kollege vor Ort mit Hilfe moderner Technik den Spezialisten in der Stadt zur Ferndiagnose konsultiert. Letztlich, so Liggesmeyer, müsse vieles nicht neu erfunden werden, „sondern es geht darum vorhandene Systeme miteinander intelligent zu vernetzen, so dass ein Mehrwert entsteht“.
Security versus Safety
Allerdings gibt es dabei dem Wissenschaftler zufolge ein Grundproblem: Das Spannungsfeld zwischen Security und Safety. Während Security primär auf die Datensicherheit aus IT-Sicht abzielt, definiert Safety die Sicherheit unter Aspekten der Betriebssicherheit. Und wenn diese beiden Bereich nun in den vernetzten Szenarien zusammenkommen, seien neue Lösungen gefragt, da ein Sicherheitsproblem in einem Bereich nun direkt Auswirkungen auf den anderen Bereich hat. Um diese Wechselwirkungen besser zu verstehen ist laut Liggesmeyer noch viel Forschung und Entwicklung erforderlich, „denn sonst funktioniert auch das Thema Industrie 4.0 nicht ausfallsicher“.
Des Weiteren sieht er noch ein rechtliches Problem. Heute würden Systeme (egal ob Auto, oder Maschinen) mit einem Ist-Zustand zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme, in einer Abnahme zertifiziert. Danach ändere sich an den Systemen – vom Verschleiß einmal abgesehen – in der Regel nichts mehr. Bei den neuen autonomen Systemen sei das dagegen ganz anders, da diese während des Betriebs dazu lernen und sich so ihr Reaktionsverhalten ständig ändere. In letzter Konsequenz müssten diese Systeme zur Laufzeit ständig neu zertifiziert werden. Ein Umstand, der ebenfalls für das Thema Industrie 4.0 gelte.
Mehr Informationen zum Thema „Smart Rural Areas“ finden Sie vom 16. bis 20. März auf der CeBIT in Hannover auf dem Stand der Fraunhofer-Gesellschaft (Halle 9, Stand E40).