Rechnen mit Licht

Microsoft forscht an einem optischen Computer

29.06.2023
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Eine neuer Computertyp von Microsoft soll Rechenprobleme in Lichtgeschwindigkeit lösen. Erste Tests mit Aufgaben aus dem Bankenumfeld seien vielversprechend gelaufen, hieß es.
Microsofts AIM rechnet in Lichtgeschwindigkeit und soll Probleme lösen können, an denen klassische Rechnerarchitekturen heute noch scheitern.
Microsofts AIM rechnet in Lichtgeschwindigkeit und soll Probleme lösen können, an denen klassische Rechnerarchitekturen heute noch scheitern.
Foto: Chris Welsch / Microsoft

Microsoft hat gemeinsam mit Forschern am Research Lab in Cambridge, Großbritannien, die Analog Iterative Machine (AIM) entwickelt. Der optische Computer verwendet, anders als typische binäre Rechner, unterschiedliche Intensitäten von Licht, um Berechnungen direkt am Speicherort von Informationen vorzunehmen.

Die Entwickler beschreiben AIM als einen analogen optischen Computer, der Photonen und Elektronen verwendet, um Daten mit kontinuierlichen Werten zu verarbeiten. Die Architektur sei komplett anders als die von digitalen Computern, die Transistoren verwenden, um binäre Daten zu verarbeiten. Das Team des Research Lab geht davon aus, dass fortgeschrittene Versionen von AIM die Geschwindigkeit von Binärrechnern um das Hundertfache übertreffen werden.

AIM soll schwierige Optimierungsprobleme bearbeiten. Gerade wenn die Zahl der Variablen steigt, stoßen digitale Computer an ihre Grenzen und haben Schwierigkeiten, diese Probleme zeitnah, energieeffizient und kostengünstig zu lösen. Das liege daran, dass die Anzahl der möglichen Kombinationen mit der Größe des Problems exponentiell ansteige, beschreiben die Forscher die Ausgangssituation.

Als Beispiel nennen sie einen Handelsreisenden, der auf seine Tour durch verschiedene Städte die effizienteste Route finden will, ehe er an seinen Ausgangspunkt zurückkehrt. Bei fünf Städten gibt es zwölf mögliche Routen, doch schon bei 61 Städten übersteigt die Zahl der Routen die der Atome im Universum.

Rechnen mit Photonen

Bei AIM handelt es sich zwar noch um ein Forschungsprojekt, doch die ersten Ergebnisse sollen vielversprechend sein. Das Team habe vor kurzem die weltweit erste opto-elektronische Hardware für gemischte - kontinuierliche und binäre - Optimierungsprobleme zusammengestellt, schreibt Hitesh Ballani, Microsoft-Forscher in Cambridge, in einem Blog-Beitrag. Alle Komponenten passten in ein kleines Rack-System. Dazu komme, dass die verwendeten Technologien bereits weit verbreitet seien. Das habe Entwicklung und Bau des neuartigen Computers vereinfacht, so der Entwickler.

AIM verarbeitet eine massiv parallele Vektor-Matrix-Multiplikation unter Verwendung handelsüblicher optischer Technologien (hinten) und Nichtlinearität unter Verwendung analoger Elektronik (vorne). Der Vektor wird durch ein Array von Lichtquellen dargestellt, die Matrix in das Modulator-Array eingebettet (in Graustufen dargestellt) und das Ergebnis im Kamerasensor gesammelt.
AIM verarbeitet eine massiv parallele Vektor-Matrix-Multiplikation unter Verwendung handelsüblicher optischer Technologien (hinten) und Nichtlinearität unter Verwendung analoger Elektronik (vorne). Der Vektor wird durch ein Array von Lichtquellen dargestellt, die Matrix in das Modulator-Array eingebettet (in Graustufen dargestellt) und das Ergebnis im Kamerasensor gesammelt.
Foto: Microsoft

Der Lichtrechner funktioniert mit Photonen. Laut Ballani beeinflussen sich diese nicht untereinander, interagieren aber mit der Materie, durch die sie sich ausbreiten. Das ermögliche lineare Operationen wie Addition und Multiplikation, die die Grundlage für Optimierungsanwendungen bildeten.

Wenn beispielsweise Licht auf den Kamerasensor eines Smartphones falle, addiere dieser die eintreffenden Photonen und erzeuge die entsprechende Strommenge. Auch die Datenübertragung über Glasfaserkabel, die Haushalte und Unternehmen mit dem Internet verbindet, beruht laut Ballani auf der Codierung von Nullen und Einsen durch Licht, indem dessen Intensität programmatisch gesteuert wird.

Optimierungsprobleme gibt es in vielen Branchen

"Bei der analogen optischen Datenverarbeitung wird ein physikalisches System aus einer Kombination analoger Technologien - sowohl optischer als auch elektronischer - konstruiert. Es wird durch Gleichungen gesteuert, die die erforderlichen Berechnungen erfassen", erklärt der Microsoft-Forscher. Dies könne für bestimmte Anwendungstypen, in denen lineare und nichtlineare Operationen dominieren, sehr effizient sein. Das Team habe einen Algorithmus entwickelt, dessen Kernaufgabe darin bestehe, Hunderttausende oder sogar Millionen von Vektor-Matrix-Multiplikationen durchzuführen - die Vektoren stellen die Problemvariablen dar, deren Werte ermittelt werden müssen, während die Matrix das Problem selbst kodiert.

Microsofts Lichtrechner passt in ein herkömmliches Rack-System.
Microsofts Lichtrechner passt in ein herkömmliches Rack-System.
Foto: Microsoft

Optimierungsprobleme, bei denen AIM helfen könnte, fallen den Forschern zufolge etwa in Banken und dem Finanzwesen an, außerdem im Gesundheitssektor, der Logistik und der Produktion. Konkret arbeitet das Team im Rahmen eines einjährigen Forschungsabkommens mit der Barclays Bank zusammen. Ein von Barclays gestelltes fiktives Problem rund um die Optimierung von Transaktionen habe der optische Computer jedes Mal mit hundertprozentiger Genauigkeit lösen können.

Andere Technologie hätten im Rahmen früherer Forschungen nur in etwa fünfzig Prozent der Fälle ins Schwarze getroffen, hieß es. Nun wolle man mit Barclays daran arbeiten, eine größere Version der Problemstellung mit mehr Daten und Variablen zu entwerfen. Noch in diesem Sommer soll eine aktualisierte Version des optischen AIM-Computers damit getestet werden.

"Wir sind immer davon ausgegangen, dass wir unseren Rechner weiterentwickeln können, nachdem wir ihn erst einmal gebaut haben", erklärte Ant Rowstron, Distinguished Engineer bei Microsoft und Leiter des AIM-Teams. "Jetzt haben wir einen wichtigen Problembereich, in dem dringender Bedarf besteht und in dem unser Computer wirklich glänzt."