Kooperation mit der Konkurrenz soll besser werden

Microsoft räumt Fehlverhalten im Cloud-Markt ein

23.05.2022
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Microsoft will Streit mit den Kartellbehörden vermeiden und kündigte an, die Beschwerden der Cloud-Konkurrenz ernst zu nehmen und künftig besser zu kooperieren.
Microsoft kommt Kartellbehörden und Wettbewerbern entgegen und will seine Geschäftspraktiken in der Cloud verändern.
Microsoft kommt Kartellbehörden und Wettbewerbern entgegen und will seine Geschäftspraktiken in der Cloud verändern.
Foto: solarseven - shutterstock.com

Das Eingeständnis kam durchaus überraschend. Die Microsoft-Verantwortlichen räumen ein, dass ihre Softwarelizenzierungspraktiken kleinere Cloud-Anbieter in Europa benachteiligen und geloben Besserung. "Als großer Technologieanbieter sind wir uns unserer Verantwortung bewusst, ein gesundes Wettbewerbsumfeld und die Rolle, die vertrauenswürdige lokale Anbieter bei der Erfüllung der technologischen Anforderungen unserer Kunden spielen, zu unterstützen", schrieb Brad Smith, President und Vice Chair von Microsoft, in einem Blog-Beitrag.

Im vergangenen Jahr hatten sich die europäischen Cloud-Anbieter OVHCloud und Nextcloud bei den Kartellbehörden über Microsofts Geschäftsgebaren beschwert. Der französische Cloud-Anbieter OVHCloud kritisierte die Art und Weise, wie Microsoft Produkte wie zum Beispiel die Office-Produktivitäts-Suite lizenziert, berichtete das "Wall Street Journal" (WSJ) Mitte März dieses Jahres. Microsoft könne seine eigenen Softwareprodukte in der Azure-Cloud immer günstiger anbieten als die Cloud-Wettbewerber, zitiert das US-Medium Personen, die mit der Beschwerde vertraut seien. Zudem würde Microsofts Software in den Clouds anderer Anbieter nicht so gut funktionieren, was den Wettbewerb zusätzlich behindere. "Durch den Missbrauch seiner marktbeherrschenden Stellung untergräbt Microsoft den fairen Wettbewerb und schränkt die Wahlmöglichkeiten der Verbraucher auf dem Markt für Cloud-Dienste ein", sagte eine Sprecherin von OVHcloud dem WSJ.

Im November 2021 beklagte sich das deutsche Cloud-Unternehmen Nextcloud beim Bundeskartellamt über Microsofts Praktiken des Product Bundling. Nextcloud forderte, dass die Kartellwächter prüfen sollen, ob Microsoft eine marktbeherrschende Stellung einnimmt, berichtete das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Vor allem die Koppelung von Tools wie Teams und OneDrive mit anderen Lösungen behinderten den Wettbewerb, so der Vorwurf. Microsoft habe ein "einzigartiges digitales Ökosystem über mehrere strategisch wichtige Märkte im digitalen Sektor" geschaffen, zitierte das Blatt Nextcloud-Gründer Frank Karlitschek. Dies führe zu einer "schwer angreifbaren Stellung von Microsoft für Wettbewerber". Der Softwareriese missbrauche seine Windows-Monopolstellung, um die eigenen Cloud-Services in den Markt zu drücken.

Microsoft gelobt Besserung

Smith gab nun zu, dass einige dieser Vorwürfe zuträfen und versprach, die eigenen Geschäftspraktiken zu überarbeiten. Anlässlich einer Reise nach Brüssel kündigte der Microsoft-Manager zwei Initiativen an. Der Softwarekonzern verkündete fünf Prinzipien, die künftig für das Cloud-Geschäft in ganz Europa gelten sollen. Diese Grundsätze dienten als Richtschnur für alle Aspekte des Cloud-Geschäfts, erhöhten die Transparenz für die Öffentlichkeit und würden Microsoft helfen, den Technologiebedarf Europas besser zu decken. Microsoft verspricht:

  1. Wir werden sicherstellen, dass unsere öffentliche Cloud den Bedürfnissen Europas entspricht und die europäischen Werte unterstützt.

  2. Wir werden sicherstellen, dass unsere Cloud eine Plattform für den Erfolg europäischer Softwareentwickler bietet.

  3. Wir werden mit europäischen Cloud-Anbietern zusammenarbeiten und sie unterstützen.

  4. Wir werden Cloud-Angebote bereitstellen, die den Anforderungen der europäischen Regierungen entsprechen und zwar in Kooperation mit lokalen, vertrauenswürdigen Technologieanbietern.

  5. Wir erkennen an, dass die europäischen Regierungen die Technologie regulieren, und wir werden uns an diese Bemühungen anpassen und sie unterstützen.

Microsoft kündigte außerdem eine neue Initiative zur Unterstützung europäischer Cloud-Anbieter an. Diese sollen künftig leichter Microsoft-Produkte in ihren eigenen Cloud-Infrastrukturen hosten können. Dadurch würden die europäischen Cloud-Anbieter wettbewerbsfähiger, hieß es von Seiten des US-Softwareherstellers.

Opfer von Friendly Fire in Microsofts Wettbewerb mit Amazon

Smith zufolge habe es in den zurückliegenden Wochen etliche Video-Meetings mit Vertretern europäischer Cloud-Anbieter, Verbänden und den Regulierungsbehörden gegeben. Dem CEO eines europäischen Cloud-Providers gegenüber will Smith beteuert haben, man sei bestrebt, aus einer langen Liste von Problemen eine kürzere zu machen. Der Microsoft-Mann berichtete ferner von einem CEO, der gesagt habe, er fühle sich als Opfer von Friendly Fire in Microsofts Wettbewerb mit Amazon. "Es war hart, das zu hören", sagte Smith, "aber er hatte Recht." In den vergangenen Jahren habe sich Microsoft zu sehr auf den Wettbewerb mit den größten Technologieanbietern fokussiert. Das habe dazu geführt, dass der Konzern die Auswirkungen auf die eigenen Cloud-Provider-Partner aus den Auge verloren habe. "Wir nehmen ab heute Änderungen vor, um dies zu ändern", versprach Smith.

Brad Smith, President von Microsoft, will die Wogen glätten und betonte wie wichtig ein wettbewerbsfähiges Umfeld auch mit kleineren Anbietern sei.
Brad Smith, President von Microsoft, will die Wogen glätten und betonte wie wichtig ein wettbewerbsfähiges Umfeld auch mit kleineren Anbietern sei.

"Wir erkennen an, dass es wichtig ist, ein wettbewerbsfähiges Umfeld auf dem europäischen Markt für Cloud-Anbieter zu unterstützen, in dem kleinere Wettbewerber die Möglichkeit haben, zu gedeihen", schreibt Smith in seinem Blog. "Ich persönlich bin mir der Bedeutung dieser Fragen bewusst, da ich fast ein Jahrzehnt lang die Arbeit von Microsoft zur Lösung seiner rechtlichen Probleme in der EU geleitet habe, wobei der letzte Fall im Jahr 2009 abgeschlossen wurde." Microsoft bleibe sich seiner Verantwortung als großes Technologieunternehmen bewusst.

Time to make Peace

Smith weiß ein Lied davon zu singen, was es heißt, sich mit den Kartellbehörden anzulegen. Der Manager, der seit 1993 bei Microsoft arbeitet, hat die Browserkriege in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts miterlebt, als Microsoft von allen Seiten dafür kritisiert wurde, Produkte wie den Web-Browser Internet Explorer oder seinen Media-Player mit dem Betriebssystem Windows zu koppeln - aus Sicht der Wettbewerbshüter eine massive Benachteiligung der Konkurrenz. Sogar eine Aufspaltung von Microsoft stand damals zur Diskussion.

Als Chef-Justiziar war Smith im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends maßgeblich daran beteiligt, die Streitigkeiten beizulegen. Er handelte Kompromisse mit Konkurrenten wie AOL und Sun Microsystems aus und führte die Verhandlungen mit Kartellbehörden in den USA und Europa. Legendär soll seine Bewerbung für die Mission gewesen sein. Smiths Präsentation 2001 hatte nur eine Folie, auf der stand: "Zeit Frieden zu schließen - time to make peace". Da konnten auch die Microsoft-Leader Bill Gates und Steve Ballmer, die selten einem Streit aus dem Weg gingen, nicht widersprechen.

Satya Nadella vollzieht Kulturwandel bei Microsoft

Unter dem neuen Microsoft-Chef Satya Nadella, der den Konzern seit 2014 führt, hat eine neue Ära begonnen, die auf mehr Offenheit und Kooperation setzt. Das Image des Konzerns hat sich in den vergangenen Jahren deutlich zum Besseren gewandelt, die Zeiten des Krawalls sind vorbei. Das will Smith nicht gefährden. Zumal gerade jetzt die Kartellbehörden in Europa den großen Internet-Konzernen genauer auf die Finger schauen wollen. Mit dem "Digital Services Act" (DSA) soll ein neues Regelwerk aufgestellt werden, wie Online-Dienste im Web agieren dürfen. Je größer der Anbieter, desto schärfer die Regeln. Das betrifft vor allem auch Microsoft.

Mit Satya Nadella als CEO zog ein neuer Stil bei Microsoft ein - offener und kooperativer.
Mit Satya Nadella als CEO zog ein neuer Stil bei Microsoft ein - offener und kooperativer.
Foto: Microsoft

Smith will eine Konfrontation vermeiden und steuert gegen. In seinem Blog kündigt der Manager eine neue Initiative an, um besser mit den kleineren europäischen Cloud-Anbietern zusammenzuarbeiten. Im Rahmen des Microsoft Cloud Solution Provider Programms will der Konzern anderen Anbietern bessere und flexiblere Möglichkeiten offerieren, Microsoft-Produkte wie Windows und Office zu lizenzieren und in der eigenen Cloud anzubieten und zu betreiben. Beispielsweise sollen Preise langfristiger kalkuliert werden können. Das gebe Anbietern wie Kunden mehr Preisstabilität und Sicherheit.

Microsoft will Lizenzierung seiner Produkte vereinfachen

Smith kündigte außerdem an, die Lizenzierung zu vereinfachen. Microsoft will sich künftig an den Fair Software Licensing Principles orientieren, die die europäischen Anwenderorganisationen CIGREF und CISPE erarbeitet haben. Lizenzbedingungen sollen klarer formuliert werden. Kunden könnte so einfacher die auf sie zukommenden Kosten ermitteln, verspricht der Microsoft-Manager. Lizenzen sollen zudem mobiler werden und sich leichter zwischen verschiedenen Clouds portieren lassen. Darüber hinaus soll die Kopplung bestimmter Lizenzen an die darunter liegende Hardware wie beispielsweise in virtuellen Umgebungen gelockert werden.

Ein spezielles Team werde sich künftig um die Zusammenarbeit zwischen Microsoft und europäischen Cloud-Anbietern kümmern, sagte Smith und verwies auf die eigenen Cloud-Anstrengungen in Europa. Derzeit gebe es dort 17 Data-Center-Regionen, beziehungsweise würden gerade gebaut. Allein in den vergangenen beiden Jahren habe Microsoft rund 12 Milliarden Dollar in den Cloud-Ausbau in Europa investiert. "Aber es geht nicht nur um den hohen Betrag, den wir ausgeben", versicherte der Manager. "Es geht darum, wie wir sie ausgeben. Wir versuchen nicht, alle Dienstleistungen zu kopieren, die andere Technologieunternehmen anbieten, oder in Geschäfte einzusteigen, die mit unseren Kunden konkurrieren."

Microsoft - alter Kunde bei den Wettbewerbsbehörden

Das werden die Kartellbehörden sicher genau beobachten. Man müsse die Kontrolle sehr ernst nehmen, sagte erst kürzlich der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, dem "Handelsblatt". Mundt warnte vor einem Kippen der Märkte und nannte als Beispiel die Erlaubnis für Facebook, mit dem Kauf von Instagram und Whatsapp sein Imperium auszubreiten. "Weltweit läuft die Gesetzgebungsmaschinerie zur Sicherung des Wettbewerbs." Gerade den Cloud-Markt haben die deutschen Kartellbehörden auf dem Schirm. Mit Verweis auf die Beschwerden der europäischen Cloud-Provider sagte Mundt: "Microsoft ist ein alter Kunde der Wettbewerbsbehörden."